man wollte doch -- wer durfte an der Berechtigung hierzu zweifeln? -- man wollte von einer "Idee begeistert" sein. Man wollte von einem Gedanken beherrscht, -- besessen sein! Der modernste Herrscher dieser Art ist "unser Wesen" oder "der Mensch".
Für alle freie Kritik war ein Gedanke das Kriterium, für die eigene Kritik bin Ich's, Ich, der Unsagbare, mithin nicht bloß Gedachte; denn das bloß Gedachte ist stets sagbar, weil Wort und Gedanke zusammenfallen. Wahr ist, was mein ist, unwahr das, dem Ich eigen bin; wahr z. B. der Verein, unwahr der Staat und die Gesellschaft. Die "freie und wahre" Kritik sorgt für die consequente Herrschaft eines Gedankens, einer Idee, eines Geistes, die "eigene" für nichts als meinen Selbstgenuß. Darin aber gleicht die letztere in der That -- und Wir wollen ihr diese "Schmach" nicht er¬ sparen! -- der thierischen Kritik des Instinctes. Mir ist es, wie dem kritisirenden Thiere, nur um Mich, nicht "um die Sache" zu thun. Ich bin das Kriterium der Wahrheit, Ich aber bin keine Idee, sondern mehr als Idee, d. h. unaus¬ sprechlich. Meine Kritik ist keine "freie", nicht frei von Mir, und keine "dienstbare", nicht im Dienste einer Idee, sondern eine eigene.
Die wahre oder menschliche Kritik bringt nur heraus, ob etwas dem Menschen, dem wahren Menschen convenire; durch die eigene Kritik aber ermittelst Du, ob es Dir con¬ venirt.
Die freie Kritik beschäftigt sich mit Ideen, und ist des¬ halb stets theoretisch. Wie sie auch gegen die Ideen wüthen möge, so kommt sie doch von ihnen nicht los. Sie schlägt sich mit den Gespenstern herum, aber sie kann dieß nur, in¬
man wollte doch — wer durfte an der Berechtigung hierzu zweifeln? — man wollte von einer „Idee begeiſtert“ ſein. Man wollte von einem Gedanken beherrſcht, — beſeſſen ſein! Der modernſte Herrſcher dieſer Art iſt „unſer Weſen“ oder „der Menſch“.
Für alle freie Kritik war ein Gedanke das Kriterium, für die eigene Kritik bin Ich's, Ich, der Unſagbare, mithin nicht bloß Gedachte; denn das bloß Gedachte iſt ſtets ſagbar, weil Wort und Gedanke zuſammenfallen. Wahr iſt, was mein iſt, unwahr das, dem Ich eigen bin; wahr z. B. der Verein, unwahr der Staat und die Geſellſchaft. Die „freie und wahre“ Kritik ſorgt für die conſequente Herrſchaft eines Gedankens, einer Idee, eines Geiſtes, die „eigene“ für nichts als meinen Selbſtgenuß. Darin aber gleicht die letztere in der That — und Wir wollen ihr dieſe „Schmach“ nicht er¬ ſparen! — der thieriſchen Kritik des Inſtinctes. Mir iſt es, wie dem kritiſirenden Thiere, nur um Mich, nicht „um die Sache“ zu thun. Ich bin das Kriterium der Wahrheit, Ich aber bin keine Idee, ſondern mehr als Idee, d. h. unaus¬ ſprechlich. Meine Kritik iſt keine „freie“, nicht frei von Mir, und keine „dienſtbare“, nicht im Dienſte einer Idee, ſondern eine eigene.
Die wahre oder menſchliche Kritik bringt nur heraus, ob etwas dem Menſchen, dem wahren Menſchen convenire; durch die eigene Kritik aber ermittelſt Du, ob es Dir con¬ venirt.
Die freie Kritik beſchäftigt ſich mit Ideen, und iſt des¬ halb ſtets theoretiſch. Wie ſie auch gegen die Ideen wüthen möge, ſo kommt ſie doch von ihnen nicht los. Sie ſchlägt ſich mit den Geſpenſtern herum, aber ſie kann dieß nur, in¬
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man wollte doch — wer durfte an der Berechtigung hierzu
zweifeln? — man wollte von einer „Idee begeiſtert“ ſein.
Man wollte von einem Gedanken beherrſcht, — beſeſſen ſein!
Der modernſte Herrſcher dieſer Art iſt „unſer Weſen“ oder
„der Menſch“.
Für alle freie Kritik war ein Gedanke das Kriterium,
für die eigene Kritik bin Ich's, Ich, der Unſagbare, mithin
nicht bloß Gedachte; denn das bloß Gedachte iſt ſtets ſagbar,
weil Wort und Gedanke zuſammenfallen. Wahr iſt, was
mein iſt, unwahr das, dem Ich eigen bin; wahr z. B. der
Verein, unwahr der Staat und die Geſellſchaft. Die „freie
und wahre“ Kritik ſorgt für die conſequente Herrſchaft eines
Gedankens, einer Idee, eines Geiſtes, die „eigene“ für nichts
als meinen Selbſtgenuß. Darin aber gleicht die letztere in
der That — und Wir wollen ihr dieſe „Schmach“ nicht er¬
ſparen! — der thieriſchen Kritik des Inſtinctes. Mir iſt es,
wie dem kritiſirenden Thiere, nur um Mich, nicht „um die
Sache“ zu thun. Ich bin das Kriterium der Wahrheit, Ich
aber bin keine Idee, ſondern mehr als Idee, d. h. unaus¬
ſprechlich. Meine Kritik iſt keine „freie“, nicht frei von Mir,
und keine „dienſtbare“, nicht im Dienſte einer Idee, ſondern
eine eigene.
Die wahre oder menſchliche Kritik bringt nur heraus, ob
etwas dem Menſchen, dem wahren Menſchen convenire;
durch die eigene Kritik aber ermittelſt Du, ob es Dir con¬
venirt.
Die freie Kritik beſchäftigt ſich mit Ideen, und iſt des¬
halb ſtets theoretiſch. Wie ſie auch gegen die Ideen wüthen
möge, ſo kommt ſie doch von ihnen nicht los. Sie ſchlägt
ſich mit den Geſpenſtern herum, aber ſie kann dieß nur, in¬
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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 476. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/484>, abgerufen am 23.11.2024.
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