d. h. unser Eigenthum ist. Ich bin zwar unter anderm auch ein Mensch, wie Ich z. B. ein lebendiges Wesen, also animal oder Thier, oder ein Europäer, ein Berliner u. dergl. bin; aber wer Mich nur als Menschen oder als Berliner achten wollte, der zollte Mir eine Mir sehr gleichgültige Achtung. Und weshalb? Weil er nur eine meiner Eigenschaften achtete, nicht Mich.
Gerade so verhält sich's mit dem Geiste auch. Ein christlicher, ein rechtschaffener und ähnlicher Geist kann wohl meine erworbene Eigenschaft, d. h. mein Eigenthum, sein, Ich aber bin nicht dieser Geist: er ist mein, Ich nicht sein.
Wir haben daher im Liberalismus nur die Fortsetzung der alten christlichen Geringachtung des Ich's, des leibhaftigen Hansen. Statt Mich zu nehmen, wie Ich bin, sieht man lediglich auf mein Eigenthum, meine Eigenschaften und schließt mit Mir einen ehrlichen Bund, nur um meines -- Besitz¬ thums willen; man heirathet gleichsam, was Ich habe, nicht was Ich bin. Der Christ hält sich an meinen Geist, der Liberale an meine Menschlichkeit.
Aber ist der Geist, den man nicht als das Eigenthum des leibhaftigen Ich's, sondern als das eigentliche Ich selbst betrachtet, ein Gespenst, so ist auch der Mensch, der nicht als meine Eigenschaft, sondern als das eigentliche Ich anerkannt wird, nichts als ein Spuk, ein Gedanke, ein Begriff.
Darum dreht sich auch der Liberale in demselben Kreise wie der Christ herum. Weil der Geist des Menschenthums, d. h. der Mensch, in Dir wohnt, bist Du ein Mensch, wie Du, wenn der Geist Christi in Dir wohnt, ein Christ bist; aber weil er nur als ein zweites, wenngleich als dein eigent¬ liches oder "besseres" Ich, in Dir wohnt, so bleibt er Dir
d. h. unſer Eigenthum iſt. Ich bin zwar unter anderm auch ein Menſch, wie Ich z. B. ein lebendiges Weſen, alſo animal oder Thier, oder ein Europäer, ein Berliner u. dergl. bin; aber wer Mich nur als Menſchen oder als Berliner achten wollte, der zollte Mir eine Mir ſehr gleichgültige Achtung. Und weshalb? Weil er nur eine meiner Eigenſchaften achtete, nicht Mich.
Gerade ſo verhält ſich's mit dem Geiſte auch. Ein chriſtlicher, ein rechtſchaffener und ähnlicher Geiſt kann wohl meine erworbene Eigenſchaft, d. h. mein Eigenthum, ſein, Ich aber bin nicht dieſer Geiſt: er iſt mein, Ich nicht ſein.
Wir haben daher im Liberalismus nur die Fortſetzung der alten chriſtlichen Geringachtung des Ich's, des leibhaftigen Hanſen. Statt Mich zu nehmen, wie Ich bin, ſieht man lediglich auf mein Eigenthum, meine Eigenſchaften und ſchließt mit Mir einen ehrlichen Bund, nur um meines — Beſitz¬ thums willen; man heirathet gleichſam, was Ich habe, nicht was Ich bin. Der Chriſt hält ſich an meinen Geiſt, der Liberale an meine Menſchlichkeit.
Aber iſt der Geiſt, den man nicht als das Eigenthum des leibhaftigen Ich's, ſondern als das eigentliche Ich ſelbſt betrachtet, ein Geſpenſt, ſo iſt auch der Menſch, der nicht als meine Eigenſchaft, ſondern als das eigentliche Ich anerkannt wird, nichts als ein Spuk, ein Gedanke, ein Begriff.
