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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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macht es höchstens aus einem überirdischen zu einem irdischen
Heiligen, aus einem Göttlichen zu einem Menschlichen.

Heiliges existirt nur für den Egoisten, der sich selbst nicht
anerkennt, den unfreiwilligen Egoisten, für ihn, der
immer auf das Seine aus ist, und doch sich nicht für das
höchste Wesen hält, der nur sich dient und zugleich stets einem
höheren Wesen zu dienen meint, der nichts Höheres kennt als
sich und gleichwohl für Höheres schwärmt, kurz für den Ego¬
isten, der kein Egoist sein möchte, und sich erniedrigt, d. h.
seinen Egoismus bekämpft, zugleich aber sich selbst nur des¬
halb erniedrigt, "um erhöht zu werden", also um seinen Ego¬
ismus zu befriedigen. Weil er ablassen möchte, Egoist zu sein,
sucht er in Himmel und Erde umher nach höheren Wesen, de¬
nen er diene und sich opfere; aber so viel er sich auch schüttelt
und kasteit, zuletzt thut er doch alles um seinetwillen und der
verrufene Egoismus weicht nicht von ihm. Ich nenne ihn
deswegen den unfreiwilligen Egoisten.

Sein Mühen und Sorgen, von sich loszukommen, ist
nichts als der mißverstandene Trieb nach Selbstauflösung. Bist
Du an Deine vergangene Stunde gebunden, mußt Du heute
plappern, weil Du gestern geplappert hast *), kannst Du nicht
jeden Augenblick Dich umwandeln: so fühlst Du Dich in Skla¬
venfesseln und erstarrt. Darum winkt Dir über jede Minute
Deines Daseins hinaus eine frische Minute der Zukunft, und,
Dich entwickelnd, kommst Du "von Dir" d. h. dem jeweiligen
Du, los. Wie Du in jedem Augenblicke bist, so bist Du

*) Wie sie klingeln, die Pfaffen, wie angelegen sie's machen,
Daß man komme, nur ja plappre, wie gestern, so heut.
Scheltet mir nicht die Pfaffen! Sie kennen des Menschen Bedürfniß:
Denn wie ist er beglückt, plappert er morgen, wie heut.
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macht es höchſtens aus einem überirdiſchen zu einem irdiſchen
Heiligen, aus einem Göttlichen zu einem Menſchlichen.

Heiliges exiſtirt nur für den Egoiſten, der ſich ſelbſt nicht
anerkennt, den unfreiwilligen Egoiſten, für ihn, der
immer auf das Seine aus iſt, und doch ſich nicht für das
höchſte Weſen hält, der nur ſich dient und zugleich ſtets einem
höheren Weſen zu dienen meint, der nichts Höheres kennt als
ſich und gleichwohl für Höheres ſchwärmt, kurz für den Ego¬
iſten, der kein Egoiſt ſein möchte, und ſich erniedrigt, d. h.
ſeinen Egoismus bekämpft, zugleich aber ſich ſelbſt nur des¬
halb erniedrigt, „um erhöht zu werden“, alſo um ſeinen Ego¬
ismus zu befriedigen. Weil er ablaſſen möchte, Egoiſt zu ſein,
ſucht er in Himmel und Erde umher nach höheren Weſen, de¬
nen er diene und ſich opfere; aber ſo viel er ſich auch ſchüttelt
und kaſteit, zuletzt thut er doch alles um ſeinetwillen und der
verrufene Egoismus weicht nicht von ihm. Ich nenne ihn
deswegen den unfreiwilligen Egoiſten.

Sein Mühen und Sorgen, von ſich loszukommen, iſt
nichts als der mißverſtandene Trieb nach Selbſtauflöſung. Biſt
Du an Deine vergangene Stunde gebunden, mußt Du heute
plappern, weil Du geſtern geplappert haſt *), kannſt Du nicht
jeden Augenblick Dich umwandeln: ſo fühlſt Du Dich in Skla¬
venfeſſeln und erſtarrt. Darum winkt Dir über jede Minute
Deines Daſeins hinaus eine friſche Minute der Zukunft, und,
Dich entwickelnd, kommſt Du „von Dir“ d. h. dem jeweiligen
Du, los. Wie Du in jedem Augenblicke biſt, ſo biſt Du

*) Wie ſie klingeln, die Pfaffen, wie angelegen ſie's machen,
Daß man komme, nur ja plappre, wie geſtern, ſo heut.
Scheltet mir nicht die Pfaffen! Sie kennen des Menſchen Bedürfniß:
Denn wie iſt er beglückt, plappert er morgen, wie heut.
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[49/0057] macht es höchſtens aus einem überirdiſchen zu einem irdiſchen Heiligen, aus einem Göttlichen zu einem Menſchlichen. Heiliges exiſtirt nur für den Egoiſten, der ſich ſelbſt nicht anerkennt, den unfreiwilligen Egoiſten, für ihn, der immer auf das Seine aus iſt, und doch ſich nicht für das höchſte Weſen hält, der nur ſich dient und zugleich ſtets einem höheren Weſen zu dienen meint, der nichts Höheres kennt als ſich und gleichwohl für Höheres ſchwärmt, kurz für den Ego¬ iſten, der kein Egoiſt ſein möchte, und ſich erniedrigt, d. h. ſeinen Egoismus bekämpft, zugleich aber ſich ſelbſt nur des¬ halb erniedrigt, „um erhöht zu werden“, alſo um ſeinen Ego¬ ismus zu befriedigen. Weil er ablaſſen möchte, Egoiſt zu ſein, ſucht er in Himmel und Erde umher nach höheren Weſen, de¬ nen er diene und ſich opfere; aber ſo viel er ſich auch ſchüttelt und kaſteit, zuletzt thut er doch alles um ſeinetwillen und der verrufene Egoismus weicht nicht von ihm. Ich nenne ihn deswegen den unfreiwilligen Egoiſten. Sein Mühen und Sorgen, von ſich loszukommen, iſt nichts als der mißverſtandene Trieb nach Selbſtauflöſung. Biſt Du an Deine vergangene Stunde gebunden, mußt Du heute plappern, weil Du geſtern geplappert haſt *), kannſt Du nicht jeden Augenblick Dich umwandeln: ſo fühlſt Du Dich in Skla¬ venfeſſeln und erſtarrt. Darum winkt Dir über jede Minute Deines Daſeins hinaus eine friſche Minute der Zukunft, und, Dich entwickelnd, kommſt Du „von Dir“ d. h. dem jeweiligen Du, los. Wie Du in jedem Augenblicke biſt, ſo biſt Du *) Wie ſie klingeln, die Pfaffen, wie angelegen ſie's machen, Daß man komme, nur ja plappre, wie geſtern, ſo heut. Scheltet mir nicht die Pfaffen! Sie kennen des Menſchen Bedürfniß: Denn wie iſt er beglückt, plappert er morgen, wie heut. 4

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/57>, abgerufen am 18.04.2024.