macht es höchstens aus einem überirdischen zu einem irdischen Heiligen, aus einem Göttlichen zu einem Menschlichen.
Heiliges existirt nur für den Egoisten, der sich selbst nicht anerkennt, den unfreiwilligen Egoisten, für ihn, der immer auf das Seine aus ist, und doch sich nicht für das höchste Wesen hält, der nur sich dient und zugleich stets einem höheren Wesen zu dienen meint, der nichts Höheres kennt als sich und gleichwohl für Höheres schwärmt, kurz für den Ego¬ isten, der kein Egoist sein möchte, und sich erniedrigt, d. h. seinen Egoismus bekämpft, zugleich aber sich selbst nur des¬ halb erniedrigt, "um erhöht zu werden", also um seinen Ego¬ ismus zu befriedigen. Weil er ablassen möchte, Egoist zu sein, sucht er in Himmel und Erde umher nach höheren Wesen, de¬ nen er diene und sich opfere; aber so viel er sich auch schüttelt und kasteit, zuletzt thut er doch alles um seinetwillen und der verrufene Egoismus weicht nicht von ihm. Ich nenne ihn deswegen den unfreiwilligen Egoisten.
Sein Mühen und Sorgen, von sich loszukommen, ist nichts als der mißverstandene Trieb nach Selbstauflösung. Bist Du an Deine vergangene Stunde gebunden, mußt Du heute plappern, weil Du gestern geplappert hast *), kannst Du nicht jeden Augenblick Dich umwandeln: so fühlst Du Dich in Skla¬ venfesseln und erstarrt. Darum winkt Dir über jede Minute Deines Daseins hinaus eine frische Minute der Zukunft, und, Dich entwickelnd, kommst Du "von Dir" d. h. dem jeweiligen Du, los. Wie Du in jedem Augenblicke bist, so bist Du
*) Wie sie klingeln, die Pfaffen, wie angelegen sie's machen, Daß man komme, nur ja plappre, wie gestern, so heut. Scheltet mir nicht die Pfaffen! Sie kennen des Menschen Bedürfniß: Denn wie ist er beglückt, plappert er morgen, wie heut.
4
macht es höchſtens aus einem überirdiſchen zu einem irdiſchen Heiligen, aus einem Göttlichen zu einem Menſchlichen.
Heiliges exiſtirt nur für den Egoiſten, der ſich ſelbſt nicht anerkennt, den unfreiwilligen Egoiſten, für ihn, der immer auf das Seine aus iſt, und doch ſich nicht für das höchſte Weſen hält, der nur ſich dient und zugleich ſtets einem höheren Weſen zu dienen meint, der nichts Höheres kennt als ſich und gleichwohl für Höheres ſchwärmt, kurz für den Ego¬ iſten, der kein Egoiſt ſein möchte, und ſich erniedrigt, d. h. ſeinen Egoismus bekämpft, zugleich aber ſich ſelbſt nur des¬ halb erniedrigt, „um erhöht zu werden“, alſo um ſeinen Ego¬ ismus zu befriedigen. Weil er ablaſſen möchte, Egoiſt zu ſein, ſucht er in Himmel und Erde umher nach höheren Weſen, de¬ nen er diene und ſich opfere; aber ſo viel er ſich auch ſchüttelt und kaſteit, zuletzt thut er doch alles um ſeinetwillen und der verrufene Egoismus weicht nicht von ihm. Ich nenne ihn deswegen den unfreiwilligen Egoiſten.
Sein Mühen und Sorgen, von ſich loszukommen, iſt nichts als der mißverſtandene Trieb nach Selbſtauflöſung. Biſt Du an Deine vergangene Stunde gebunden, mußt Du heute plappern, weil Du geſtern geplappert haſt *), kannſt Du nicht jeden Augenblick Dich umwandeln: ſo fühlſt Du Dich in Skla¬ venfeſſeln und erſtarrt. Darum winkt Dir über jede Minute Deines Daſeins hinaus eine friſche Minute der Zukunft, und, Dich entwickelnd, kommſt Du „von Dir“ d. h. dem jeweiligen Du, los. Wie Du in jedem Augenblicke biſt, ſo biſt Du
*) Wie ſie klingeln, die Pfaffen, wie angelegen ſie's machen, Daß man komme, nur ja plappre, wie geſtern, ſo heut. Scheltet mir nicht die Pfaffen! Sie kennen des Menſchen Bedürfniß: Denn wie iſt er beglückt, plappert er morgen, wie heut.