Darum dreht ſich auch der Liberale in demſelben Kreiſe wie der Chriſt herum. Weil der Geiſt des Menſchenthums, d. h. der Menſch, in Dir wohnt, biſt Du ein Menſch, wie Du, wenn der Geiſt Chriſti in Dir wohnt, ein Chriſt biſt; aber weil er nur als ein zweites, wenngleich als dein eigent¬ liches oder „beſſeres“ Ich, in Dir wohnt, ſo bleibt er Dir
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0237"n="229"/>
d. h. unſer Eigenthum iſt. Ich bin zwar unter anderm auch<lb/>
ein Menſch, wie Ich z. B. ein lebendiges Weſen, alſo <hirendition="#aq">animal</hi><lb/>
oder Thier, oder ein Europäer, ein Berliner u. dergl. bin;<lb/>
aber wer Mich nur als Menſchen oder als Berliner achten<lb/>
wollte, der zollte Mir eine Mir ſehr gleichgültige Achtung.<lb/>
Und weshalb? Weil er nur eine meiner <hirendition="#g">Eigenſchaften</hi><lb/>
achtete, nicht <hirendition="#g">Mich</hi>.</p><lb/><p>Gerade ſo verhält ſich's mit dem <hirendition="#g">Geiſte</hi> auch. Ein<lb/>
chriſtlicher, ein rechtſchaffener und ähnlicher Geiſt kann wohl<lb/>
meine erworbene Eigenſchaft, d. h. mein Eigenthum, ſein,<lb/><hirendition="#g">Ich</hi> aber bin nicht dieſer Geiſt: er iſt mein, Ich nicht ſein.</p><lb/><p>Wir haben daher im Liberalismus nur die Fortſetzung<lb/>
der alten chriſtlichen Geringachtung des Ich's, des leibhaftigen<lb/>
Hanſen. Statt Mich zu nehmen, wie Ich bin, ſieht man<lb/>
lediglich auf mein Eigenthum, meine Eigenſchaften und ſchließt<lb/>
mit Mir einen ehrlichen Bund, nur um meines — Beſitz¬<lb/>
thums willen; man heirathet gleichſam, was Ich habe, nicht<lb/>
was Ich bin. Der Chriſt hält ſich an meinen Geiſt, der<lb/>
Liberale an meine Menſchlichkeit.</p><lb/><p>Aber iſt der Geiſt, den man nicht als das <hirendition="#g">Eigenthum</hi><lb/>
des leibhaftigen Ich's, ſondern als das eigentliche Ich ſelbſt<lb/>
betrachtet, ein Geſpenſt, ſo iſt auch der Menſch, der nicht als<lb/>
meine Eigenſchaft, ſondern als das eigentliche Ich anerkannt<lb/>
wird, nichts als ein Spuk, ein Gedanke, ein Begriff.</p><lb/><p>Darum dreht ſich auch der Liberale in demſelben Kreiſe<lb/>
wie der Chriſt herum. Weil der Geiſt des Menſchenthums,<lb/>
d. h. der Menſch, in Dir wohnt, biſt Du ein Menſch, wie<lb/>
Du, wenn der Geiſt Chriſti in Dir wohnt, ein Chriſt biſt;<lb/>
aber weil er nur als ein zweites, wenngleich als dein eigent¬<lb/>
liches oder „beſſeres“ Ich, in Dir wohnt, ſo bleibt er Dir<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[229/0237]
d. h. unſer Eigenthum iſt. Ich bin zwar unter anderm auch
ein Menſch, wie Ich z. B. ein lebendiges Weſen, alſo animal
oder Thier, oder ein Europäer, ein Berliner u. dergl. bin;
aber wer Mich nur als Menſchen oder als Berliner achten
wollte, der zollte Mir eine Mir ſehr gleichgültige Achtung.
Und weshalb? Weil er nur eine meiner Eigenſchaften
achtete, nicht Mich.
Gerade ſo verhält ſich's mit dem Geiſte auch. Ein
chriſtlicher, ein rechtſchaffener und ähnlicher Geiſt kann wohl
meine erworbene Eigenſchaft, d. h. mein Eigenthum, ſein,
Ich aber bin nicht dieſer Geiſt: er iſt mein, Ich nicht ſein.
Wir haben daher im Liberalismus nur die Fortſetzung
der alten chriſtlichen Geringachtung des Ich's, des leibhaftigen
Hanſen. Statt Mich zu nehmen, wie Ich bin, ſieht man
lediglich auf mein Eigenthum, meine Eigenſchaften und ſchließt
mit Mir einen ehrlichen Bund, nur um meines — Beſitz¬
thums willen; man heirathet gleichſam, was Ich habe, nicht
was Ich bin. Der Chriſt hält ſich an meinen Geiſt, der
Liberale an meine Menſchlichkeit.
Aber iſt der Geiſt, den man nicht als das Eigenthum
des leibhaftigen Ich's, ſondern als das eigentliche Ich ſelbſt
betrachtet, ein Geſpenſt, ſo iſt auch der Menſch, der nicht als
meine Eigenſchaft, ſondern als das eigentliche Ich anerkannt
wird, nichts als ein Spuk, ein Gedanke, ein Begriff.
Darum dreht ſich auch der Liberale in demſelben Kreiſe
wie der Chriſt herum. Weil der Geiſt des Menſchenthums,
d. h. der Menſch, in Dir wohnt, biſt Du ein Menſch, wie
Du, wenn der Geiſt Chriſti in Dir wohnt, ein Chriſt biſt;
aber weil er nur als ein zweites, wenngleich als dein eigent¬
liches oder „beſſeres“ Ich, in Dir wohnt, ſo bleibt er Dir
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/237>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.