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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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und nur dieser machen muß, nämlich seine Verwerthung.
Ungerecht ist jedes Volk, jeder Staat gegen den Egoisten.

So lange auch nur Eine Institution noch besteht, welche
der Einzelne nicht auflösen darf, ist die Eigenheit und Selbst¬
angehörigkeit Meiner noch sehr fern. Wie kann Ich z. B.
frei sein, wenn Ich eidlich an eine Constitution, eine Charte,
ein Gesetz Mich binden, meinem Volke "Leib und Seele ver¬
schwören" muß? Wie kann Ich eigen sein, wenn meine Fä¬
higkeiten sich nur so weit entwickeln dürfen, als sie die "Har¬
monie der Gesellschaft nicht stören" (Weitling).

Der Untergang der Völker und der Menschheit wird Mich
zum Aufgange einladen.

Horch, eben da Ich dieß schreibe, fangen die Glocken an
zu läuten, um für den morgenden Tag die Feier des tausend¬
jährigen Bestandes unseres lieben Deutschlands einzuklingeln.
Läutet, läutet seinen Grabgesang! Ihr klingt ja feierlich ge¬
nug, als bewegte eure Zunge die Ahnung, daß sie einem
Todten das Geleit gebe. Deutsches Volk und deutsche Völker
haben eine Geschichte von tausend Jahren hinter sich: welch
langes Leben! Geht denn ein zur Ruhe, zum Nimmeraufer¬
stehen, auf daß Alle frei werden, die Ihr so lange in Fesseln
hieltet. -- Todt ist das Volk. -- Wohlauf Ich!

O Du mein vielgequältes, deutsches Volk -- was war
deine Qual? Es war die Qual eines Gedankens, der keinen
Leib sich erschaffen kann, die Qual eines spukenden Geistes,
der vor jedem Hahnenschrei in nichts zerrinnt und doch nach
Erlösung und Erfüllung schmachtet. Auch in Mir hast Du
lange gelebt, Du lieber -- Gedanke, Du lieber -- Spuk.
Fast wähnte Ich schon das Wort deiner Erlösung gefunden,
für den irrenden Geist Fleisch und Bein entdeckt zu haben: da

und nur dieſer machen muß, nämlich ſeine Verwerthung.
Ungerecht iſt jedes Volk, jeder Staat gegen den Egoiſten.

So lange auch nur Eine Inſtitution noch beſteht, welche
der Einzelne nicht auflöſen darf, iſt die Eigenheit und Selbſt¬
angehörigkeit Meiner noch ſehr fern. Wie kann Ich z. B.
frei ſein, wenn Ich eidlich an eine Conſtitution, eine Charte,
ein Geſetz Mich binden, meinem Volke „Leib und Seele ver¬
ſchwören“ muß? Wie kann Ich eigen ſein, wenn meine Fä¬
higkeiten ſich nur ſo weit entwickeln dürfen, als ſie die „Har¬
monie der Geſellſchaft nicht ſtören“ (Weitling).

Der Untergang der Völker und der Menſchheit wird Mich
zum Aufgange einladen.

Horch, eben da Ich dieß ſchreibe, fangen die Glocken an
zu läuten, um für den morgenden Tag die Feier des tauſend¬
jährigen Beſtandes unſeres lieben Deutſchlands einzuklingeln.
Läutet, läutet ſeinen Grabgeſang! Ihr klingt ja feierlich ge¬
nug, als bewegte eure Zunge die Ahnung, daß ſie einem
Todten das Geleit gebe. Deutſches Volk und deutſche Völker
haben eine Geſchichte von tauſend Jahren hinter ſich: welch
langes Leben! Geht denn ein zur Ruhe, zum Nimmeraufer¬
ſtehen, auf daß Alle frei werden, die Ihr ſo lange in Feſſeln
hieltet. — Todt iſt das Volk. — Wohlauf Ich!

O Du mein vielgequältes, deutſches Volk — was war
deine Qual? Es war die Qual eines Gedankens, der keinen
Leib ſich erſchaffen kann, die Qual eines ſpukenden Geiſtes,
der vor jedem Hahnenſchrei in nichts zerrinnt und doch nach
Erlöſung und Erfüllung ſchmachtet. Auch in Mir haſt Du
lange gelebt, Du lieber — Gedanke, Du lieber — Spuk.
Faſt wähnte Ich ſchon das Wort deiner Erlöſung gefunden,
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[285/0293] und nur dieſer machen muß, nämlich ſeine Verwerthung. Ungerecht iſt jedes Volk, jeder Staat gegen den Egoiſten. So lange auch nur Eine Inſtitution noch beſteht, welche der Einzelne nicht auflöſen darf, iſt die Eigenheit und Selbſt¬ angehörigkeit Meiner noch ſehr fern. Wie kann Ich z. B. frei ſein, wenn Ich eidlich an eine Conſtitution, eine Charte, ein Geſetz Mich binden, meinem Volke „Leib und Seele ver¬ ſchwören“ muß? Wie kann Ich eigen ſein, wenn meine Fä¬ higkeiten ſich nur ſo weit entwickeln dürfen, als ſie die „Har¬ monie der Geſellſchaft nicht ſtören“ (Weitling). Der Untergang der Völker und der Menſchheit wird Mich zum Aufgange einladen. Horch, eben da Ich dieß ſchreibe, fangen die Glocken an zu läuten, um für den morgenden Tag die Feier des tauſend¬ jährigen Beſtandes unſeres lieben Deutſchlands einzuklingeln. Läutet, läutet ſeinen Grabgeſang! Ihr klingt ja feierlich ge¬ nug, als bewegte eure Zunge die Ahnung, daß ſie einem Todten das Geleit gebe. Deutſches Volk und deutſche Völker haben eine Geſchichte von tauſend Jahren hinter ſich: welch langes Leben! Geht denn ein zur Ruhe, zum Nimmeraufer¬ ſtehen, auf daß Alle frei werden, die Ihr ſo lange in Feſſeln hieltet. — Todt iſt das Volk. — Wohlauf Ich! O Du mein vielgequältes, deutſches Volk — was war deine Qual? Es war die Qual eines Gedankens, der keinen Leib ſich erſchaffen kann, die Qual eines ſpukenden Geiſtes, der vor jedem Hahnenſchrei in nichts zerrinnt und doch nach Erlöſung und Erfüllung ſchmachtet. Auch in Mir haſt Du lange gelebt, Du lieber — Gedanke, Du lieber — Spuk. Faſt wähnte Ich ſchon das Wort deiner Erlöſung gefunden, für den irrenden Geiſt Fleiſch und Bein entdeckt zu haben: da

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/293>, abgerufen am 23.11.2024.