Besessene: Sigismund, weil er als ein aufrichtiger Beken¬ ner der göttlichen Wahrheit, d. h. des wahren Glaubens, des ächt katholischen erscheinen wollte; Luther, um aufrichtig und mit ganzer Wahrheit, mit Leib und Seele, Zeugniß für das Evangelium abzulegen; beide wurden meineidig, um gegen die "höhere Wahrheit" aufrichtig zu sein. Nur entbanden jenen die Pfaffen, dieser entband sich selbst. Was beachteten beide anders, als was in jenen apostolischen Worten enthalten ist: "Du hast nicht Menschen, sondern Gott gelogen?" Sie logen den Menschen, brachen vor den Augen der Welt ihren Eid, um Gott nicht zu lügen, sondern zu dienen. So zeigen sie Uns einen Weg, wie man's mit der Wahrheit vor den Menschen halten soll. Zu Gottes Ehre und um Gottes willen ein -- Eidbruch, eine Lüge, ein gebrochenes Fürstenwort!
Wie wäre es nun, wenn Wir die Sache ein wenig än¬ derten und schrieben: Ein Meineid und Lüge um -- Mei¬ netwillen! Hieße das nicht jeder Niederträchtigkeit das Wort reden? Es scheint allerdings so, nur gleicht es darin ganz und gar dem "um Gottes willen". Denn wurde nicht jede Niederträchtigkeit um Gottes willen verübt, alle Blutgerüste um seinetwillen erfüllt, alle Autodafes seinetwegen gehalten, alle Verdummung seinetwegen eingeführt, und bindet man nicht noch heute schon bei den zarten Kindern durch religiöse Er¬ ziehung den Geist um Gottes willen? Brach man nicht hei¬ lige Gelübde um seinetwillen, und ziehen nicht alle Tage noch Missionaire und Pfaffen umher, um Juden, Heiden, Protestan¬ ten oder Katholiken u. s. w. zum Verrath am Glauben ihrer Väter zu bringen -- um seinetwillen? Und das sollte bei dem um Meinetwillen schlimmer sein? Was heißt denn Meinetwegen? Da denkt man gleich an "schnöden Ge¬
Beſeſſene: Sigismund, weil er als ein aufrichtiger Beken¬ ner der göttlichen Wahrheit, d. h. des wahren Glaubens, des ächt katholiſchen erſcheinen wollte; Luther, um aufrichtig und mit ganzer Wahrheit, mit Leib und Seele, Zeugniß für das Evangelium abzulegen; beide wurden meineidig, um gegen die „höhere Wahrheit“ aufrichtig zu ſein. Nur entbanden jenen die Pfaffen, dieſer entband ſich ſelbſt. Was beachteten beide anders, als was in jenen apoſtoliſchen Worten enthalten iſt: „Du haſt nicht Menſchen, ſondern Gott gelogen?“ Sie logen den Menſchen, brachen vor den Augen der Welt ihren Eid, um Gott nicht zu lügen, ſondern zu dienen. So zeigen ſie Uns einen Weg, wie man's mit der Wahrheit vor den Menſchen halten ſoll. Zu Gottes Ehre und um Gottes willen ein — Eidbruch, eine Lüge, ein gebrochenes Fürſtenwort!
Wie wäre es nun, wenn Wir die Sache ein wenig än¬ derten und ſchrieben: Ein Meineid und Lüge um — Mei¬ netwillen! Hieße das nicht jeder Niederträchtigkeit das Wort reden? Es ſcheint allerdings ſo, nur gleicht es darin ganz und gar dem „um Gottes willen“. Denn wurde nicht jede Niederträchtigkeit um Gottes willen verübt, alle Blutgerüſte um ſeinetwillen erfüllt, alle Autodafes ſeinetwegen gehalten, alle Verdummung ſeinetwegen eingeführt, und bindet man nicht noch heute ſchon bei den zarten Kindern durch religiöſe Er¬ ziehung den Geiſt um Gottes willen? Brach man nicht hei¬ lige Gelübde um ſeinetwillen, und ziehen nicht alle Tage noch Miſſionaire und Pfaffen umher, um Juden, Heiden, Proteſtan¬ ten oder Katholiken u. ſ. w. zum Verrath am Glauben ihrer Väter zu bringen — um ſeinetwillen? Und das ſollte bei dem um Meinetwillen ſchlimmer ſein? Was heißt denn Meinetwegen? Da denkt man gleich an „ſchnöden Ge¬
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Beſeſſene: Sigismund, weil er als ein aufrichtiger Beken¬
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des ächt katholiſchen erſcheinen wollte; Luther, um aufrichtig
und mit ganzer Wahrheit, mit Leib und Seele, Zeugniß für
das Evangelium abzulegen; beide wurden meineidig, um gegen
die „höhere Wahrheit“ aufrichtig zu ſein. Nur entbanden
jenen die Pfaffen, dieſer entband ſich ſelbſt. Was beachteten
beide anders, als was in jenen apoſtoliſchen Worten enthalten
iſt: „Du haſt nicht Menſchen, ſondern Gott gelogen?“ Sie
logen den Menſchen, brachen vor den Augen der Welt ihren
Eid, um Gott nicht zu lügen, ſondern zu dienen. So zeigen
ſie Uns einen Weg, wie man's mit der Wahrheit vor den
Menſchen halten ſoll. Zu Gottes Ehre und um Gottes willen
ein — Eidbruch, eine Lüge, ein gebrochenes Fürſtenwort!
Wie wäre es nun, wenn Wir die Sache ein wenig än¬
derten und ſchrieben: Ein Meineid und Lüge um — Mei¬
netwillen! Hieße das nicht jeder Niederträchtigkeit das
Wort reden? Es ſcheint allerdings ſo, nur gleicht es darin
ganz und gar dem „um Gottes willen“. Denn wurde nicht
jede Niederträchtigkeit um Gottes willen verübt, alle Blutgerüſte
um ſeinetwillen erfüllt, alle Autodafes ſeinetwegen gehalten,
alle Verdummung ſeinetwegen eingeführt, und bindet man nicht
noch heute ſchon bei den zarten Kindern durch religiöſe Er¬
ziehung den Geiſt um Gottes willen? Brach man nicht hei¬
lige Gelübde um ſeinetwillen, und ziehen nicht alle Tage noch
Miſſionaire und Pfaffen umher, um Juden, Heiden, Proteſtan¬
ten oder Katholiken u. ſ. w. zum Verrath am Glauben ihrer
Väter zu bringen — um ſeinetwillen? Und das ſollte bei
dem um Meinetwillen ſchlimmer ſein? Was heißt denn
Meinetwegen? Da denkt man gleich an „ſchnöden Ge¬
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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/407>, abgerufen am 23.11.2024.
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