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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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dere oder Private außer Betracht kommen, und wenn die
"reine Kritik" ihre schwere Arbeit vollführt haben wird, dann
wird man wissen, was alles privat ist, und was man "in
seines Nichts durchbohrendem Gefühle" wird -- stehen lassen
müssen.

Weil dem humanen Liberalismus Staat und Gesellschaft
nicht genügt, negirt er beide und behält sie zugleich. So heißt
es einmal, die Aufgabe der Zeit sei "keine politische, sondern
eine sociale", und dann wird wieder für die Zukunft der "freie
Staat" verheißen. In Wahrheit ist die "menschliche Gesell¬
schaft" eben beides, der allgemeinste Staat und die allgemeinste
Gesellschaft. Nur gegen den beschränkten Staat wird behaup¬
tet, er mache zu viel Aufhebens von geistigen Privatinteressen
(z. B. dem religiösen Glauben der Leute), und gegen die be¬
schränkte Gesellschaft, sie mache zu viel aus den materiellen
Privatinteressen. Beide sollen die Privatinteressen den Privat¬
leuten überlassen, und sich als menschliche Gesellschaft allein
um die allgemein menschlichen Interessen bekümmern.

Indem die Politiker den eigenen Willen, Eigenwillen
oder Willkühr abzuschaffen gedachten, bemerkten sie nicht, daß
durch das Eigenthum der Eigenwille eine sichere Zu¬
fluchtsstätte erhielt.

Indem die Socialisten auch das Eigenthum wegnehmen,
beachten sie nicht, daß dieses sich in der Eigenheit eine
Fortdauer sichert. Ist denn bloß Geld und Gut ein Eigen¬
thum, oder ist jede Meinung ein Mein, ein Eigenes?

Es muß also jede Meinung aufgehoben oder unpersön¬
lich gemacht werden. Der Person gebührt keine Meinung,
sondern wie der Eigenwille auf den Staat, das Eigenthum
auf die Gesellschaft übertragen wurde, so muß die Meinung

dere oder Private außer Betracht kommen, und wenn die
„reine Kritik“ ihre ſchwere Arbeit vollführt haben wird, dann
wird man wiſſen, was alles privat iſt, und was man „in
ſeines Nichts durchbohrendem Gefühle“ wird — ſtehen laſſen
müſſen.

Weil dem humanen Liberalismus Staat und Geſellſchaft
nicht genügt, negirt er beide und behält ſie zugleich. So heißt
es einmal, die Aufgabe der Zeit ſei „keine politiſche, ſondern
eine ſociale“, und dann wird wieder für die Zukunft der „freie
Staat“ verheißen. In Wahrheit iſt die „menſchliche Geſell¬
ſchaft“ eben beides, der allgemeinſte Staat und die allgemeinſte
Geſellſchaft. Nur gegen den beſchränkten Staat wird behaup¬
tet, er mache zu viel Aufhebens von geiſtigen Privatintereſſen
(z. B. dem religiöſen Glauben der Leute), und gegen die be¬
ſchränkte Geſellſchaft, ſie mache zu viel aus den materiellen
Privatintereſſen. Beide ſollen die Privatintereſſen den Privat¬
leuten überlaſſen, und ſich als menſchliche Geſellſchaft allein
um die allgemein menſchlichen Intereſſen bekümmern.

Indem die Politiker den eigenen Willen, Eigenwillen
oder Willkühr abzuſchaffen gedachten, bemerkten ſie nicht, daß
durch das Eigenthum der Eigenwille eine ſichere Zu¬
fluchtsſtätte erhielt.

Indem die Socialiſten auch das Eigenthum wegnehmen,
beachten ſie nicht, daß dieſes ſich in der Eigenheit eine
Fortdauer ſichert. Iſt denn bloß Geld und Gut ein Eigen¬
thum, oder iſt jede Meinung ein Mein, ein Eigenes?

Es muß alſo jede Meinung aufgehoben oder unperſön¬
lich gemacht werden. Der Perſon gebührt keine Meinung,
ſondern wie der Eigenwille auf den Staat, das Eigenthum
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[169/0177] dere oder Private außer Betracht kommen, und wenn die „reine Kritik“ ihre ſchwere Arbeit vollführt haben wird, dann wird man wiſſen, was alles privat iſt, und was man „in ſeines Nichts durchbohrendem Gefühle“ wird — ſtehen laſſen müſſen. Weil dem humanen Liberalismus Staat und Geſellſchaft nicht genügt, negirt er beide und behält ſie zugleich. So heißt es einmal, die Aufgabe der Zeit ſei „keine politiſche, ſondern eine ſociale“, und dann wird wieder für die Zukunft der „freie Staat“ verheißen. In Wahrheit iſt die „menſchliche Geſell¬ ſchaft“ eben beides, der allgemeinſte Staat und die allgemeinſte Geſellſchaft. Nur gegen den beſchränkten Staat wird behaup¬ tet, er mache zu viel Aufhebens von geiſtigen Privatintereſſen (z. B. dem religiöſen Glauben der Leute), und gegen die be¬ ſchränkte Geſellſchaft, ſie mache zu viel aus den materiellen Privatintereſſen. Beide ſollen die Privatintereſſen den Privat¬ leuten überlaſſen, und ſich als menſchliche Geſellſchaft allein um die allgemein menſchlichen Intereſſen bekümmern. Indem die Politiker den eigenen Willen, Eigenwillen oder Willkühr abzuſchaffen gedachten, bemerkten ſie nicht, daß durch das Eigenthum der Eigenwille eine ſichere Zu¬ fluchtsſtätte erhielt. Indem die Socialiſten auch das Eigenthum wegnehmen, beachten ſie nicht, daß dieſes ſich in der Eigenheit eine Fortdauer ſichert. Iſt denn bloß Geld und Gut ein Eigen¬ thum, oder iſt jede Meinung ein Mein, ein Eigenes? Es muß alſo jede Meinung aufgehoben oder unperſön¬ lich gemacht werden. Der Perſon gebührt keine Meinung, ſondern wie der Eigenwille auf den Staat, das Eigenthum auf die Geſellſchaft übertragen wurde, ſo muß die Meinung

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/177>, abgerufen am 25.11.2024.