Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

ist Allen bei Ein und Demselben gleich wohl? Ist dem so,
so handelt sich's vom "wahren Wohl". Kommen Wir damit
nicht gerade an dem Punkte an, wo die Religion ihre Gewalt¬
herrschaft beginnt? Das Christenthum sagt: Seht nicht aus
irdischen Tand, sondern sucht euer wahres Wohl, werdet --
fromme Christen: das Christsein ist das wahre Wohl. Es
ist das wahre Wohl "Aller", weil es das Wohl des Men¬
schen als solchen (dieses Spuks) ist. Nun soll das Wohl
Aller doch auch mein und dein Wohl sein? Wenn Ich
und Du aber jenes Wohl nicht für unser Wohl ansehen,
wird dann für das, wobei Wir Uns Wohlbefinden, gesorgt
werden? Im Gegentheil, die Gesellschaft hat ein Wohl als
das "wahre Wohl" dekretirt, und hieße dieß Wohl z. B. red¬
lich erarbeiteter Genuß, Du aber zögest die genußreiche Faulheit,
den Genuß ohne Arbeit vor, so würde die Gesellschaft, die für
das "Wohl Aller" sorgt, für das, wobei Dir wohl ist, zu
sorgen sich weislich hüten. Indem der Communismus das
Wohl Aller proclamirt, vernichtet er gerade das Wohlsein derer,
welche seither von ihren Renten lebten und sich dabei wahr¬
scheinlich wohler befanden, als bei der Aussicht auf die stren¬
gen Arbeitsstunden Weitlings. Dieser behauptet daher, bei
dem Wohle von Tausenden könne das Wohl von Millionen
nicht bestehen, und jene müßten ihr besonderes Wohl aufgeben
"um des allgemeinen Wohles willen." Nein, man fordere
die Leute nicht auf, für das allgemeine Wohl ihr besonderes
zu opfern, denn man kommt mit diesem christlichen Anspruch
nicht durch; die entgegengesetzte Mahnung, ihr eigenes Wohl
sich durch Niemand entreißen zu lassen, sondern es dauernd
zu gründen, werden sie besser verstehen. Sie werden dann
von selbst darauf geführt, daß sie am besten für ihr Wohl

iſt Allen bei Ein und Demſelben gleich wohl? Iſt dem ſo,
ſo handelt ſich's vom „wahren Wohl“. Kommen Wir damit
nicht gerade an dem Punkte an, wo die Religion ihre Gewalt¬
herrſchaft beginnt? Das Chriſtenthum ſagt: Seht nicht aus
irdiſchen Tand, ſondern ſucht euer wahres Wohl, werdet —
fromme Chriſten: das Chriſtſein iſt das wahre Wohl. Es
iſt das wahre Wohl „Aller“, weil es das Wohl des Men¬
ſchen als ſolchen (dieſes Spuks) iſt. Nun ſoll das Wohl
Aller doch auch mein und dein Wohl ſein? Wenn Ich
und Du aber jenes Wohl nicht für unſer Wohl anſehen,
wird dann für das, wobei Wir Uns Wohlbefinden, geſorgt
werden? Im Gegentheil, die Geſellſchaft hat ein Wohl als
das „wahre Wohl“ dekretirt, und hieße dieß Wohl z. B. red¬
lich erarbeiteter Genuß, Du aber zögeſt die genußreiche Faulheit,
den Genuß ohne Arbeit vor, ſo würde die Geſellſchaft, die für
das „Wohl Aller“ ſorgt, für das, wobei Dir wohl iſt, zu
ſorgen ſich weislich hüten. Indem der Communismus das
Wohl Aller proclamirt, vernichtet er gerade das Wohlſein derer,
welche ſeither von ihren Renten lebten und ſich dabei wahr¬
ſcheinlich wohler befanden, als bei der Ausſicht auf die ſtren¬
gen Arbeitsſtunden Weitlings. Dieſer behauptet daher, bei
dem Wohle von Tauſenden könne das Wohl von Millionen
nicht beſtehen, und jene müßten ihr beſonderes Wohl aufgeben
„um des allgemeinen Wohles willen.“ Nein, man fordere
die Leute nicht auf, für das allgemeine Wohl ihr beſonderes
zu opfern, denn man kommt mit dieſem chriſtlichen Anſpruch
nicht durch; die entgegengeſetzte Mahnung, ihr eigenes Wohl
ſich durch Niemand entreißen zu laſſen, ſondern es dauernd
zu gründen, werden ſie beſſer verſtehen. Sie werden dann
von ſelbſt darauf geführt, daß ſie am beſten für ihr Wohl

