Man ist nicht werth zu haben, was man sich aus Schwachheit nehmen läßt; man ist's nicht werth, weil man's nicht fähig ist.
Gewaltigen Lärm erhebt man über das "tausendjährige Unrecht", welches von den Reichen gegen die Armen begangen werde. Als hätten die Reichen die Armuth verschuldet, und verschuldeten nicht gleicherweise die Armen den Reichthum! Ist zwischen beiden ein anderer Unterschied als der des Ver¬ mögens und Unvermögens, der Vermögenden und Unvermö¬ genden? Worin besteht denn das Verbrechen der Reichen? "In ihrer Hartherzigkeit." Aber wer hat denn die Armen er¬ halten, wer hat für ihre Ernährung gesorgt, wenn sie nichts mehr arbeiten konnten, wer hat Almosen gespendet, jene Almo¬ sen, die sogar ihren Namen von der Barmherzigkeit (Eleemo¬ syne) haben? Sind die Reichen nicht allezeit "barmherzig" gewesen, sind sie nicht bis auf den heutigen Tag "mildthätig", wie Armentaren, Spitäler, Stiftungen aller Art u. s. w. be¬ weisen?
Aber das alles genügt Euch nicht! Sie sollen also wohl mit den Armen theilen? Da fordert Ihr, daß sie die Ar¬ muth aufheben sollen. Abgesehen davon, daß kaum Einer unter Euch so handeln möchte, und daß dieser Eine eben ein Thor wäre, so fragt Euch doch: warum sollen die Reichen Haar lassen und sich aufgeben, während den Armen dieselbe Handlung viel nützlicher wäre? Du, der Du täglich deinen Thaler hast, bist reich vor Tausenden, die von vier Groschen leben. Liegt es in deinem Interesse, mit den Tausenden zu theilen, oder liegt es nicht vielmehr in dem ihrigen? -- --
Mit der Concurrenz ist weniger die Absicht verbunden, die Sache am besten zu machen, als die andere, sie möglichst
Man iſt nicht werth zu haben, was man ſich aus Schwachheit nehmen läßt; man iſt's nicht werth, weil man's nicht fähig iſt.
Gewaltigen Lärm erhebt man über das „tauſendjährige Unrecht“, welches von den Reichen gegen die Armen begangen werde. Als hätten die Reichen die Armuth verſchuldet, und verſchuldeten nicht gleicherweiſe die Armen den Reichthum! Iſt zwiſchen beiden ein anderer Unterſchied als der des Ver¬ mögens und Unvermögens, der Vermögenden und Unvermö¬ genden? Worin beſteht denn das Verbrechen der Reichen? „In ihrer Hartherzigkeit.“ Aber wer hat denn die Armen er¬ halten, wer hat für ihre Ernährung geſorgt, wenn ſie nichts mehr arbeiten konnten, wer hat Almoſen geſpendet, jene Almo¬ ſen, die ſogar ihren Namen von der Barmherzigkeit (Eleemo¬ ſyne) haben? Sind die Reichen nicht allezeit „barmherzig“ geweſen, ſind ſie nicht bis auf den heutigen Tag „mildthätig“, wie Armentaren, Spitäler, Stiftungen aller Art u. ſ. w. be¬ weiſen?
