Wir pflegen die Staaten nach der verschiedenen Art, wie "die höchste Gewalt" vertheilt ist, zu classificiren. Hat sie ein Einzelner -- Monarchie, Alle -- Demokratie u. s. w. Also die höchste Gewalt! Gewalt gegen wen? Gegen den Ein¬ zelnen und seinen "Eigenwillen". Der Staat übt "Gewalt", der Einzelne darf dieß nicht. Des Staates Betragen ist Ge¬ waltthätigkeit, und seine Gewalt nennt er "Recht", die des Einzelnen "Verbrechen". Verbrechen also, so heißt die Ge¬ walt des Einzelnen, und nur durch Verbrechen bricht er die Gewalt des Staates, wenn er der Meinung ist, daß der Staat nicht über ihm, sondern er über dem Staate sei.
Nun könnte Ich, wollte Ich lächerlich handeln, als ein Wohlmeinender Euch ermahmen, keine Gesetze zu geben, welche meine Selbstentwicklung, Selbstthätigkeit, Selbstschöpfung beein¬ trächtigen. Ich gebe diesen Rath nicht. Denn würdet Ihr ihn befolgen, so wäret Ihr unklug, und Ich wäre um meinen ganzen Gewinn betrogen. Von Euch verlange Ich gar nichts, denn, was Ich auch forderte, Ihr würdet doch gebieterische Gesetzgeber sein und müßt es sein, weil ein Rabe nicht singen, ein Räuber ohne Raub nicht leben kann. Vielmehr frage Ich diejenigen, welche Egoisten sein wollen, was sie für egoistischer halten, sich von Euch Gesetze geben zu lassen, und die gegebe¬ nen zu respectiren, oder Widerspenstigkeit, ja völligen Un¬ gehorsam zu üben. Gutmüthige Leute meinen, die Gesetze müßten nur das vorschreiben, was im Gefühl des Volkes als recht und billig gelte. Was aber geht Mich's an, was im Volke und dem Volke gilt? Das Volk wird vielleicht gegen den Gotteslästerer sein; also ein Gesetz gegen Gotteslästerung. Soll Ich darum nicht lästern? Soll Mir dieß Gesetz mehr sein, als ein "Befehl"? Ich frage!
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Wir pflegen die Staaten nach der verſchiedenen Art, wie „die höchſte Gewalt“ vertheilt iſt, zu claſſificiren. Hat ſie ein Einzelner — Monarchie, Alle — Demokratie u. ſ. w. Alſo die höchſte Gewalt! Gewalt gegen wen? Gegen den Ein¬ zelnen und ſeinen „Eigenwillen“. Der Staat übt „Gewalt“, der Einzelne darf dieß nicht. Des Staates Betragen iſt Ge¬ waltthätigkeit, und ſeine Gewalt nennt er „Recht“, die des Einzelnen „Verbrechen“. Verbrechen alſo, ſo heißt die Ge¬ walt des Einzelnen, und nur durch Verbrechen bricht er die Gewalt des Staates, wenn er der Meinung iſt, daß der Staat nicht über ihm, ſondern er über dem Staate ſei.
Nun könnte Ich, wollte Ich lächerlich handeln, als ein Wohlmeinender Euch ermahmen, keine Geſetze zu geben, welche meine Selbſtentwicklung, Selbſtthätigkeit, Selbſtſchöpfung beein¬ trächtigen. Ich gebe dieſen Rath nicht. Denn würdet Ihr ihn befolgen, ſo wäret Ihr unklug, und Ich wäre um meinen ganzen Gewinn betrogen. Von Euch verlange Ich gar nichts, denn, was Ich auch forderte, Ihr würdet doch gebieteriſche Geſetzgeber ſein und müßt es ſein, weil ein Rabe nicht ſingen, ein Räuber ohne Raub nicht leben kann. Vielmehr frage Ich diejenigen, welche Egoiſten ſein wollen, was ſie für egoiſtiſcher halten, ſich von Euch Geſetze geben zu laſſen, und die gegebe¬ nen zu reſpectiren, oder Widerſpenſtigkeit, ja völligen Un¬ gehorſam zu üben. Gutmüthige Leute meinen, die Geſetze müßten nur das vorſchreiben, was im Gefühl des Volkes als recht und billig gelte. Was aber geht Mich's an, was im Volke und dem Volke gilt? Das Volk wird vielleicht gegen den Gottesläſterer ſein; alſo ein Geſetz gegen Gottesläſterung. Soll Ich darum nicht läſtern? Soll Mir dieß Geſetz mehr ſein, als ein „Befehl“? Ich frage!
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Wir pflegen die Staaten nach der verſchiedenen Art, wie
„die höchſte Gewalt“ vertheilt iſt, zu claſſificiren. Hat ſie ein
Einzelner — Monarchie, Alle — Demokratie u. ſ. w. Alſo
die höchſte Gewalt! Gewalt gegen wen? Gegen den Ein¬
zelnen und ſeinen „Eigenwillen“. Der Staat übt „Gewalt“,
der Einzelne darf dieß nicht. Des Staates Betragen iſt Ge¬
waltthätigkeit, und ſeine Gewalt nennt er „Recht“, die des
Einzelnen „Verbrechen“. Verbrechen alſo, ſo heißt die Ge¬
walt des Einzelnen, und nur durch Verbrechen bricht er die
Gewalt des Staates, wenn er der Meinung iſt, daß der Staat
nicht über ihm, ſondern er über dem Staate ſei.
Nun könnte Ich, wollte Ich lächerlich handeln, als ein
Wohlmeinender Euch ermahmen, keine Geſetze zu geben, welche
meine Selbſtentwicklung, Selbſtthätigkeit, Selbſtſchöpfung beein¬
trächtigen. Ich gebe dieſen Rath nicht. Denn würdet Ihr
ihn befolgen, ſo wäret Ihr unklug, und Ich wäre um meinen
ganzen Gewinn betrogen. Von Euch verlange Ich gar nichts,
denn, was Ich auch forderte, Ihr würdet doch gebieteriſche
Geſetzgeber ſein und müßt es ſein, weil ein Rabe nicht ſingen,
ein Räuber ohne Raub nicht leben kann. Vielmehr frage Ich
diejenigen, welche Egoiſten ſein wollen, was ſie für egoiſtiſcher
halten, ſich von Euch Geſetze geben zu laſſen, und die gegebe¬
nen zu reſpectiren, oder Widerſpenſtigkeit, ja völligen Un¬
gehorſam zu üben. Gutmüthige Leute meinen, die Geſetze
müßten nur das vorſchreiben, was im Gefühl des Volkes als
recht und billig gelte. Was aber geht Mich's an, was im
Volke und dem Volke gilt? Das Volk wird vielleicht gegen
den Gottesläſterer ſein; alſo ein Geſetz gegen Gottesläſterung.
Soll Ich darum nicht läſtern? Soll Mir dieß Geſetz mehr
ſein, als ein „Befehl“? Ich frage!
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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/267>, abgerufen am 23.11.2024.
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