kann der Empfänger für jenen und seine geschenkten Pfennige, in denen sein Reichthum besteht, thun? Der Tagelöhner hätte wahrlich mehr Genuß, wenn der Empfänger mit seinen Ge¬ setzen, seinen Institutionen u. s. w., die jener doch alle bezah¬ len muß, gar nicht existirte. Und dabei liebt der arme Wicht seinen Herrn doch.
Nein, die Gemeinschaft, als das "Ziel" der bisherigen Geschichte, ist unmöglich. Sagen Wir Uns vielmehr von je¬ der Heuchelei der Gemeinschaft los und erkennen Wir, daß, wenn Wir als Menschen gleich sind, Wir eben nicht gleich sind, weil Wir nicht Menschen sind. Wir sind nur in Ge¬ danken gleich, nur wenn "Wir" gedacht werden, nicht wie Wir wirklich und leibhaftig sind. Ich bin Ich, und Du bist Ich, aber Ich bin nicht dieses gedachte Ich, sondern dieses Ich, worin Wir alle gleich sind, ist nur mein Gedanke. Ich bin Mensch und Du bist Mensch, aber "Mensch" ist nur ein Gedanke, eine Allgemeinheit; weder Ich noch Du sind sagbar, Wir sind unaussprechlich, weil nur Gedanken sagbar sind und im Sagen bestehen.
Trachten Wir darum nicht nach der Gemeinschaft, sondern nach der Einseitigkeit. Suchen Wir nicht die umfassendste Gemeinde, die "menschliche Gesellschaft", sondern suchen Wir in den Andern nur Mittel und Organe, die Wir als unser Eigenthum gebrauchen! Wie Wir im Baume, im Thiere nicht Unsersgleichen erblicken, so entspringt die Voraussetzung, daß die Andern Unsersgleichen seien, aus einer Heuchelei. Es ist Keiner Meinesgleichen, sondern gleich allen andern Wesen betrachte Ich ihn als mein Eigenthum. Dagegen sagt man Mir, Ich soll Mensch unter "Mitmenschen" sein (Juden¬ frage S. 60); Ich soll in ihnen den Mitmenschen "respectiren".
kann der Empfänger für jenen und ſeine geſchenkten Pfennige, in denen ſein Reichthum beſteht, thun? Der Tagelöhner hätte wahrlich mehr Genuß, wenn der Empfänger mit ſeinen Ge¬ ſetzen, ſeinen Inſtitutionen u. ſ. w., die jener doch alle bezah¬ len muß, gar nicht exiſtirte. Und dabei liebt der arme Wicht ſeinen Herrn doch.
Nein, die Gemeinſchaft, als das „Ziel“ der bisherigen Geſchichte, iſt unmöglich. Sagen Wir Uns vielmehr von je¬ der Heuchelei der Gemeinſchaft los und erkennen Wir, daß, wenn Wir als Menſchen gleich ſind, Wir eben nicht gleich ſind, weil Wir nicht Menſchen ſind. Wir ſind nur in Ge¬ danken gleich, nur wenn „Wir“ gedacht werden, nicht wie Wir wirklich und leibhaftig ſind. Ich bin Ich, und Du biſt Ich, aber Ich bin nicht dieſes gedachte Ich, ſondern dieſes Ich, worin Wir alle gleich ſind, iſt nur mein Gedanke. Ich bin Menſch und Du biſt Menſch, aber „Menſch“ iſt nur ein Gedanke, eine Allgemeinheit; weder Ich noch Du ſind ſagbar, Wir ſind unausſprechlich, weil nur Gedanken ſagbar ſind und im Sagen beſtehen.