Aber das alles genügt Euch nicht! Sie ſollen alſo wohl mit den Armen theilen? Da fordert Ihr, daß ſie die Ar¬ muth aufheben ſollen. Abgeſehen davon, daß kaum Einer unter Euch ſo handeln möchte, und daß dieſer Eine eben ein Thor wäre, ſo fragt Euch doch: warum ſollen die Reichen Haar laſſen und ſich aufgeben, während den Armen dieſelbe Handlung viel nützlicher wäre? Du, der Du täglich deinen Thaler haſt, biſt reich vor Tauſenden, die von vier Groſchen leben. Liegt es in deinem Intereſſe, mit den Tauſenden zu theilen, oder liegt es nicht vielmehr in dem ihrigen? — —
Mit der Concurrenz iſt weniger die Abſicht verbunden, die Sache am beſten zu machen, als die andere, ſie möglichſt
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0362"n="35 [354]"/><p>Man iſt nicht werth zu haben, was man ſich aus<lb/>
Schwachheit nehmen läßt; man iſt's nicht werth, weil man's<lb/>
nicht fähig iſt.</p><lb/><p>Gewaltigen Lärm erhebt man über das „tauſendjährige<lb/>
Unrecht“, welches von den Reichen gegen die Armen begangen<lb/>
werde. Als hätten die Reichen die Armuth verſchuldet, und<lb/>
verſchuldeten nicht gleicherweiſe die Armen den Reichthum!<lb/>
Iſt zwiſchen beiden ein anderer Unterſchied als der des Ver¬<lb/>
mögens und Unvermögens, der Vermögenden und Unvermö¬<lb/>
genden? Worin beſteht denn das Verbrechen der Reichen?<lb/>„In ihrer Hartherzigkeit.“ Aber wer hat denn die Armen er¬<lb/>
halten, wer hat für ihre Ernährung geſorgt, wenn ſie nichts<lb/>
mehr arbeiten konnten, wer hat Almoſen geſpendet, jene Almo¬<lb/>ſen, die ſogar ihren Namen von der Barmherzigkeit (Eleemo¬<lb/>ſyne) haben? Sind die Reichen nicht allezeit „barmherzig“<lb/>
geweſen, ſind ſie nicht bis auf den heutigen Tag „mildthätig“,<lb/>
wie Armentaren, Spitäler, Stiftungen aller Art u. ſ. w. be¬<lb/>
weiſen?</p><lb/><p>Aber das alles genügt Euch nicht! Sie ſollen alſo wohl<lb/>
mit den Armen <hirendition="#g">theilen</hi>? Da fordert Ihr, daß ſie die Ar¬<lb/>
muth aufheben ſollen. Abgeſehen davon, daß kaum Einer<lb/>
unter Euch ſo handeln möchte, und daß dieſer Eine eben ein<lb/>
Thor wäre, ſo fragt Euch doch: warum ſollen die Reichen<lb/>
Haar laſſen und <hirendition="#g">ſich</hi> aufgeben, während den Armen dieſelbe<lb/>
Handlung viel nützlicher wäre? Du, der Du täglich deinen<lb/>
Thaler haſt, biſt reich vor Tauſenden, die von vier Groſchen<lb/>
leben. Liegt es in deinem Intereſſe, mit den Tauſenden zu<lb/>
theilen, oder liegt es nicht vielmehr in dem ihrigen? ——</p><lb/><p>Mit der Concurrenz iſt weniger die Abſicht verbunden, die<lb/>
Sache <hirendition="#g">am beſten</hi> zu machen, als die andere, ſie möglichſt<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[35 [354]/0362]
Man iſt nicht werth zu haben, was man ſich aus
Schwachheit nehmen läßt; man iſt's nicht werth, weil man's
nicht fähig iſt.
Gewaltigen Lärm erhebt man über das „tauſendjährige
Unrecht“, welches von den Reichen gegen die Armen begangen
werde. Als hätten die Reichen die Armuth verſchuldet, und
verſchuldeten nicht gleicherweiſe die Armen den Reichthum!
Iſt zwiſchen beiden ein anderer Unterſchied als der des Ver¬
mögens und Unvermögens, der Vermögenden und Unvermö¬
genden? Worin beſteht denn das Verbrechen der Reichen?
„In ihrer Hartherzigkeit.“ Aber wer hat denn die Armen er¬
halten, wer hat für ihre Ernährung geſorgt, wenn ſie nichts
mehr arbeiten konnten, wer hat Almoſen geſpendet, jene Almo¬
ſen, die ſogar ihren Namen von der Barmherzigkeit (Eleemo¬
ſyne) haben? Sind die Reichen nicht allezeit „barmherzig“
geweſen, ſind ſie nicht bis auf den heutigen Tag „mildthätig“,
wie Armentaren, Spitäler, Stiftungen aller Art u. ſ. w. be¬
weiſen?
Aber das alles genügt Euch nicht! Sie ſollen alſo wohl
mit den Armen theilen? Da fordert Ihr, daß ſie die Ar¬
muth aufheben ſollen. Abgeſehen davon, daß kaum Einer
unter Euch ſo handeln möchte, und daß dieſer Eine eben ein
Thor wäre, ſo fragt Euch doch: warum ſollen die Reichen
Haar laſſen und ſich aufgeben, während den Armen dieſelbe
Handlung viel nützlicher wäre? Du, der Du täglich deinen
Thaler haſt, biſt reich vor Tauſenden, die von vier Groſchen
leben. Liegt es in deinem Intereſſe, mit den Tauſenden zu
theilen, oder liegt es nicht vielmehr in dem ihrigen? — —
Mit der Concurrenz iſt weniger die Abſicht verbunden, die
Sache am beſten zu machen, als die andere, ſie möglichſt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 35 [354]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/362>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.