tung, den Menschen in ihm gedeihen zu lassen." *)Versteht man hier, wie Bettina, unter dem Menschen den Begriff "Mensch", so hat sie Recht: der "malade" Staat wird durch das Gedeihen "des Menschen" genesen, denn je vernarrter die Einzelnen in "den Menschen" sind, desto besser steht sich der Staat dabei. Bezöge man's aber auf den Einzelnen, auf "Alle" (und halb und halb thut dieß die Verfasserin gleichfalls, weil sie über "den Menschen" im Unklaren stecken bleibt), so klänge es etwa, wie Folgendes: Für eine malade Räuberbande ist's der einzige Weg der Rettung, den loyalen Bürger in ihr gedeihen zu lassen! Darüber ginge ja eben die Räuberbande als Räuberbande zu Grunde, und weil sie das spürt, darum er¬ schießt sie lieber Jeden, der einen Zug hat, ein "ordentlicher Kerl" zu werden.
Bettina ist in diesem Buche eine Patriotin oder, was wenig mehr, eine Philanthropin, eine Menschenbeglückerin. Sie ist ganz in derselben Weise mit dem Bestehenden unzufrieden, wie es das Titelgespenst ihres Buches nebst Allen ist, die den guten, alten Glauben, und was daran hängt, zurückführen möchten. Nur denkt sie umgekehrt, die Politiker, Staatsdiener und Diplomaten verdürben den Staat, während jene dasselbe den Böswilligen, den "Volksverführern" in die Schuhe schieben.
Was ist der gewöhnliche Verbrecher anders, als einer, der das verhängnißvolle Versehen begangen hat, nach dem zu streben, was des Volkes ist, statt nach dem Seinen zu suchen. Er hat das verächtliche, fremde Gut gesucht, hat gethan, was die Gläubigen thun: die nach dem trachten, was Gottes ist. Was thut der Priester, der den Verbrecher vermahnt? Er
*) S. 385.
tung, den Menſchen in ihm gedeihen zu laſſen.“ *)Verſteht man hier, wie Bettina, unter dem Menſchen den Begriff „Menſch“, ſo hat ſie Recht: der „malade“ Staat wird durch das Gedeihen „des Menſchen“ geneſen, denn je vernarrter die Einzelnen in „den Menſchen“ ſind, deſto beſſer ſteht ſich der Staat dabei. Bezöge man's aber auf den Einzelnen, auf „Alle“ (und halb und halb thut dieß die Verfaſſerin gleichfalls, weil ſie über „den Menſchen“ im Unklaren ſtecken bleibt), ſo klänge es etwa, wie Folgendes: Für eine malade Räuberbande iſt's der einzige Weg der Rettung, den loyalen Bürger in ihr gedeihen zu laſſen! Darüber ginge ja eben die Räuberbande als Räuberbande zu Grunde, und weil ſie das ſpürt, darum er¬ ſchießt ſie lieber Jeden, der einen Zug hat, ein „ordentlicher Kerl“ zu werden.
Bettina iſt in dieſem Buche eine Patriotin oder, was wenig mehr, eine Philanthropin, eine Menſchenbeglückerin. Sie iſt ganz in derſelben Weiſe mit dem Beſtehenden unzufrieden, wie es das Titelgeſpenſt ihres Buches nebſt Allen iſt, die den guten, alten Glauben, und was daran hängt, zurückführen möchten. Nur denkt ſie umgekehrt, die Politiker, Staatsdiener und Diplomaten verdürben den Staat, während jene daſſelbe den Böswilligen, den „Volksverführern“ in die Schuhe ſchieben.
Was iſt der gewöhnliche Verbrecher anders, als einer, der das verhängnißvolle Verſehen begangen hat, nach dem zu ſtreben, was des Volkes iſt, ſtatt nach dem Seinen zu ſuchen. Er hat das verächtliche, fremde Gut geſucht, hat gethan, was die Gläubigen thun: die nach dem trachten, was Gottes iſt. Was thut der Prieſter, der den Verbrecher vermahnt? Er
*) S. 385.
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tung, den Menſchen in ihm gedeihen zu laſſen.“ *)Verſteht
man hier, wie Bettina, unter dem Menſchen den Begriff
„Menſch“, ſo hat ſie Recht: der „malade“ Staat wird durch
das Gedeihen „des Menſchen“ geneſen, denn je vernarrter die
Einzelnen in „den Menſchen“ ſind, deſto beſſer ſteht ſich der
Staat dabei. Bezöge man's aber auf den Einzelnen, auf
„Alle“ (und halb und halb thut dieß die Verfaſſerin gleichfalls,
weil ſie über „den Menſchen“ im Unklaren ſtecken bleibt), ſo
klänge es etwa, wie Folgendes: Für eine malade Räuberbande
iſt's der einzige Weg der Rettung, den loyalen Bürger in ihr
gedeihen zu laſſen! Darüber ginge ja eben die Räuberbande als
Räuberbande zu Grunde, und weil ſie das ſpürt, darum er¬
ſchießt ſie lieber Jeden, der einen Zug hat, ein „ordentlicher
Kerl“ zu werden.
Bettina iſt in dieſem Buche eine Patriotin oder, was
wenig mehr, eine Philanthropin, eine Menſchenbeglückerin. Sie
iſt ganz in derſelben Weiſe mit dem Beſtehenden unzufrieden,
wie es das Titelgeſpenſt ihres Buches nebſt Allen iſt, die den
guten, alten Glauben, und was daran hängt, zurückführen
möchten. Nur denkt ſie umgekehrt, die Politiker, Staatsdiener
und Diplomaten verdürben den Staat, während jene daſſelbe den
Böswilligen, den „Volksverführern“ in die Schuhe ſchieben.
Was iſt der gewöhnliche Verbrecher anders, als einer,
der das verhängnißvolle Verſehen begangen hat, nach dem zu
ſtreben, was des Volkes iſt, ſtatt nach dem Seinen zu ſuchen.
Er hat das verächtliche, fremde Gut geſucht, hat gethan,
was die Gläubigen thun: die nach dem trachten, was Gottes
iſt. Was thut der Prieſter, der den Verbrecher vermahnt? Er
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S. 385.
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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/273>, abgerufen am 23.11.2024.
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