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0420" n="412"/>
i&#x017F;t Allen bei Ein und Dem&#x017F;elben gleich wohl? I&#x017F;t dem &#x017F;o,<lb/>
&#x017F;o handelt &#x017F;ich's vom &#x201E;wahren Wohl&#x201C;. Kommen Wir damit<lb/>
nicht gerade an dem Punkte an, wo die Religion ihre Gewalt¬<lb/>
herr&#x017F;chaft beginnt? Das Chri&#x017F;tenthum &#x017F;agt: Seht nicht aus<lb/>
irdi&#x017F;chen Tand, &#x017F;ondern &#x017F;ucht euer wahres Wohl, werdet &#x2014;<lb/>
fromme Chri&#x017F;ten: das Chri&#x017F;t&#x017F;ein i&#x017F;t das wahre Wohl. Es<lb/>
i&#x017F;t das wahre Wohl &#x201E;Aller&#x201C;, weil es das Wohl <hi rendition="#g">des</hi> Men¬<lb/>
&#x017F;chen als &#x017F;olchen (die&#x017F;es Spuks) i&#x017F;t. Nun &#x017F;oll das Wohl<lb/>
Aller doch auch <hi rendition="#g">mein</hi> und <hi rendition="#g">dein</hi> Wohl &#x017F;ein? Wenn Ich<lb/>
und Du aber jenes Wohl nicht für <hi rendition="#g">un&#x017F;er</hi> Wohl an&#x017F;ehen,<lb/>
wird dann für das, wobei <hi rendition="#g">Wir</hi> Uns Wohlbefinden, ge&#x017F;orgt<lb/>
werden? Im Gegentheil, die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft hat ein Wohl als<lb/>
das &#x201E;wahre Wohl&#x201C; dekretirt, und hieße dieß Wohl z. B. red¬<lb/>
lich erarbeiteter Genuß, Du aber zöge&#x017F;t die genußreiche Faulheit,<lb/>
den Genuß ohne Arbeit vor, &#x017F;o würde die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft, die für<lb/>
das &#x201E;Wohl Aller&#x201C; &#x017F;orgt, für das, wobei Dir wohl i&#x017F;t, zu<lb/>
&#x017F;orgen &#x017F;ich weislich hüten. Indem der Communismus das<lb/>
Wohl Aller proclamirt, vernichtet er gerade das Wohl&#x017F;ein derer,<lb/>
welche &#x017F;either von ihren Renten lebten und &#x017F;ich dabei wahr¬<lb/>
&#x017F;cheinlich wohler befanden, als bei der Aus&#x017F;icht auf die &#x017F;tren¬<lb/>
gen Arbeits&#x017F;tunden Weitlings. Die&#x017F;er behauptet daher, bei<lb/>
dem Wohle von Tau&#x017F;enden könne das Wohl von Millionen<lb/>
nicht be&#x017F;tehen, und jene müßten ihr be&#x017F;onderes Wohl aufgeben<lb/>
&#x201E;um des allgemeinen Wohles willen.&#x201C; Nein, man fordere<lb/>
die Leute nicht auf, für das allgemeine Wohl ihr be&#x017F;onderes<lb/>
zu opfern, denn man kommt mit die&#x017F;em chri&#x017F;tlichen An&#x017F;pruch<lb/>
nicht durch; die entgegenge&#x017F;etzte Mahnung, ihr <hi rendition="#g">eigenes</hi> Wohl<lb/>
&#x017F;ich durch Niemand entreißen zu la&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ondern es dauernd<lb/>
zu gründen, werden &#x017F;ie be&#x017F;&#x017F;er ver&#x017F;tehen. Sie werden dann<lb/>
von &#x017F;elb&#x017F;t darauf geführt, daß &#x017F;ie am be&#x017F;ten für ihr Wohl<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[412/0420] iſt Allen bei Ein und Demſelben gleich wohl? Iſt dem ſo, ſo handelt ſich's vom „wahren Wohl“. Kommen Wir damit nicht gerade an dem Punkte an, wo die Religion ihre Gewalt¬ herrſchaft beginnt? Das Chriſtenthum ſagt: Seht nicht aus irdiſchen Tand, ſondern ſucht euer wahres Wohl, werdet — fromme Chriſten: das Chriſtſein iſt das wahre Wohl. Es iſt das wahre Wohl „Aller“, weil es das Wohl des Men¬ ſchen als ſolchen (dieſes Spuks) iſt. Nun ſoll das Wohl Aller doch auch mein und dein Wohl ſein? Wenn Ich und Du aber jenes Wohl nicht für unſer Wohl anſehen, wird dann für das, wobei Wir Uns Wohlbefinden, geſorgt werden? Im Gegentheil, die Geſellſchaft hat ein Wohl als das „wahre Wohl“ dekretirt, und hieße dieß Wohl z. B. red¬ lich erarbeiteter Genuß, Du aber zögeſt die genußreiche Faulheit, den Genuß ohne Arbeit vor, ſo würde die Geſellſchaft, die für das „Wohl Aller“ ſorgt, für das, wobei Dir wohl iſt, zu ſorgen ſich weislich hüten. Indem der Communismus das Wohl Aller proclamirt, vernichtet er gerade das Wohlſein derer, welche ſeither von ihren Renten lebten und ſich dabei wahr¬ ſcheinlich wohler befanden, als bei der Ausſicht auf die ſtren¬ gen Arbeitsſtunden Weitlings. Dieſer behauptet daher, bei dem Wohle von Tauſenden könne das Wohl von Millionen nicht beſtehen, und jene müßten ihr beſonderes Wohl aufgeben „um des allgemeinen Wohles willen.“ Nein, man fordere die Leute nicht auf, für das allgemeine Wohl ihr beſonderes zu opfern, denn man kommt mit dieſem chriſtlichen Anſpruch nicht durch; die entgegengeſetzte Mahnung, ihr eigenes Wohl ſich durch Niemand entreißen zu laſſen, ſondern es dauernd zu gründen, werden ſie beſſer verſtehen. Sie werden dann von ſelbſt darauf geführt, daß ſie am beſten für ihr Wohl

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/420
Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/420>, abgerufen am 23.11.2024.