Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

Willens, macht aber gegen die Schreibenden sein Gesetz um
so fester durch die "heilige Macht des Rechts."

Ob Ich Recht habe oder nicht, darüber giebt es keinen
andern Richter, als Mich selbst. Darüber nur können An¬
dere urtheilen und richten, ob sie meinem Rechte beistimmen,
und ob es auch für sie als Recht bestehe.

Fassen Wir inzwischen die Sache noch anders. Ich soll
das sultanische Recht verehren im Sultanat, das Volksrecht
in Republiken, das kanonische Recht in katholischer Gemeinde
u. s. w. Diesen Rechten soll Ich Mich unterordnen, soll sie
für heilig halten. Ein "Rechtssinn" und "rechtlicher Sinn"
solcher Art steckt den Leuten so fest im Kopfe, daß die Revo¬
lutionairsten unserer Tage Uns einem neuen "heiligen Rechte"
unterwerfen wollen, dem "Rechte der Gesellschaft", der Societät,
dem Rechte der Menschheit, dem "Rechte Aller" u. dergl.
Das Recht "Aller" soll meinem Rechte vorgehen. Als ein
Recht Aller wäre es allerdings auch mein Recht, da Ich zu
Allen mitgehöre; allein, daß es zugleich ein Recht Anderer
oder gar aller Andern ist, das bewegt Mich nicht zur Auf¬
rechthaltung desselben. Nicht als ein Recht Aller werde
Ich es vertheidigen, sondern als mein Recht, und jeder An¬
dere mag dann zusehen, wie er sich's gleichfalls bewahre.
Das Recht Aller (z. B. zu essen) ist ein Recht jedes Einzel¬
nen. Halte sich Jeder dieß Recht unverkümmert, so üben es
von selbst Alle; aber sorge er doch nicht für Alle, ereifere er
sich dafür nicht als für ein Recht Aller.

Aber die Socialreformer pretigen Uns ein "Gesell¬
schaftsrecht". Da wird der Einzelne der Sklave der Ge¬
sellschaft, und hat nur Recht, wenn ihm die Gesellschaft Recht
giebt, d. h. wenn er nach den Gesetzen der Gesellschaft

Willens, macht aber gegen die Schreibenden ſein Geſetz um
ſo feſter durch die „heilige Macht des Rechts.“

Ob Ich Recht habe oder nicht, darüber giebt es keinen
andern Richter, als Mich ſelbſt. Darüber nur können An¬
dere urtheilen und richten, ob ſie meinem Rechte beiſtimmen,
und ob es auch für ſie als Recht beſtehe.

Faſſen Wir inzwiſchen die Sache noch anders. Ich ſoll
das ſultaniſche Recht verehren im Sultanat, das Volksrecht
in Republiken, das kanoniſche Recht in katholiſcher Gemeinde
u. ſ. w. Dieſen Rechten ſoll Ich Mich unterordnen, ſoll ſie
für heilig halten. Ein „Rechtsſinn“ und „rechtlicher Sinn“
ſolcher Art ſteckt den Leuten ſo feſt im Kopfe, daß die Revo¬
lutionairſten unſerer Tage Uns einem neuen „heiligen Rechte“
unterwerfen wollen, dem „Rechte der Geſellſchaft“, der Societät,
dem Rechte der Menſchheit, dem „Rechte Aller“ u. dergl.
Das Recht „Aller“ ſoll meinem Rechte vorgehen. Als ein
Recht Aller wäre es allerdings auch mein Recht, da Ich zu
Allen mitgehöre; allein, daß es zugleich ein Recht Anderer
oder gar aller Andern iſt, das bewegt Mich nicht zur Auf¬
rechthaltung deſſelben. Nicht als ein Recht Aller werde
Ich es vertheidigen, ſondern als mein Recht, und jeder An¬
dere mag dann zuſehen, wie er ſich's gleichfalls bewahre.
Das Recht Aller (z. B. zu eſſen) iſt ein Recht jedes Einzel¬
nen. Halte ſich Jeder dieß Recht unverkümmert, ſo üben es
von ſelbſt Alle; aber ſorge er doch nicht für Alle, ereifere er
ſich dafür nicht als für ein Recht Aller.

Aber die Socialreformer pretigen Uns ein „Geſell¬
ſchaftsrecht“. Da wird der Einzelne der Sklave der Ge¬
ſellſchaft, und hat nur Recht, wenn ihm die Geſellſchaft Recht
giebt, d. h. wenn er nach den Geſetzen der Geſellſchaft

