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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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ausdrückte, was Du bist, und der, weil er deine wahre Natur
ist, alle Gesetze deiner Bethätigung enthielte. Das Vollkom¬
menste der Art hat man im "Menschen" erreicht. Als Jude
bist Du zu wenig und das Jüdische ist nicht deine Aufgabe;
ein Grieche, ein Deutscher zu sein, reicht nicht aus. Aber sei
ein -- Mensch, dann hast Du alles; das Menschliche sieh' als
deinen Beruf an.

Nun weiß Ich, was Ich soll, und der neue Katechismus
kann abgefaßt werden. Wieder ist das Subject dem Prädi¬
cate unterworfen, der Einzelne einem Allgemeinen; wieder ist
einer Idee die Herrschaft gesichert und zu einer neuen Reli¬
gion
der Grund gelegt. Es ist dieß ein Fortschritt im
religiösen, und speciell im christlichen Gebiete, kein Schritt über
dasselbe hinaus.

Der Schritt darüber hinaus führt ins Unsagbare. Für
Mich hat die armselige Sprache kein Wort, und "das Wort",
der Logos, ist Mir ein "bloßes Wort".

Man sucht mein Wesen. Ist's nicht der Jude, der
Deutsche u. s. w., so doch -- der Mensch. "Der Mensch ist
mein Wesen."

Ich bin Mir zuwider oder widerwärtig; Mir graut und
ekelt vor Mir, Ich bin Mir ein Gräuel, oder Ich bin Mir
nie genug und thue Mir nie genug. Aus solchen Gefühlen
entspringt die Selbstauflösung oder Selbstkritik. Mit der Selbst¬
verleugnung beginnt, mit der vollendeten Kritik schließt die
Religiosität.

Ich bin besessen und will den "bösen Geist" loswerden.
Wie fange Ich's an? Ich begehe getrost die Sünde, welche
dem Christen die ärgste scheint, die Sünde und Lästerung
wider den heiligen Geist. "Wer den heiligen Geist lästert, der

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ausdrückte, was Du biſt, und der, weil er deine wahre Natur
iſt, alle Geſetze deiner Bethätigung enthielte. Das Vollkom¬
menſte der Art hat man im „Menſchen“ erreicht. Als Jude
biſt Du zu wenig und das Jüdiſche iſt nicht deine Aufgabe;
ein Grieche, ein Deutſcher zu ſein, reicht nicht aus. Aber ſei
ein — Menſch, dann haſt Du alles; das Menſchliche ſieh' als
deinen Beruf an.

Nun weiß Ich, was Ich ſoll, und der neue Katechismus
kann abgefaßt werden. Wieder iſt das Subject dem Prädi¬
cate unterworfen, der Einzelne einem Allgemeinen; wieder iſt
einer Idee die Herrſchaft geſichert und zu einer neuen Reli¬
gion
der Grund gelegt. Es iſt dieß ein Fortſchritt im
religiöſen, und ſpeciell im chriſtlichen Gebiete, kein Schritt über
daſſelbe hinaus.

Der Schritt darüber hinaus führt ins Unſagbare. Für
Mich hat die armſelige Sprache kein Wort, und „das Wort“,
der Logos, iſt Mir ein „bloßes Wort“.

Man ſucht mein Weſen. Iſt's nicht der Jude, der
Deutſche u. ſ. w., ſo doch — der Menſch. „Der Menſch iſt
mein Weſen.“

Ich bin Mir zuwider oder widerwärtig; Mir graut und
ekelt vor Mir, Ich bin Mir ein Gräuel, oder Ich bin Mir
nie genug und thue Mir nie genug. Aus ſolchen Gefühlen
entſpringt die Selbſtauflöſung oder Selbſtkritik. Mit der Selbſt¬
verleugnung beginnt, mit der vollendeten Kritik ſchließt die
Religioſität.

Ich bin beſeſſen und will den „böſen Geiſt“ loswerden.
Wie fange Ich's an? Ich begehe getroſt die Sünde, welche
dem Chriſten die ärgſte ſcheint, die Sünde und Läſterung
wider den heiligen Geiſt. „Wer den heiligen Geiſt läſtert, der

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[241/0249] ausdrückte, was Du biſt, und der, weil er deine wahre Natur iſt, alle Geſetze deiner Bethätigung enthielte. Das Vollkom¬ menſte der Art hat man im „Menſchen“ erreicht. Als Jude biſt Du zu wenig und das Jüdiſche iſt nicht deine Aufgabe; ein Grieche, ein Deutſcher zu ſein, reicht nicht aus. Aber ſei ein — Menſch, dann haſt Du alles; das Menſchliche ſieh' als deinen Beruf an. Nun weiß Ich, was Ich ſoll, und der neue Katechismus kann abgefaßt werden. Wieder iſt das Subject dem Prädi¬ cate unterworfen, der Einzelne einem Allgemeinen; wieder iſt einer Idee die Herrſchaft geſichert und zu einer neuen Reli¬ gion der Grund gelegt. Es iſt dieß ein Fortſchritt im religiöſen, und ſpeciell im chriſtlichen Gebiete, kein Schritt über daſſelbe hinaus. Der Schritt darüber hinaus führt ins Unſagbare. Für Mich hat die armſelige Sprache kein Wort, und „das Wort“, der Logos, iſt Mir ein „bloßes Wort“. Man ſucht mein Weſen. Iſt's nicht der Jude, der Deutſche u. ſ. w., ſo doch — der Menſch. „Der Menſch iſt mein Weſen.“ Ich bin Mir zuwider oder widerwärtig; Mir graut und ekelt vor Mir, Ich bin Mir ein Gräuel, oder Ich bin Mir nie genug und thue Mir nie genug. Aus ſolchen Gefühlen entſpringt die Selbſtauflöſung oder Selbſtkritik. Mit der Selbſt¬ verleugnung beginnt, mit der vollendeten Kritik ſchließt die Religioſität. Ich bin beſeſſen und will den „böſen Geiſt“ loswerden. Wie fange Ich's an? Ich begehe getroſt die Sünde, welche dem Chriſten die ärgſte ſcheint, die Sünde und Läſterung wider den heiligen Geiſt. „Wer den heiligen Geiſt läſtert, der 16

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/249>, abgerufen am 23.11.2024.