4
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0057"n="49"/>
macht es höchſtens aus einem überirdiſchen zu einem irdiſchen<lb/>
Heiligen, aus einem Göttlichen zu einem Menſchlichen.</p><lb/><p>Heiliges exiſtirt nur für den Egoiſten, der ſich ſelbſt nicht<lb/>
anerkennt, den <hirendition="#g">unfreiwilligen Egoiſten</hi>, für ihn, der<lb/>
immer auf das Seine aus iſt, und doch ſich nicht für das<lb/>
höchſte Weſen hält, der nur ſich dient und zugleich ſtets einem<lb/>
höheren Weſen zu dienen meint, der nichts Höheres kennt als<lb/>ſich und gleichwohl für Höheres ſchwärmt, kurz für den Ego¬<lb/>
iſten, der kein Egoiſt ſein möchte, und ſich erniedrigt, d. h.<lb/>ſeinen Egoismus bekämpft, zugleich aber ſich ſelbſt nur des¬<lb/>
halb erniedrigt, „um erhöht zu werden“, alſo um ſeinen Ego¬<lb/>
ismus zu befriedigen. Weil er ablaſſen möchte, Egoiſt zu ſein,<lb/>ſucht er in Himmel und Erde umher nach höheren Weſen, de¬<lb/>
nen er diene und ſich opfere; aber ſo viel er ſich auch ſchüttelt<lb/>
und kaſteit, zuletzt thut er doch alles um ſeinetwillen und der<lb/>
verrufene Egoismus weicht nicht von ihm. Ich nenne ihn<lb/>
deswegen den unfreiwilligen Egoiſten.</p><lb/><p>Sein Mühen und Sorgen, von ſich loszukommen, iſt<lb/>
nichts als der mißverſtandene Trieb nach Selbſtauflöſung. Biſt<lb/>
Du an Deine vergangene Stunde gebunden, mußt Du heute<lb/>
plappern, weil Du geſtern geplappert haſt <noteplace="foot"n="*)"><lb/>
Wie ſie klingeln, die Pfaffen, wie angelegen ſie's machen,<lb/>
Daß man komme, nur ja plappre, wie geſtern, ſo heut.<lb/>
Scheltet mir nicht die Pfaffen! Sie kennen des Menſchen Bedürfniß:<lb/>
Denn wie iſt er beglückt, plappert er morgen, wie heut.</note>, kannſt Du nicht<lb/>
jeden Augenblick Dich umwandeln: ſo fühlſt Du Dich in Skla¬<lb/>
venfeſſeln und erſtarrt. Darum winkt Dir über jede Minute<lb/>
Deines Daſeins hinaus eine friſche Minute der Zukunft, und,<lb/>
Dich entwickelnd, kommſt Du „von Dir“ d. h. dem jeweiligen<lb/>
Du, los. Wie Du in jedem Augenblicke biſt, ſo biſt Du<lb/><fwplace="bottom"type="sig">4<lb/></fw></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[49/0057]
macht es höchſtens aus einem überirdiſchen zu einem irdiſchen
Heiligen, aus einem Göttlichen zu einem Menſchlichen.
Heiliges exiſtirt nur für den Egoiſten, der ſich ſelbſt nicht
anerkennt, den unfreiwilligen Egoiſten, für ihn, der
immer auf das Seine aus iſt, und doch ſich nicht für das
höchſte Weſen hält, der nur ſich dient und zugleich ſtets einem
höheren Weſen zu dienen meint, der nichts Höheres kennt als
ſich und gleichwohl für Höheres ſchwärmt, kurz für den Ego¬
iſten, der kein Egoiſt ſein möchte, und ſich erniedrigt, d. h.
ſeinen Egoismus bekämpft, zugleich aber ſich ſelbſt nur des¬
halb erniedrigt, „um erhöht zu werden“, alſo um ſeinen Ego¬
ismus zu befriedigen. Weil er ablaſſen möchte, Egoiſt zu ſein,
ſucht er in Himmel und Erde umher nach höheren Weſen, de¬
nen er diene und ſich opfere; aber ſo viel er ſich auch ſchüttelt
und kaſteit, zuletzt thut er doch alles um ſeinetwillen und der
verrufene Egoismus weicht nicht von ihm. Ich nenne ihn
deswegen den unfreiwilligen Egoiſten.
Sein Mühen und Sorgen, von ſich loszukommen, iſt
nichts als der mißverſtandene Trieb nach Selbſtauflöſung. Biſt
Du an Deine vergangene Stunde gebunden, mußt Du heute
plappern, weil Du geſtern geplappert haſt *), kannſt Du nicht
jeden Augenblick Dich umwandeln: ſo fühlſt Du Dich in Skla¬
venfeſſeln und erſtarrt. Darum winkt Dir über jede Minute
Deines Daſeins hinaus eine friſche Minute der Zukunft, und,
Dich entwickelnd, kommſt Du „von Dir“ d. h. dem jeweiligen
Du, los. Wie Du in jedem Augenblicke biſt, ſo biſt Du
*)
Wie ſie klingeln, die Pfaffen, wie angelegen ſie's machen,
Daß man komme, nur ja plappre, wie geſtern, ſo heut.
Scheltet mir nicht die Pfaffen! Sie kennen des Menſchen Bedürfniß:
Denn wie iſt er beglückt, plappert er morgen, wie heut.
4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/57>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.