Damit verliere Ich aber, der Ich Mich so eben als Geist gefunden hatte, sogleich Mich wieder, indem Ich vor dem voll¬ kommenen Geiste, als einem Mir nicht eigenen, sondern jen¬ seitigen Mich beuge und meine Leerheit fühle.
Auf Geist kommt zwar alles an, aber ist auch jeder Geist der "rechte" Geist? Der rechte und wahre Geist ist das Ideal des Geistes, der "heilige Geist". Er ist nicht Mein oder Dein Geist, sondern eben ein -- idealer, jenseitiger, er ist "Gott". "Gott ist Geist". Und dieser jenseitige "Vater im Himmel giebt ihn denen, die ihn bitten". *)
Den Mann scheidet es vom Jünglinge, daß er die Welt nimmt, wie sie ist, statt sie überall im Argen zu wähnen und verbessern, d. h. nach seinem Ideale modeln wollen; in ihm befestigt sich die Ansicht, daß man mit der Welt nach seinem Interesse verfahren müsse, nicht nach seinen Idealen.
So lange man sich nur als Geist weiß, und all seinen Werth darin legt, Geist zu sein (dem Jünglinge wird es leicht, sein Leben, das "leibliche", für ein Nichts hinzugeben, für die albernste Ehrenkränkung), so lange hat man auch nur Ge danken, Ideen, die man einst, wenn man einen Wirkungs¬ kreis gefunden, verwirklichen zu können hofft; man hat also einstweilen nur Ideale, unvollzogene Ideen oder Gedanken.
Erst dann, wenn man sich leibhaftig liebgewonnen, und an sich, wie man leibt und lebt, eine Luft hat -- so aber findet sich's im reifen Alter, beim Manne -- erst dann hat man ein persönliches oder egoistisches Interesse, d. h. ein Interesse nicht etwa nur Unseres Geistes, sondern totaler Befriedigung, Befriedigung des ganzen Kerls, ein eigen¬
*) Lucas 11, 13.
Damit verliere Ich aber, der Ich Mich ſo eben als Geiſt gefunden hatte, ſogleich Mich wieder, indem Ich vor dem voll¬ kommenen Geiſte, als einem Mir nicht eigenen, ſondern jen¬ ſeitigen Mich beuge und meine Leerheit fühle.
Auf Geiſt kommt zwar alles an, aber iſt auch jeder Geiſt der „rechte“ Geiſt? Der rechte und wahre Geiſt iſt das Ideal des Geiſtes, der „heilige Geiſt“. Er iſt nicht Mein oder Dein Geiſt, ſondern eben ein — idealer, jenſeitiger, er iſt „Gott“. „Gott iſt Geiſt“. Und dieſer jenſeitige „Vater im Himmel giebt ihn denen, die ihn bitten“. *)
Den Mann ſcheidet es vom Jünglinge, daß er die Welt nimmt, wie ſie iſt, ſtatt ſie überall im Argen zu wähnen und verbeſſern, d. h. nach ſeinem Ideale modeln wollen; in ihm befeſtigt ſich die Anſicht, daß man mit der Welt nach ſeinem Intereſſe verfahren müſſe, nicht nach ſeinen Idealen.
So lange man ſich nur als Geiſt weiß, und all ſeinen Werth darin legt, Geiſt zu ſein (dem Jünglinge wird es leicht, ſein Leben, das „leibliche“, für ein Nichts hinzugeben, für die albernſte Ehrenkränkung), ſo lange hat man auch nur Ge danken, Ideen, die man einſt, wenn man einen Wirkungs¬ kreis gefunden, verwirklichen zu können hofft; man hat alſo einſtweilen nur Ideale, unvollzogene Ideen oder Gedanken.
Erſt dann, wenn man ſich leibhaftig liebgewonnen, und an ſich, wie man leibt und lebt, eine Luft hat — ſo aber findet ſich's im reifen Alter, beim Manne — erſt dann hat man ein perſönliches oder egoiſtiſches Intereſſe, d. h. ein Intereſſe nicht etwa nur Unſeres Geiſtes, ſondern totaler Befriedigung, Befriedigung des ganzen Kerls, ein eigen¬
*) Lucas 11, 13.
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Damit verliere Ich aber, der Ich Mich ſo eben als Geiſt
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kommenen Geiſte, als einem Mir nicht eigenen, ſondern jen¬
ſeitigen Mich beuge und meine Leerheit fühle.
Auf Geiſt kommt zwar alles an, aber iſt auch jeder Geiſt
der „rechte“ Geiſt? Der rechte und wahre Geiſt iſt das Ideal
des Geiſtes, der „heilige Geiſt“. Er iſt nicht Mein oder Dein
Geiſt, ſondern eben ein — idealer, jenſeitiger, er iſt „Gott“.
„Gott iſt Geiſt“. Und dieſer jenſeitige „Vater im Himmel
giebt ihn denen, die ihn bitten“. *)
Den Mann ſcheidet es vom Jünglinge, daß er die Welt
nimmt, wie ſie iſt, ſtatt ſie überall im Argen zu wähnen und
verbeſſern, d. h. nach ſeinem Ideale modeln wollen; in ihm
befeſtigt ſich die Anſicht, daß man mit der Welt nach ſeinem
Intereſſe verfahren müſſe, nicht nach ſeinen Idealen.
So lange man ſich nur als Geiſt weiß, und all ſeinen
Werth darin legt, Geiſt zu ſein (dem Jünglinge wird es leicht,
ſein Leben, das „leibliche“, für ein Nichts hinzugeben, für die
albernſte Ehrenkränkung), ſo lange hat man auch nur Ge
danken, Ideen, die man einſt, wenn man einen Wirkungs¬
kreis gefunden, verwirklichen zu können hofft; man hat alſo
einſtweilen nur Ideale, unvollzogene Ideen oder Gedanken.
Erſt dann, wenn man ſich leibhaftig liebgewonnen,
und an ſich, wie man leibt und lebt, eine Luft hat — ſo
aber findet ſich's im reifen Alter, beim Manne — erſt dann
hat man ein perſönliches oder egoiſtiſches Intereſſe, d. h.
ein Intereſſe nicht etwa nur Unſeres Geiſtes, ſondern totaler
Befriedigung, Befriedigung des ganzen Kerls, ein eigen¬
*)
Lucas 11, 13.
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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/26>, abgerufen am 23.11.2024.
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