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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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Alles, wovor Ihr einen Respekt oder eine Ehrfurcht hegt,
verdient den Namen eines Heiligen; auch sagt Ihr selbst, Ihr
trüget eine "heilige Scheu", es anzutasten. Und selbst
dem Unheiligen gebt Ihr diese Farbe (Galgen, Verbrechen
u. f. w.). Es graut Euch vor der Berührung desselben. Es
liegt etwas Unheimliches, d. h. Unheimisches oder Uneige¬
nes
darin.

"Gälte dem Menschen nicht irgend etwas als heilig, so
wäre ja der Willkühr, der schrankenlosen Subjectivität Thür
und Thor geöffnet!" Furcht macht den Anfang, und dem
rohsten Menschen kann man sich fürchterlich machen; also schon
ein Damm gegen seine Frechheit. Allein in der Furcht bleibt
immer noch der Versuch, sich vom Gefürchteren zu befreien
durch List, Betrug, Pfiffe u. s. w. Dagegen ist's in der Ehr¬
furcht ganz anders. Hier wird nicht bloß gefürchtet, sondern
auch geehrt: das Gefürchtete ist zu einer innerlichen Macht
geworden, der Ich Mich nicht mehr entziehen kann; Ich ehre
dasselbe, bin davon eingenommen, ihm zugethan und ange¬
hörig: durch die Ehre, welche Ich ihm zolle, bin Ich voll¬
ständig in seiner Gewalt, und versuche die Befreiung nicht
einmal mehr. Nun hänge ich mit der ganzen Kraft des Glau¬
bens daran, Ich glaube. Ich und das Gefürchtete sind
Eins: "nicht Ich lebe, sondern das Respektirte lebt in Mir!"
Weil der Geist, das Unendliche, kein Ende nehmen läßt, darum
ist er stationair: er fürchtet das Sterben, er kann von sei¬
nem Jesulein nicht lassen, die Größe der Endlichkeit wird von
seinem geblendeten Auge nicht mehr erkannt: das nun zur
Verehrung gesteigerte Gefürchtete darf nicht mehr angetastet
werden: die Ehrfurcht wird verewigt, das Respektirte wird ver¬
göttert. Der Mensch ist nun nicht mehr schaffend, sondern

Alles, wovor Ihr einen Reſpekt oder eine Ehrfurcht hegt,
verdient den Namen eines Heiligen; auch ſagt Ihr ſelbſt, Ihr
trüget eine „heilige Scheu“, es anzutaſten. Und ſelbſt
dem Unheiligen gebt Ihr dieſe Farbe (Galgen, Verbrechen
u. f. w.). Es graut Euch vor der Berührung deſſelben. Es
liegt etwas Unheimliches, d. h. Unheimiſches oder Uneige¬
nes
darin.

„Gälte dem Menſchen nicht irgend etwas als heilig, ſo
wäre ja der Willkühr, der ſchrankenloſen Subjectivität Thür
und Thor geöffnet!“ Furcht macht den Anfang, und dem
rohſten Menſchen kann man ſich fürchterlich machen; alſo ſchon
ein Damm gegen ſeine Frechheit. Allein in der Furcht bleibt
immer noch der Verſuch, ſich vom Gefürchteren zu befreien
durch Liſt, Betrug, Pfiffe u. ſ. w. Dagegen iſt's in der Ehr¬
furcht ganz anders. Hier wird nicht bloß gefürchtet, ſondern
auch geehrt: das Gefürchtete iſt zu einer innerlichen Macht
geworden, der Ich Mich nicht mehr entziehen kann; Ich ehre
daſſelbe, bin davon eingenommen, ihm zugethan und ange¬
hörig: durch die Ehre, welche Ich ihm zolle, bin Ich voll¬
ſtändig in ſeiner Gewalt, und verſuche die Befreiung nicht
einmal mehr. Nun hänge ich mit der ganzen Kraft des Glau¬
bens daran, Ich glaube. Ich und das Gefürchtete ſind
Eins: „nicht Ich lebe, ſondern das Reſpektirte lebt in Mir!“
Weil der Geiſt, das Unendliche, kein Ende nehmen läßt, darum
iſt er ſtationair: er fürchtet das Sterben, er kann von ſei¬
nem Jeſulein nicht laſſen, die Größe der Endlichkeit wird von
ſeinem geblendeten Auge nicht mehr erkannt: das nun zur
Verehrung geſteigerte Gefürchtete darf nicht mehr angetaſtet
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[95/0103] Alles, wovor Ihr einen Reſpekt oder eine Ehrfurcht hegt, verdient den Namen eines Heiligen; auch ſagt Ihr ſelbſt, Ihr trüget eine „heilige Scheu“, es anzutaſten. Und ſelbſt dem Unheiligen gebt Ihr dieſe Farbe (Galgen, Verbrechen u. f. w.). Es graut Euch vor der Berührung deſſelben. Es liegt etwas Unheimliches, d. h. Unheimiſches oder Uneige¬ nes darin. „Gälte dem Menſchen nicht irgend etwas als heilig, ſo wäre ja der Willkühr, der ſchrankenloſen Subjectivität Thür und Thor geöffnet!“ Furcht macht den Anfang, und dem rohſten Menſchen kann man ſich fürchterlich machen; alſo ſchon ein Damm gegen ſeine Frechheit. Allein in der Furcht bleibt immer noch der Verſuch, ſich vom Gefürchteren zu befreien durch Liſt, Betrug, Pfiffe u. ſ. w. Dagegen iſt's in der Ehr¬ furcht ganz anders. Hier wird nicht bloß gefürchtet, ſondern auch geehrt: das Gefürchtete iſt zu einer innerlichen Macht geworden, der Ich Mich nicht mehr entziehen kann; Ich ehre daſſelbe, bin davon eingenommen, ihm zugethan und ange¬ hörig: durch die Ehre, welche Ich ihm zolle, bin Ich voll¬ ſtändig in ſeiner Gewalt, und verſuche die Befreiung nicht einmal mehr. Nun hänge ich mit der ganzen Kraft des Glau¬ bens daran, Ich glaube. Ich und das Gefürchtete ſind Eins: „nicht Ich lebe, ſondern das Reſpektirte lebt in Mir!“ Weil der Geiſt, das Unendliche, kein Ende nehmen läßt, darum iſt er ſtationair: er fürchtet das Sterben, er kann von ſei¬ nem Jeſulein nicht laſſen, die Größe der Endlichkeit wird von ſeinem geblendeten Auge nicht mehr erkannt: das nun zur Verehrung geſteigerte Gefürchtete darf nicht mehr angetaſtet werden: die Ehrfurcht wird verewigt, das Reſpektirte wird ver¬ göttert. Der Menſch iſt nun nicht mehr ſchaffend, ſondern

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/103>, abgerufen am 29.03.2024.