Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

Damit verliere Ich aber, der Ich Mich so eben als Geist
gefunden hatte, sogleich Mich wieder, indem Ich vor dem voll¬
kommenen Geiste, als einem Mir nicht eigenen, sondern jen¬
seitigen
Mich beuge und meine Leerheit fühle.

Auf Geist kommt zwar alles an, aber ist auch jeder Geist
der "rechte" Geist? Der rechte und wahre Geist ist das Ideal
des Geistes, der "heilige Geist". Er ist nicht Mein oder Dein
Geist, sondern eben ein -- idealer, jenseitiger, er ist "Gott".
"Gott ist Geist". Und dieser jenseitige "Vater im Himmel
giebt ihn denen, die ihn bitten". *)

Den Mann scheidet es vom Jünglinge, daß er die Welt
nimmt, wie sie ist, statt sie überall im Argen zu wähnen und
verbessern, d. h. nach seinem Ideale modeln wollen; in ihm
befestigt sich die Ansicht, daß man mit der Welt nach seinem
Interesse verfahren müsse, nicht nach seinen Idealen.

So lange man sich nur als Geist weiß, und all seinen
Werth darin legt, Geist zu sein (dem Jünglinge wird es leicht,
sein Leben, das "leibliche", für ein Nichts hinzugeben, für die
albernste Ehrenkränkung), so lange hat man auch nur Ge
danken
, Ideen, die man einst, wenn man einen Wirkungs¬
kreis gefunden, verwirklichen zu können hofft; man hat also
einstweilen nur Ideale, unvollzogene Ideen oder Gedanken.

Erst dann, wenn man sich leibhaftig liebgewonnen,
und an sich, wie man leibt und lebt, eine Luft hat -- so
aber findet sich's im reifen Alter, beim Manne -- erst dann
hat man ein persönliches oder egoistisches Interesse, d. h.
ein Interesse nicht etwa nur Unseres Geistes, sondern totaler
Befriedigung, Befriedigung des ganzen Kerls, ein eigen¬

*) Lucas 11, 13.

Damit verliere Ich aber, der Ich Mich ſo eben als Geiſt
gefunden hatte, ſogleich Mich wieder, indem Ich vor dem voll¬
kommenen Geiſte, als einem Mir nicht eigenen, ſondern jen¬
ſeitigen
Mich beuge und meine Leerheit fühle.

Auf Geiſt kommt zwar alles an, aber iſt auch jeder Geiſt
der „rechte“ Geiſt? Der rechte und wahre Geiſt iſt das Ideal
des Geiſtes, der „heilige Geiſt“. Er iſt nicht Mein oder Dein
Geiſt, ſondern eben ein — idealer, jenſeitiger, er iſt „Gott“.
„Gott iſt Geiſt“. Und dieſer jenſeitige „Vater im Himmel
giebt ihn denen, die ihn bitten“. *)

Den Mann ſcheidet es vom Jünglinge, daß er die Welt
nimmt, wie ſie iſt, ſtatt ſie überall im Argen zu wähnen und
verbeſſern, d. h. nach ſeinem Ideale modeln wollen; in ihm
befeſtigt ſich die Anſicht, daß man mit der Welt nach ſeinem
Intereſſe verfahren müſſe, nicht nach ſeinen Idealen.

So lange man ſich nur als Geiſt weiß, und all ſeinen
Werth darin legt, Geiſt zu ſein (dem Jünglinge wird es leicht,
ſein Leben, das „leibliche“, für ein Nichts hinzugeben, für die
albernſte Ehrenkränkung), ſo lange hat man auch nur Ge
danken
, Ideen, die man einſt, wenn man einen Wirkungs¬
kreis gefunden, verwirklichen zu können hofft; man hat alſo
einſtweilen nur Ideale, unvollzogene Ideen oder Gedanken.

Erſt dann, wenn man ſich leibhaftig liebgewonnen,
und an ſich, wie man leibt und lebt, eine Luft hat — ſo
aber findet ſich's im reifen Alter, beim Manne — erſt dann
hat man ein perſönliches oder egoiſtiſches Intereſſe, d. h.
ein Intereſſe nicht etwa nur Unſeres Geiſtes, ſondern totaler
Befriedigung, Befriedigung des ganzen Kerls, ein eigen¬

