weil el das Meinige zu einem Jenseitigen, weil er überhaupt aus dem Meinigen, aus meinen Eigenschaften und meinem Eigenthum, ein Fremdes, nämlich ein "Wesen" macht, kurz, weil er Mich unter den Menschen stellt und Mir dadurch einen "Beruf" schafft; aber auch der Form nach erklärt sich der Li¬ beralismus als Religion, wenn er für dieß höchste Wesen, den Menschen, einen Glaubenseifer fordert, "einen Glauben, der endlich auch einmal seinen Feuereifer beweisen wird, einen Eifer, der unüberwindlich sein wird." *)Da der Liberalismus aber menschliche Religion ist, so verhält sich der Bekenner der¬ selben gegen den Bekenner jeder anderen (katholischen, jüdischen u. s. w.) tolerant, wie Friedlich der Große gegen Jeden sich verhielt, der seine Unterthanenpfiichten verrichtet, welcher Facon des Seligwerdens er auch zugethan sein mochte. Diese Religion soll jetzt zur allgemein üblichen erhoben und von den andern als bloßen "Privatnarrheiten", gegen die man übri¬ gens sich wegen ihrer Unwesentlichkeit höchst liberal verhält, abgesondert werden.
Man kann sie die Staatsreligion, die Religion des "freien Staates" nennen, nicht in dem bisherigen Sinne, daß sie die vom Staate bevorzugte oder privilegirte sei, sondern als diejenige Religion, welche der "freie Staat" von jedem der Seinigen, er sei privatim Jude, Christ oder was sonst, zu for¬ dern nicht nur berechtigt, sondern genöthigt ist. Sie thut nämlich dem Staate dieselben Dienste, wie die Pietät der Fa¬ milie. Soll die Familie von jedem der Ihrigen in ihrem Be¬ stande anerkannt und erhalten werden, so muß ihm das Band des Blutes heilig, und sein Gefühl dafür das der Pietät, des
*) Br. Bauer Judenfr. S. 61.
weil el das Meinige zu einem Jenſeitigen, weil er überhaupt aus dem Meinigen, aus meinen Eigenſchaften und meinem Eigenthum, ein Fremdes, nämlich ein „Weſen“ macht, kurz, weil er Mich unter den Menſchen ſtellt und Mir dadurch einen „Beruf“ ſchafft; aber auch der Form nach erklärt ſich der Li¬ beralismus als Religion, wenn er für dieß höchſte Weſen, den Menſchen, einen Glaubenseifer fordert, „einen Glauben, der endlich auch einmal ſeinen Feuereifer beweiſen wird, einen Eifer, der unüberwindlich ſein wird.“ *)Da der Liberalismus aber menſchliche Religion iſt, ſo verhält ſich der Bekenner der¬ ſelben gegen den Bekenner jeder anderen (katholiſchen, jüdiſchen u. ſ. w.) tolerant, wie Friedlich der Große gegen Jeden ſich verhielt, der ſeine Unterthanenpfiichten verrichtet, welcher Facon des Seligwerdens er auch zugethan ſein mochte. Dieſe Religion ſoll jetzt zur allgemein üblichen erhoben und von den andern als bloßen „Privatnarrheiten“, gegen die man übri¬ gens ſich wegen ihrer Unweſentlichkeit höchſt liberal verhält, abgeſondert werden.
