Der bisherige Verkehr beruhte auf der Liebe, dem rück¬ sichtsvollen Benehmen, dem Füreinanderthun. Wie man sich's schuldig war, sich selig zu machen oder die Seligkeit, das höchste Wesen in sich aufzunehmen und zu einer verite (einer Wahrheit und Wirklichkeit) zu bringen, so war man's Andern schuldig, ihr Wesen und ihren Beruf ihnen realisiren zu helfen: man war's eben in beiden Fällen dem Wesen des Menschen schuldig, zu seiner Verwirklichung beizutragen.
Allein man ist weder sich schuldig, etwas aus sich, noch Andern, etwas aus ihnen zu machen: denn man ist seinem und Anderer Wesen nichts schuldig. Der auf das Wesen ge¬ stützte Verkehr ist ein Verkehr mit dem Spuk, nicht mit Wirk¬ lichem. Verkehre Ich mit dem höchsten Wesen, so verkehre Ich nicht mit Mir, und verkehre Ich mit dem Wesen des Menschen, so verkehre Ich nicht mit den Menschen.
Die Liebe des natürlichen Menschen wird durch die Bil¬ dung ein Gebot. Als Gebot aber gehört sie dem Menschen als solchem, nicht Mir; sie ist mein Wesen, von dem man viel Wesens macht, nicht mein Eigenthum. Der Mensch, d.h. die Menschlichkeit, stellt jene Forderung an Mich; die Liebe wird gefordert, ist meine Pflicht. Statt also wirklich Mir errungen zu sein, ist sie dem Allgemeinen errungen, dem Menschen, als dessen Eigenthum oder Eigenheit: "dem Men¬ schen, d.h. jedem Menschen ziemt es zu lieben: Lieben ist die Pflicht und der Beruf des Menschen u.s.w."
Folglich muß Ich die Liebe Mir wieder vindiciren und sie aus der Macht des Menschen erlösen.
Was ursprünglich mein war, aber zufällig, instinct¬ mäßig, das wurde Mir als Eigenthum des Menschen ver¬ liehen; Ich wurde Lehnsträger, indem Ich liebte, wurde der
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Der bisherige Verkehr beruhte auf der Liebe, dem rück¬ ſichtsvollen Benehmen, dem Füreinanderthun. Wie man ſich's ſchuldig war, ſich ſelig zu machen oder die Seligkeit, das höchſte Weſen in ſich aufzunehmen und zu einer verité (einer Wahrheit und Wirklichkeit) zu bringen, ſo war man's Andern ſchuldig, ihr Weſen und ihren Beruf ihnen realiſiren zu helfen: man war's eben in beiden Fällen dem Weſen des Menſchen ſchuldig, zu ſeiner Verwirklichung beizutragen.
Allein man iſt weder ſich ſchuldig, etwas aus ſich, noch Andern, etwas aus ihnen zu machen: denn man iſt ſeinem und Anderer Weſen nichts ſchuldig. Der auf das Weſen ge¬ ſtützte Verkehr iſt ein Verkehr mit dem Spuk, nicht mit Wirk¬ lichem. Verkehre Ich mit dem höchſten Weſen, ſo verkehre Ich nicht mit Mir, und verkehre Ich mit dem Weſen des Menſchen, ſo verkehre Ich nicht mit den Menſchen.
Die Liebe des natürlichen Menſchen wird durch die Bil¬ dung ein Gebot. Als Gebot aber gehört ſie dem Menſchen als ſolchem, nicht Mir; ſie iſt mein Weſen, von dem man viel Weſens macht, nicht mein Eigenthum. Der Menſch, d.h. die Menſchlichkeit, ſtellt jene Forderung an Mich; die Liebe wird gefordert, iſt meine Pflicht. Statt alſo wirklich Mir errungen zu ſein, iſt ſie dem Allgemeinen errungen, dem Menſchen, als deſſen Eigenthum oder Eigenheit: „dem Men¬ ſchen, d.h. jedem Menſchen ziemt es zu lieben: Lieben iſt die Pflicht und der Beruf des Menſchen u.s.w.“
Folglich muß Ich die Liebe Mir wieder vindiciren und ſie aus der Macht des Menſchen erlöſen.
Was urſprünglich mein war, aber zufällig, inſtinct¬ mäßig, das wurde Mir als Eigenthum des Menſchen ver¬ liehen; Ich wurde Lehnsträger, indem Ich liebte, wurde der
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Der bisherige Verkehr beruhte auf der Liebe, dem rück¬
ſichtsvollen Benehmen, dem Füreinanderthun. Wie man
ſich's ſchuldig war, ſich ſelig zu machen oder die Seligkeit,
das höchſte Weſen in ſich aufzunehmen und zu einer verité
(einer Wahrheit und Wirklichkeit) zu bringen, ſo war man's
Andern ſchuldig, ihr Weſen und ihren Beruf ihnen realiſiren
zu helfen: man war's eben in beiden Fällen dem Weſen des
Menſchen ſchuldig, zu ſeiner Verwirklichung beizutragen.
Allein man iſt weder ſich ſchuldig, etwas aus ſich, noch
Andern, etwas aus ihnen zu machen: denn man iſt ſeinem
und Anderer Weſen nichts ſchuldig. Der auf das Weſen ge¬
ſtützte Verkehr iſt ein Verkehr mit dem Spuk, nicht mit Wirk¬
lichem. Verkehre Ich mit dem höchſten Weſen, ſo verkehre
Ich nicht mit Mir, und verkehre Ich mit dem Weſen des
Menſchen, ſo verkehre Ich nicht mit den Menſchen.
Die Liebe des natürlichen Menſchen wird durch die Bil¬
dung ein Gebot. Als Gebot aber gehört ſie dem Menſchen
als ſolchem, nicht Mir; ſie iſt mein Weſen, von dem man
viel Weſens macht, nicht mein Eigenthum. Der Menſch, d.h.
die Menſchlichkeit, ſtellt jene Forderung an Mich; die Liebe
wird gefordert, iſt meine Pflicht. Statt alſo wirklich
Mir errungen zu ſein, iſt ſie dem Allgemeinen errungen, dem
Menſchen, als deſſen Eigenthum oder Eigenheit: „dem Men¬
ſchen, d.h. jedem Menſchen ziemt es zu lieben: Lieben iſt die
Pflicht und der Beruf des Menſchen u.s.w.“
Folglich muß Ich die Liebe Mir wieder vindiciren und
ſie aus der Macht des Menſchen erlöſen.
Was urſprünglich mein war, aber zufällig, inſtinct¬
mäßig, das wurde Mir als Eigenthum des Menſchen ver¬
liehen; Ich wurde Lehnsträger, indem Ich liebte, wurde der
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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 385. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/393>, abgerufen am 23.11.2024.
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