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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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Da kein Mangel an Uns haftet, so hat auch die Sünde kei¬
nen Sinn. Zeigt Mir noch einen Sünder in der Welt, wenn's
Keiner mehr einem Höheren recht zu machen braucht! Brauche
Ich's nur Mir recht zu machen, so bin Ich kein Sünder,
wenn Ich's Mir nicht recht mache, da Ich in Mir keinen
"Heiligen" verletze; soll Ich dagegen fromm sein, so muß
Ich's Gott recht machen, soll Ich menschlich handeln, so muß
Ich's dem Wesen des Menschen, der Idee der Menschheit
u. s. w. recht machen. Was die Religion den "Sünder"
nennt, das nennt die Humanität den "Egoisten". Nochmals
aber, brauche Ich's keinem Andern recht zu machen, ist dann
der "Egoist", in welchem die Humanität sich einen neumodi¬
schen Teufel geboren hat, mehr als ein Unsinn? Der Egoist,
vor dem die Humanen schaudern, ist so gut ein Spuk, als
der Teufel einer ist: er existirt nur als Schreckgespenst und
Phantasiegestalt in ihrem Gehirne. Trieben sie nicht zwischen
dem altfränkischen Gegensatz von Gut und Böse, dem sie die
modernen Namen von "Menschlich" und "Egoistisch" gegeben
haben, unbefangen hin und her, so würden sie auch nicht den
ergrauten "Sünder" zum "Egoisten" aufgefrischt und einen neuen
Lappen auf ein altes Kleid geflickt haben. Aber sie konnten
nicht anders, denn sie Halten's für ihre Aufgabe, "Menschen"
zu sein. Den Guten sind sie los, das Gute ist geblieben!

Wir sind allzumal vollkommen, und auf der ganzen Erde
ist nicht Ein Mensch, der ein Sünder wäre! Es giebt Wahn¬
sinnige, die sich einbilden, Gott Vater, Gott Sohn oder der
Mann im Monde zu sein, und so wimmelt es auch von
Narren, die sich Sünder zu sein dünken; aber wie jene nicht
der Mann im Monde sind, so sind diese -- keine Sünder.
Ihre Sünde ist eingebildet.

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Da kein Mangel an Uns haftet, ſo hat auch die Sünde kei¬
nen Sinn. Zeigt Mir noch einen Sünder in der Welt, wenn's
Keiner mehr einem Höheren recht zu machen braucht! Brauche
Ich's nur Mir recht zu machen, ſo bin Ich kein Sünder,
wenn Ich's Mir nicht recht mache, da Ich in Mir keinen
„Heiligen“ verletze; ſoll Ich dagegen fromm ſein, ſo muß
Ich's Gott recht machen, ſoll Ich menſchlich handeln, ſo muß
Ich's dem Weſen des Menſchen, der Idee der Menſchheit
u. ſ. w. recht machen. Was die Religion den „Sünder“
nennt, das nennt die Humanität den „Egoiſten“. Nochmals
aber, brauche Ich's keinem Andern recht zu machen, iſt dann
der „Egoiſt“, in welchem die Humanität ſich einen neumodi¬
ſchen Teufel geboren hat, mehr als ein Unſinn? Der Egoiſt,
vor dem die Humanen ſchaudern, iſt ſo gut ein Spuk, als
der Teufel einer iſt: er exiſtirt nur als Schreckgeſpenſt und
Phantaſiegeſtalt in ihrem Gehirne. Trieben ſie nicht zwiſchen
dem altfränkiſchen Gegenſatz von Gut und Böſe, dem ſie die
modernen Namen von „Menſchlich“ und „Egoiſtiſch“ gegeben
haben, unbefangen hin und her, ſo würden ſie auch nicht den
ergrauten „Sünder“ zum „Egoiſten“ aufgefriſcht und einen neuen
Lappen auf ein altes Kleid geflickt haben. Aber ſie konnten
nicht anders, denn ſie Halten's für ihre Aufgabe, „Menſchen“
zu ſein. Den Guten ſind ſie los, das Gute iſt geblieben!

Wir ſind allzumal vollkommen, und auf der ganzen Erde
iſt nicht Ein Menſch, der ein Sünder wäre! Es giebt Wahn¬
ſinnige, die ſich einbilden, Gott Vater, Gott Sohn oder der
Mann im Monde zu ſein, und ſo wimmelt es auch von
Narren, die ſich Sünder zu ſein dünken; aber wie jene nicht
der Mann im Monde ſind, ſo ſind dieſe — keine Sünder.
Ihre Sünde iſt eingebildet.

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[481/0489] Da kein Mangel an Uns haftet, ſo hat auch die Sünde kei¬ nen Sinn. Zeigt Mir noch einen Sünder in der Welt, wenn's Keiner mehr einem Höheren recht zu machen braucht! Brauche Ich's nur Mir recht zu machen, ſo bin Ich kein Sünder, wenn Ich's Mir nicht recht mache, da Ich in Mir keinen „Heiligen“ verletze; ſoll Ich dagegen fromm ſein, ſo muß Ich's Gott recht machen, ſoll Ich menſchlich handeln, ſo muß Ich's dem Weſen des Menſchen, der Idee der Menſchheit u. ſ. w. recht machen. Was die Religion den „Sünder“ nennt, das nennt die Humanität den „Egoiſten“. Nochmals aber, brauche Ich's keinem Andern recht zu machen, iſt dann der „Egoiſt“, in welchem die Humanität ſich einen neumodi¬ ſchen Teufel geboren hat, mehr als ein Unſinn? Der Egoiſt, vor dem die Humanen ſchaudern, iſt ſo gut ein Spuk, als der Teufel einer iſt: er exiſtirt nur als Schreckgeſpenſt und Phantaſiegeſtalt in ihrem Gehirne. Trieben ſie nicht zwiſchen dem altfränkiſchen Gegenſatz von Gut und Böſe, dem ſie die modernen Namen von „Menſchlich“ und „Egoiſtiſch“ gegeben haben, unbefangen hin und her, ſo würden ſie auch nicht den ergrauten „Sünder“ zum „Egoiſten“ aufgefriſcht und einen neuen Lappen auf ein altes Kleid geflickt haben. Aber ſie konnten nicht anders, denn ſie Halten's für ihre Aufgabe, „Menſchen“ zu ſein. Den Guten ſind ſie los, das Gute iſt geblieben! Wir ſind allzumal vollkommen, und auf der ganzen Erde iſt nicht Ein Menſch, der ein Sünder wäre! Es giebt Wahn¬ ſinnige, die ſich einbilden, Gott Vater, Gott Sohn oder der Mann im Monde zu ſein, und ſo wimmelt es auch von Narren, die ſich Sünder zu ſein dünken; aber wie jene nicht der Mann im Monde ſind, ſo ſind dieſe — keine Sünder. Ihre Sünde iſt eingebildet. 31

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 481. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/489>, abgerufen am 23.11.2024.