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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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durch die Verwandlung des Prädicats in das Subject das
christliche Wesen (und das Prädicat enthält ja eben das
Wesen) nur noch drückender fixirt. Der Gott und das Gött¬
liche verflöchte sich um so unauflöslicher mit Mir. Den Gott
aus seinem Himmel zu vertreiben und der "Transscendenz"
zu berauben, das kann noch keinen Anspruch auf vollkommene
Besiegung begründen, wenn er dabei nur in die Menschenbrust
gejagt, und mit unvertilgbarer Immanenz beschenkt wird.
Nun heißt es: Das Göttliche ist das wahrhaft Menschliche!

Dieselben Leute, welche dem Christenthum als der Grund¬
lage des Staates, d. h. dem sogenannten christlichen Staate
widerstreben, werden nicht müde zu wiederholen, daß die Sitt¬
lichkeit "der Grundpfeiler des gesellschaftlichen Lebens und des
Staates" sei. Als ob nicht die Herrschaft der Sittlichkeit eine
vollkommene Herrschaft des Heiligen, eine "Hierarchie" wäre.

So kann hier beiläufig der aufklärenden Richtung gedacht
werden, die, nachdem die Theologen lange darauf bestanden
hatten, nur der Glaube sei fähig, die Religionswahrheiten zu
fassen, nur den Gläubigen offenbare sich Gott u. s. w., also
nur das Herz, Gefühl, die gläubige Phantasie sei religiös, mit
der Behauptung hervorbrach, daß auch der "natürliche Ver¬
stand", die menschliche Vernunft fähig sei, Gott zu erkennen.
Was heißt das anders, als daß auch die Vernunft darauf
Anspruch machte, dieselbe Phantastin zu sein wie die Phan¬
tasie. In diesem Sinne schrieb Reimarus seine "Vornehmsten
Wahrheiten der natürlichen Religion". Es mußte dahin kom¬
men, daß der ganze Mensch mit allen seinen Fähigkeiten sich
als religiös erwies; Herz und Gemüth, Verstand und Ver¬
nunft, Fühlen, Wissen und Wollen, kurz Alles am Menschen
erschien religiös. Hegel hat gezeigt, daß selbst die Philosophie

durch die Verwandlung des Prädicats in das Subject das
chriſtliche Weſen (und das Prädicat enthält ja eben das
Weſen) nur noch drückender fixirt. Der Gott und das Gött¬
liche verflöchte ſich um ſo unauflöslicher mit Mir. Den Gott
aus ſeinem Himmel zu vertreiben und der „Transſcendenz
zu berauben, das kann noch keinen Anſpruch auf vollkommene
Beſiegung begründen, wenn er dabei nur in die Menſchenbruſt
gejagt, und mit unvertilgbarer Immanenz beſchenkt wird.
Nun heißt es: Das Göttliche iſt das wahrhaft Menſchliche!

Dieſelben Leute, welche dem Chriſtenthum als der Grund¬
lage des Staates, d. h. dem ſogenannten chriſtlichen Staate
widerſtreben, werden nicht müde zu wiederholen, daß die Sitt¬
lichkeit „der Grundpfeiler des geſellſchaftlichen Lebens und des
Staates“ ſei. Als ob nicht die Herrſchaft der Sittlichkeit eine
vollkommene Herrſchaft des Heiligen, eine „Hierarchie“ wäre.

So kann hier beiläufig der aufklärenden Richtung gedacht
werden, die, nachdem die Theologen lange darauf beſtanden
hatten, nur der Glaube ſei fähig, die Religionswahrheiten zu
faſſen, nur den Gläubigen offenbare ſich Gott u. ſ. w., alſo
nur das Herz, Gefühl, die gläubige Phantaſie ſei religiös, mit
der Behauptung hervorbrach, daß auch der „natürliche Ver¬
ſtand“, die menſchliche Vernunft fähig ſei, Gott zu erkennen.
Was heißt das anders, als daß auch die Vernunft darauf
Anſpruch machte, dieſelbe Phantaſtin zu ſein wie die Phan¬
taſie. In dieſem Sinne ſchrieb Reimarus ſeine „Vornehmſten
Wahrheiten der natürlichen Religion“. Es mußte dahin kom¬
men, daß der ganze Menſch mit allen ſeinen Fähigkeiten ſich
als religiös erwies; Herz und Gemüth, Verſtand und Ver¬
nunft, Fühlen, Wiſſen und Wollen, kurz Alles am Menſchen
erſchien religiös. Hegel hat gezeigt, daß ſelbſt die Philoſophie

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[64/0072] durch die Verwandlung des Prädicats in das Subject das chriſtliche Weſen (und das Prädicat enthält ja eben das Weſen) nur noch drückender fixirt. Der Gott und das Gött¬ liche verflöchte ſich um ſo unauflöslicher mit Mir. Den Gott aus ſeinem Himmel zu vertreiben und der „Transſcendenz“ zu berauben, das kann noch keinen Anſpruch auf vollkommene Beſiegung begründen, wenn er dabei nur in die Menſchenbruſt gejagt, und mit unvertilgbarer Immanenz beſchenkt wird. Nun heißt es: Das Göttliche iſt das wahrhaft Menſchliche! Dieſelben Leute, welche dem Chriſtenthum als der Grund¬ lage des Staates, d. h. dem ſogenannten chriſtlichen Staate widerſtreben, werden nicht müde zu wiederholen, daß die Sitt¬ lichkeit „der Grundpfeiler des geſellſchaftlichen Lebens und des Staates“ ſei. Als ob nicht die Herrſchaft der Sittlichkeit eine vollkommene Herrſchaft des Heiligen, eine „Hierarchie“ wäre. So kann hier beiläufig der aufklärenden Richtung gedacht werden, die, nachdem die Theologen lange darauf beſtanden hatten, nur der Glaube ſei fähig, die Religionswahrheiten zu faſſen, nur den Gläubigen offenbare ſich Gott u. ſ. w., alſo nur das Herz, Gefühl, die gläubige Phantaſie ſei religiös, mit der Behauptung hervorbrach, daß auch der „natürliche Ver¬ ſtand“, die menſchliche Vernunft fähig ſei, Gott zu erkennen. Was heißt das anders, als daß auch die Vernunft darauf Anſpruch machte, dieſelbe Phantaſtin zu ſein wie die Phan¬ taſie. In dieſem Sinne ſchrieb Reimarus ſeine „Vornehmſten Wahrheiten der natürlichen Religion“. Es mußte dahin kom¬ men, daß der ganze Menſch mit allen ſeinen Fähigkeiten ſich als religiös erwies; Herz und Gemüth, Verſtand und Ver¬ nunft, Fühlen, Wiſſen und Wollen, kurz Alles am Menſchen erſchien religiös. Hegel hat gezeigt, daß ſelbſt die Philoſophie

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/72>, abgerufen am 19.04.2024.