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0254" n="246"/>
Willens, macht aber gegen die Schreibenden &#x017F;ein Ge&#x017F;etz um<lb/>
&#x017F;o fe&#x017F;ter durch die &#x201E;heilige Macht des Rechts.&#x201C;</p><lb/>
            <p>Ob Ich Recht habe oder nicht, darüber giebt es keinen<lb/>
andern Richter, als Mich &#x017F;elb&#x017F;t. Darüber nur können An¬<lb/>
dere urtheilen und richten, ob &#x017F;ie meinem Rechte bei&#x017F;timmen,<lb/>
und ob es auch für &#x017F;ie als Recht be&#x017F;tehe.</p><lb/>
            <p>Fa&#x017F;&#x017F;en Wir inzwi&#x017F;chen die Sache noch anders. Ich &#x017F;oll<lb/>
das &#x017F;ultani&#x017F;che Recht verehren im Sultanat, das Volksrecht<lb/>
in Republiken, das kanoni&#x017F;che Recht in katholi&#x017F;cher Gemeinde<lb/>
u. &#x017F;. w. Die&#x017F;en Rechten &#x017F;oll Ich Mich unterordnen, &#x017F;oll &#x017F;ie<lb/>
für heilig halten. Ein &#x201E;Rechts&#x017F;inn&#x201C; und &#x201E;rechtlicher Sinn&#x201C;<lb/>
&#x017F;olcher Art &#x017F;teckt den Leuten &#x017F;o fe&#x017F;t im Kopfe, daß die Revo¬<lb/>
lutionair&#x017F;ten un&#x017F;erer Tage Uns einem neuen &#x201E;heiligen Rechte&#x201C;<lb/>
unterwerfen wollen, dem &#x201E;Rechte der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft&#x201C;, der Societät,<lb/>
dem Rechte der Men&#x017F;chheit, dem &#x201E;Rechte Aller&#x201C; u. dergl.<lb/>
Das Recht &#x201E;Aller&#x201C; &#x017F;oll <hi rendition="#g">meinem</hi> Rechte vorgehen. Als ein<lb/>
Recht Aller wäre es allerdings auch mein Recht, da Ich zu<lb/>
Allen mitgehöre; allein, daß es zugleich ein Recht Anderer<lb/>
oder gar aller Andern i&#x017F;t, das bewegt Mich nicht zur Auf¬<lb/>
rechthaltung de&#x017F;&#x017F;elben. Nicht als ein <hi rendition="#g">Recht Aller</hi> werde<lb/>
Ich es vertheidigen, &#x017F;ondern als <hi rendition="#g">mein</hi> Recht, und jeder An¬<lb/>
dere mag dann zu&#x017F;ehen, wie er &#x017F;ich's gleichfalls bewahre.<lb/>
Das Recht Aller (z. B. zu e&#x017F;&#x017F;en) i&#x017F;t ein Recht jedes Einzel¬<lb/>
nen. Halte <hi rendition="#g">&#x017F;ich</hi> Jeder dieß Recht unverkümmert, &#x017F;o üben es<lb/>
von &#x017F;elb&#x017F;t Alle; aber &#x017F;orge er doch nicht für Alle, ereifere er<lb/>
&#x017F;ich dafür nicht als für ein Recht Aller.</p><lb/>
            <p>Aber die Socialreformer pretigen Uns ein &#x201E;<hi rendition="#g">Ge&#x017F;ell</hi>¬<lb/><hi rendition="#g">&#x017F;chaftsrecht</hi>&#x201C;. Da wird der Einzelne der Sklave der Ge¬<lb/>
&#x017F;ell&#x017F;chaft, und hat nur Recht, wenn ihm die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft Recht<lb/><hi rendition="#g">giebt</hi>, d. h. wenn er nach den <hi rendition="#g">Ge&#x017F;etzen</hi> der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[246/0254] Willens, macht aber gegen die Schreibenden ſein Geſetz um ſo feſter durch die „heilige Macht des Rechts.“ Ob Ich Recht habe oder nicht, darüber giebt es keinen andern Richter, als Mich ſelbſt. Darüber nur können An¬ dere urtheilen und richten, ob ſie meinem Rechte beiſtimmen, und ob es auch für ſie als Recht beſtehe. Faſſen Wir inzwiſchen die Sache noch anders. Ich ſoll das ſultaniſche Recht verehren im Sultanat, das Volksrecht in Republiken, das kanoniſche Recht in katholiſcher Gemeinde u. ſ. w. Dieſen Rechten ſoll Ich Mich unterordnen, ſoll ſie für heilig halten. Ein „Rechtsſinn“ und „rechtlicher Sinn“ ſolcher Art ſteckt den Leuten ſo feſt im Kopfe, daß die Revo¬ lutionairſten unſerer Tage Uns einem neuen „heiligen Rechte“ unterwerfen wollen, dem „Rechte der Geſellſchaft“, der Societät, dem Rechte der Menſchheit, dem „Rechte Aller“ u. dergl. Das Recht „Aller“ ſoll meinem Rechte vorgehen. Als ein Recht Aller wäre es allerdings auch mein Recht, da Ich zu Allen mitgehöre; allein, daß es zugleich ein Recht Anderer oder gar aller Andern iſt, das bewegt Mich nicht zur Auf¬ rechthaltung deſſelben. Nicht als ein Recht Aller werde Ich es vertheidigen, ſondern als mein Recht, und jeder An¬ dere mag dann zuſehen, wie er ſich's gleichfalls bewahre. Das Recht Aller (z. B. zu eſſen) iſt ein Recht jedes Einzel¬ nen. Halte ſich Jeder dieß Recht unverkümmert, ſo üben es von ſelbſt Alle; aber ſorge er doch nicht für Alle, ereifere er ſich dafür nicht als für ein Recht Aller. Aber die Socialreformer pretigen Uns ein „Geſell¬ ſchaftsrecht“. Da wird der Einzelne der Sklave der Ge¬ ſellſchaft, und hat nur Recht, wenn ihm die Geſellſchaft Recht giebt, d. h. wenn er nach den Geſetzen der Geſellſchaft

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/254
Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/254>, abgerufen am 23.11.2024.