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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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Götter u. s. w. ihre Gedanken, und bewiesen sich eifrig thätig,
alles dieß sich zum Bewußtsein zu bringen. Allein den Ge¬
danken kannten sie nicht, wenn sie auch an allerlei dachten und
"sich mit ihren Gedanken plagten". Man vergleiche ihnen
gegenüber den christlichen Spruch: "Meine Gedanken sind nicht
Eure Gedanken, und so viel der Himmel höher ist, denn die
Erde, so sind auch Meine Gedanken höher, denn Eure Gedan¬
ken," und erinnere sich dessen, was oben über Unsere Kinder¬
gedanken gesagt wurde.

Was sucht also das Alterthum? Den wahren Lebens¬
genuß, Genuß des Lebens! Am Ende wird es auf das
"wahre Leben" hinauskommen.

Der griechische Dichter Simonides singt: "Gesundheit ist
das edelste Gut dem sterblichen Menschen, das Nächste nach
diesem ist Schönheit, das dritte Reichthum ohne Tücke erlanget,
das vierte geselliger Freuden Genuß in junger Freunde Gesell¬
schaft." Das sind alles Lebensgüter, Lebensfreuden. Wo¬
nach anders suchte Diogenes von Sinope, als nach dem wahren
Lebensgenuß, den er in der möglichst geringen Bedürftigkeit ent¬
deckte? Wonach anders Aristipp, der ihn im heiteren Muthe unter
allen Lagen fand? Sie suchen den heitern, ungetrübten Lebens¬
muth, die Heiterkeit, sie suchen "guter Dinge zu sein".

Die Stoiker wollen den Weisen verwirklichen, den Mann
der Lebensweisheit, den Mann der zu leben weiß, also
ein weises Leben; sie finden ihn in der Verachtung der Welt,
in einem Leben ohne Lebensentwickelung, ohne Ausbreitung,
ohne freundliches Vernehmen mit der Welt, d. h. im isolir¬
ten Leben, im Leben als Leben, nicht im Mitleben: nur der
Stoiker lebt, alles Andere ist für ihn todt. Umgekehrt ver¬
langen die Epicuräer ein bewegliches Leben.

Götter u. ſ. w. ihre Gedanken, und bewieſen ſich eifrig thätig,
alles dieß ſich zum Bewußtſein zu bringen. Allein den Ge¬
danken kannten ſie nicht, wenn ſie auch an allerlei dachten und
„ſich mit ihren Gedanken plagten“. Man vergleiche ihnen
gegenüber den chriſtlichen Spruch: „Meine Gedanken ſind nicht
Eure Gedanken, und ſo viel der Himmel höher iſt, denn die
Erde, ſo ſind auch Meine Gedanken höher, denn Eure Gedan¬
ken,“ und erinnere ſich deſſen, was oben über Unſere Kinder¬
gedanken geſagt wurde.

Was ſucht alſo das Alterthum? Den wahren Lebens¬
genuß, Genuß des Lebens! Am Ende wird es auf das
„wahre Leben“ hinauskommen.

Der griechiſche Dichter Simonides ſingt: „Geſundheit iſt
das edelſte Gut dem ſterblichen Menſchen, das Nächſte nach
dieſem iſt Schönheit, das dritte Reichthum ohne Tücke erlanget,
das vierte geſelliger Freuden Genuß in junger Freunde Geſell¬
ſchaft.“ Das ſind alles Lebensgüter, Lebensfreuden. Wo¬
nach anders ſuchte Diogenes von Sinope, als nach dem wahren
Lebensgenuß, den er in der möglichſt geringen Bedürftigkeit ent¬
deckte? Wonach anders Ariſtipp, der ihn im heiteren Muthe unter
allen Lagen fand? Sie ſuchen den heitern, ungetrübten Lebens¬
muth, die Heiterkeit, ſie ſuchen „guter Dinge zu ſein“.

Die Stoiker wollen den Weiſen verwirklichen, den Mann
der Lebensweisheit, den Mann der zu leben weiß, alſo
ein weiſes Leben; ſie finden ihn in der Verachtung der Welt,
in einem Leben ohne Lebensentwickelung, ohne Ausbreitung,
ohne freundliches Vernehmen mit der Welt, d. h. im iſolir¬
ten Leben, im Leben als Leben, nicht im Mitleben: nur der
Stoiker lebt, alles Andere iſt für ihn todt. Umgekehrt ver¬
langen die Epicuräer ein bewegliches Leben.

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[30/0038] Götter u. ſ. w. ihre Gedanken, und bewieſen ſich eifrig thätig, alles dieß ſich zum Bewußtſein zu bringen. Allein den Ge¬ danken kannten ſie nicht, wenn ſie auch an allerlei dachten und „ſich mit ihren Gedanken plagten“. Man vergleiche ihnen gegenüber den chriſtlichen Spruch: „Meine Gedanken ſind nicht Eure Gedanken, und ſo viel der Himmel höher iſt, denn die Erde, ſo ſind auch Meine Gedanken höher, denn Eure Gedan¬ ken,“ und erinnere ſich deſſen, was oben über Unſere Kinder¬ gedanken geſagt wurde. Was ſucht alſo das Alterthum? Den wahren Lebens¬ genuß, Genuß des Lebens! Am Ende wird es auf das „wahre Leben“ hinauskommen. Der griechiſche Dichter Simonides ſingt: „Geſundheit iſt das edelſte Gut dem ſterblichen Menſchen, das Nächſte nach dieſem iſt Schönheit, das dritte Reichthum ohne Tücke erlanget, das vierte geſelliger Freuden Genuß in junger Freunde Geſell¬ ſchaft.“ Das ſind alles Lebensgüter, Lebensfreuden. Wo¬ nach anders ſuchte Diogenes von Sinope, als nach dem wahren Lebensgenuß, den er in der möglichſt geringen Bedürftigkeit ent¬ deckte? Wonach anders Ariſtipp, der ihn im heiteren Muthe unter allen Lagen fand? Sie ſuchen den heitern, ungetrübten Lebens¬ muth, die Heiterkeit, ſie ſuchen „guter Dinge zu ſein“. Die Stoiker wollen den Weiſen verwirklichen, den Mann der Lebensweisheit, den Mann der zu leben weiß, alſo ein weiſes Leben; ſie finden ihn in der Verachtung der Welt, in einem Leben ohne Lebensentwickelung, ohne Ausbreitung, ohne freundliches Vernehmen mit der Welt, d. h. im iſolir¬ ten Leben, im Leben als Leben, nicht im Mitleben: nur der Stoiker lebt, alles Andere iſt für ihn todt. Umgekehrt ver¬ langen die Epicuräer ein bewegliches Leben.

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/38>, abgerufen am 18.04.2024.