Trachten Wir darum nicht nach der Gemeinſchaft, ſondern nach der Einſeitigkeit. Suchen Wir nicht die umfaſſendſte Gemeinde, die „menſchliche Geſellſchaft“, ſondern ſuchen Wir in den Andern nur Mittel und Organe, die Wir als unſer Eigenthum gebrauchen! Wie Wir im Baume, im Thiere nicht Unſersgleichen erblicken, ſo entſpringt die Vorausſetzung, daß die Andern Unſersgleichen ſeien, aus einer Heuchelei. Es iſt Keiner Meinesgleichen, ſondern gleich allen andern Weſen betrachte Ich ihn als mein Eigenthum. Dagegen ſagt man Mir, Ich ſoll Menſch unter „Mitmenſchen“ ſein (Juden¬ frage S. 60); Ich ſoll in ihnen den Mitmenſchen „reſpectiren“.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0423"n="415"/>
kann der Empfänger für jenen und ſeine geſchenkten Pfennige,<lb/>
in denen ſein Reichthum beſteht, thun? Der Tagelöhner hätte<lb/>
wahrlich mehr Genuß, wenn der Empfänger mit ſeinen Ge¬<lb/>ſetzen, ſeinen Inſtitutionen u. ſ. w., die jener doch alle bezah¬<lb/>
len muß, gar nicht exiſtirte. Und dabei <hirendition="#g">liebt</hi> der arme Wicht<lb/>ſeinen Herrn doch.</p><lb/><p>Nein, die Gemeinſchaft, als das „Ziel“ der bisherigen<lb/>
Geſchichte, iſt unmöglich. Sagen Wir Uns vielmehr von je¬<lb/>
der Heuchelei der Gemeinſchaft los und erkennen Wir, daß,<lb/>
wenn Wir als Menſchen gleich ſind, Wir eben nicht gleich<lb/>ſind, weil Wir nicht Menſchen ſind. Wir ſind <hirendition="#g">nur in Ge¬<lb/>
danken</hi> gleich, nur wenn „Wir“<hirendition="#g">gedacht</hi> werden, nicht wie<lb/>
Wir wirklich und leibhaftig ſind. Ich bin Ich, und Du biſt<lb/>
Ich, aber Ich bin nicht dieſes gedachte Ich, ſondern dieſes Ich,<lb/>
worin Wir alle gleich ſind, iſt nur <hirendition="#g">mein Gedanke</hi>. Ich<lb/>
bin Menſch und Du biſt Menſch, aber „Menſch“ iſt nur ein<lb/>
Gedanke, eine Allgemeinheit; weder Ich noch Du ſind ſagbar,<lb/>
Wir ſind <hirendition="#g">unausſprechlich</hi>, weil nur <hirendition="#g">Gedanken</hi>ſagbar<lb/>ſind und im Sagen beſtehen.</p><lb/><p>Trachten Wir darum nicht nach der Gemeinſchaft, ſondern<lb/>
nach der <hirendition="#g">Einſeitigkeit</hi>. Suchen Wir nicht die umfaſſendſte<lb/>
Gemeinde, die „menſchliche Geſellſchaft“, ſondern ſuchen Wir<lb/>
in den Andern nur Mittel und Organe, die Wir als unſer<lb/>
Eigenthum gebrauchen! Wie Wir im Baume, im Thiere<lb/>
nicht Unſersgleichen erblicken, ſo entſpringt die Vorausſetzung,<lb/>
daß die Andern <hirendition="#g">Unſersgleichen</hi>ſeien, aus einer Heuchelei.<lb/>
Es iſt Keiner <hirendition="#g">Meinesgleichen</hi>, ſondern gleich allen andern<lb/>
Weſen betrachte Ich ihn als mein Eigenthum. Dagegen ſagt<lb/>
man Mir, Ich ſoll Menſch unter „Mitmenſchen“ſein (Juden¬<lb/>
frage S. 60); Ich ſoll in ihnen den Mitmenſchen „reſpectiren“.<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[415/0423]
kann der Empfänger für jenen und ſeine geſchenkten Pfennige,
in denen ſein Reichthum beſteht, thun? Der Tagelöhner hätte
wahrlich mehr Genuß, wenn der Empfänger mit ſeinen Ge¬
ſetzen, ſeinen Inſtitutionen u. ſ. w., die jener doch alle bezah¬
len muß, gar nicht exiſtirte. Und dabei liebt der arme Wicht
ſeinen Herrn doch.
Nein, die Gemeinſchaft, als das „Ziel“ der bisherigen
Geſchichte, iſt unmöglich. Sagen Wir Uns vielmehr von je¬
der Heuchelei der Gemeinſchaft los und erkennen Wir, daß,
wenn Wir als Menſchen gleich ſind, Wir eben nicht gleich
ſind, weil Wir nicht Menſchen ſind. Wir ſind nur in Ge¬
danken gleich, nur wenn „Wir“ gedacht werden, nicht wie
Wir wirklich und leibhaftig ſind. Ich bin Ich, und Du biſt
Ich, aber Ich bin nicht dieſes gedachte Ich, ſondern dieſes Ich,
worin Wir alle gleich ſind, iſt nur mein Gedanke. Ich
bin Menſch und Du biſt Menſch, aber „Menſch“ iſt nur ein
Gedanke, eine Allgemeinheit; weder Ich noch Du ſind ſagbar,
Wir ſind unausſprechlich, weil nur Gedanken ſagbar
ſind und im Sagen beſtehen.
Trachten Wir darum nicht nach der Gemeinſchaft, ſondern
nach der Einſeitigkeit. Suchen Wir nicht die umfaſſendſte
Gemeinde, die „menſchliche Geſellſchaft“, ſondern ſuchen Wir
in den Andern nur Mittel und Organe, die Wir als unſer
Eigenthum gebrauchen! Wie Wir im Baume, im Thiere
nicht Unſersgleichen erblicken, ſo entſpringt die Vorausſetzung,
daß die Andern Unſersgleichen ſeien, aus einer Heuchelei.
Es iſt Keiner Meinesgleichen, ſondern gleich allen andern
Weſen betrachte Ich ihn als mein Eigenthum. Dagegen ſagt
man Mir, Ich ſoll Menſch unter „Mitmenſchen“ ſein (Juden¬
frage S. 60); Ich ſoll in ihnen den Mitmenſchen „reſpectiren“.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 415. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/423>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.