Man kann ſie die Staatsreligion, die Religion des „freien Staates“ nennen, nicht in dem bisherigen Sinne, daß ſie die vom Staate bevorzugte oder privilegirte ſei, ſondern als diejenige Religion, welche der „freie Staat“ von jedem der Seinigen, er ſei privatim Jude, Chriſt oder was ſonſt, zu for¬ dern nicht nur berechtigt, ſondern genöthigt iſt. Sie thut nämlich dem Staate dieſelben Dienſte, wie die Pietät der Fa¬ milie. Soll die Familie von jedem der Ihrigen in ihrem Be¬ ſtande anerkannt und erhalten werden, ſo muß ihm das Band des Blutes heilig, und ſein Gefühl dafür das der Pietät, des
*) Br. Bauer Judenfr. S. 61.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0239"n="231"/>
weil el das Meinige zu einem Jenſeitigen, weil er überhaupt<lb/>
aus dem Meinigen, aus meinen Eigenſchaften und meinem<lb/>
Eigenthum, ein Fremdes, nämlich ein „Weſen“ macht, kurz,<lb/>
weil er Mich unter den Menſchen ſtellt und Mir dadurch einen<lb/>„Beruf“ſchafft; aber auch der Form nach erklärt ſich der Li¬<lb/>
beralismus als Religion, wenn er für dieß höchſte Weſen, den<lb/>
Menſchen, einen Glaubenseifer fordert, „einen Glauben, der<lb/>
endlich auch einmal ſeinen Feuereifer beweiſen wird, einen<lb/>
Eifer, der unüberwindlich ſein wird.“<noteplace="foot"n="*)"><lb/>
Br. Bauer Judenfr. S. 61.</note>Da der Liberalismus<lb/>
aber menſchliche Religion iſt, ſo verhält ſich der Bekenner der¬<lb/>ſelben gegen den Bekenner jeder anderen (katholiſchen, jüdiſchen<lb/>
u. ſ. w.) <hirendition="#g">tolerant</hi>, wie Friedlich der Große gegen Jeden<lb/>ſich verhielt, der ſeine Unterthanenpfiichten verrichtet, welcher<lb/>
Facon des Seligwerdens er auch zugethan ſein mochte. Dieſe<lb/>
Religion ſoll jetzt zur allgemein üblichen erhoben und von den<lb/>
andern als bloßen „Privatnarrheiten“, gegen die man übri¬<lb/>
gens ſich wegen ihrer Unweſentlichkeit höchſt <hirendition="#g">liberal</hi> verhält,<lb/>
abgeſondert werden.</p><lb/><p>Man kann ſie die <hirendition="#g">Staatsreligion</hi>, die Religion des<lb/>„freien Staates“ nennen, nicht in dem bisherigen Sinne, daß<lb/>ſie die vom Staate bevorzugte oder privilegirte ſei, ſondern als<lb/>
diejenige Religion, welche der „freie Staat“ von jedem der<lb/>
Seinigen, er ſei privatim Jude, Chriſt oder was ſonſt, zu for¬<lb/>
dern nicht nur berechtigt, ſondern genöthigt iſt. Sie thut<lb/>
nämlich dem Staate dieſelben Dienſte, wie die Pietät der Fa¬<lb/>
milie. Soll die Familie von jedem der Ihrigen in ihrem Be¬<lb/>ſtande anerkannt und erhalten werden, ſo muß ihm das Band<lb/>
des Blutes heilig, und ſein Gefühl dafür das der Pietät, des<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[231/0239]
weil el das Meinige zu einem Jenſeitigen, weil er überhaupt
aus dem Meinigen, aus meinen Eigenſchaften und meinem
Eigenthum, ein Fremdes, nämlich ein „Weſen“ macht, kurz,
weil er Mich unter den Menſchen ſtellt und Mir dadurch einen
„Beruf“ ſchafft; aber auch der Form nach erklärt ſich der Li¬
beralismus als Religion, wenn er für dieß höchſte Weſen, den
Menſchen, einen Glaubenseifer fordert, „einen Glauben, der
endlich auch einmal ſeinen Feuereifer beweiſen wird, einen
Eifer, der unüberwindlich ſein wird.“ *)Da der Liberalismus
aber menſchliche Religion iſt, ſo verhält ſich der Bekenner der¬
ſelben gegen den Bekenner jeder anderen (katholiſchen, jüdiſchen
u. ſ. w.) tolerant, wie Friedlich der Große gegen Jeden
ſich verhielt, der ſeine Unterthanenpfiichten verrichtet, welcher
Facon des Seligwerdens er auch zugethan ſein mochte. Dieſe
Religion ſoll jetzt zur allgemein üblichen erhoben und von den
andern als bloßen „Privatnarrheiten“, gegen die man übri¬
gens ſich wegen ihrer Unweſentlichkeit höchſt liberal verhält,
abgeſondert werden.
Man kann ſie die Staatsreligion, die Religion des
„freien Staates“ nennen, nicht in dem bisherigen Sinne, daß
ſie die vom Staate bevorzugte oder privilegirte ſei, ſondern als
diejenige Religion, welche der „freie Staat“ von jedem der
Seinigen, er ſei privatim Jude, Chriſt oder was ſonſt, zu for¬
dern nicht nur berechtigt, ſondern genöthigt iſt. Sie thut
nämlich dem Staate dieſelben Dienſte, wie die Pietät der Fa¬
milie. Soll die Familie von jedem der Ihrigen in ihrem Be¬
ſtande anerkannt und erhalten werden, ſo muß ihm das Band
des Blutes heilig, und ſein Gefühl dafür das der Pietät, des
*)
Br. Bauer Judenfr. S. 61.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/239>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.