*) Lucas 11, 13.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0026" n="18"/>
          <p>Damit verliere Ich aber, der Ich Mich &#x017F;o eben als Gei&#x017F;t<lb/>
gefunden hatte, &#x017F;ogleich Mich wieder, indem Ich vor dem voll¬<lb/>
kommenen Gei&#x017F;te, als einem Mir nicht eigenen, &#x017F;ondern <hi rendition="#g">jen¬<lb/>
&#x017F;eitigen</hi> Mich beuge und meine Leerheit fühle.</p><lb/>
          <p>Auf Gei&#x017F;t kommt zwar alles an, aber i&#x017F;t auch jeder Gei&#x017F;t<lb/>
der &#x201E;rechte&#x201C; Gei&#x017F;t? Der rechte und wahre Gei&#x017F;t i&#x017F;t das Ideal<lb/>
des Gei&#x017F;tes, der &#x201E;heilige Gei&#x017F;t&#x201C;. Er i&#x017F;t nicht Mein oder Dein<lb/>
Gei&#x017F;t, &#x017F;ondern eben ein &#x2014; idealer, jen&#x017F;eitiger, er i&#x017F;t &#x201E;Gott&#x201C;.<lb/>
&#x201E;Gott i&#x017F;t Gei&#x017F;t&#x201C;. Und die&#x017F;er jen&#x017F;eitige &#x201E;Vater im Himmel<lb/>
giebt ihn denen, die ihn bitten&#x201C;. <note place="foot" n="*)"><lb/>
Lucas 11, 13.</note></p><lb/>
          <p>Den Mann &#x017F;cheidet es vom Jünglinge, daß er die Welt<lb/>
nimmt, wie &#x017F;ie i&#x017F;t, &#x017F;tatt &#x017F;ie überall im Argen zu wähnen und<lb/>
verbe&#x017F;&#x017F;ern, d. h. nach &#x017F;einem Ideale modeln wollen; in ihm<lb/>
befe&#x017F;tigt &#x017F;ich die An&#x017F;icht, daß man mit der Welt nach &#x017F;einem<lb/><hi rendition="#g">Intere&#x017F;&#x017F;e</hi> verfahren mü&#x017F;&#x017F;e, nicht nach &#x017F;einen <hi rendition="#g">Idealen</hi>.</p><lb/>
          <p>So lange man &#x017F;ich nur als Gei&#x017F;t weiß, und all &#x017F;einen<lb/>
Werth darin legt, Gei&#x017F;t zu &#x017F;ein (dem Jünglinge wird es leicht,<lb/>
&#x017F;ein Leben, das &#x201E;leibliche&#x201C;, für ein Nichts hinzugeben, für die<lb/>
albern&#x017F;te Ehrenkränkung), &#x017F;o lange hat man auch nur <hi rendition="#g">Ge<lb/>
danken</hi>, Ideen, die man ein&#x017F;t, wenn man einen Wirkungs¬<lb/>
kreis gefunden, verwirklichen zu können hofft; man hat al&#x017F;o<lb/>
ein&#x017F;tweilen nur <hi rendition="#g">Ideale</hi>, unvollzogene Ideen oder Gedanken.</p><lb/>
          <p>Er&#x017F;t dann, wenn man &#x017F;ich <hi rendition="#g">leibhaftig</hi> liebgewonnen,<lb/>
und an &#x017F;ich, wie man leibt und lebt, eine Luft hat &#x2014; &#x017F;o<lb/>
aber findet &#x017F;ich's im reifen Alter, beim Manne &#x2014; er&#x017F;t dann<lb/>
hat man ein per&#x017F;önliches oder <hi rendition="#g">egoi&#x017F;ti&#x017F;ches</hi> Intere&#x017F;&#x017F;e, d. h.<lb/>
ein Intere&#x017F;&#x017F;e nicht etwa nur Un&#x017F;eres Gei&#x017F;tes, &#x017F;ondern totaler<lb/>
Befriedigung, Befriedigung des ganzen Kerls, ein <hi rendition="#g">eigen¬<lb/></hi></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[18/0026] Damit verliere Ich aber, der Ich Mich ſo eben als Geiſt gefunden hatte, ſogleich Mich wieder, indem Ich vor dem voll¬ kommenen Geiſte, als einem Mir nicht eigenen, ſondern jen¬ ſeitigen Mich beuge und meine Leerheit fühle. Auf Geiſt kommt zwar alles an, aber iſt auch jeder Geiſt der „rechte“ Geiſt? Der rechte und wahre Geiſt iſt das Ideal des Geiſtes, der „heilige Geiſt“. Er iſt nicht Mein oder Dein Geiſt, ſondern eben ein — idealer, jenſeitiger, er iſt „Gott“. „Gott iſt Geiſt“. Und dieſer jenſeitige „Vater im Himmel giebt ihn denen, die ihn bitten“. *) Den Mann ſcheidet es vom Jünglinge, daß er die Welt nimmt, wie ſie iſt, ſtatt ſie überall im Argen zu wähnen und verbeſſern, d. h. nach ſeinem Ideale modeln wollen; in ihm befeſtigt ſich die Anſicht, daß man mit der Welt nach ſeinem Intereſſe verfahren müſſe, nicht nach ſeinen Idealen. So lange man ſich nur als Geiſt weiß, und all ſeinen Werth darin legt, Geiſt zu ſein (dem Jünglinge wird es leicht, ſein Leben, das „leibliche“, für ein Nichts hinzugeben, für die albernſte Ehrenkränkung), ſo lange hat man auch nur Ge danken, Ideen, die man einſt, wenn man einen Wirkungs¬ kreis gefunden, verwirklichen zu können hofft; man hat alſo einſtweilen nur Ideale, unvollzogene Ideen oder Gedanken. Erſt dann, wenn man ſich leibhaftig liebgewonnen, und an ſich, wie man leibt und lebt, eine Luft hat — ſo aber findet ſich's im reifen Alter, beim Manne — erſt dann hat man ein perſönliches oder egoiſtiſches Intereſſe, d. h. ein Intereſſe nicht etwa nur Unſeres Geiſtes, ſondern totaler Befriedigung, Befriedigung des ganzen Kerls, ein eigen¬ *) Lucas 11, 13.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/26
Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/26>, abgerufen am 23.11.2024.