Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

es Euch zu stören anfängt, nun so wißt Ihr, daß "Ihr Euch
mehr gehorchen müsset, denn den Menschen!"

Die Freiheit lehrt nur: Macht Euch los, entledigt Euch
alles Lästigen; sie lehrt Euch nicht, wer Ihr selbst seid. Los,
los! so tönt ihr Losungswort, und Ihr, begierig ihrem Rufe
folgend, werdet Euch selbst sogar los, "verleugnet Euch selbst".
Die Eigenheit aber ruft Euch zu Euch selbst zurück, sie spricht:
"Komm zu Dir!" Unter der Aegide der Freiheit werdet Ihr
Vielerlei los, aber Neues beklemmt Euch wieder: "den Bösen
seid Ihr los, das Böse ist geblieben". Als Eigene seid Ihr
wirklich Alles los, und was Euch anhaftet, das habt
Ihr angenommen
, das ist eure Wahl und euer Belieben.
Der Eigene ist der geborene Freie, der Freie von Haus
aus; der Freie dagegen nur der Freiheitssüchtige, der
Träumer und Schwärmer.

Jener ist ursprünglich frei, weil er nichts als sich
anerkennt; er braucht sich nicht erst zu befreien, weil er von
vornherein Alles außer sich verwirft, weil er nichts mehr schätzt
als sich, nichts höher anschlägt, kurz, weil er von sich aus¬
geht und "zu sich kommt". Befangen im kindlichen Respect,
arbeitet er gleichwohl schon daran, aus dieser Befangenheit
sich zu "befreien". Die Eigenheit arbeitet in dem kleinen
Egoisten und verschafft ihm die begehrte -- Freiheit.

Jahrtausende der Cultur haben Euch verdunkelt, was Ihr
seid, haben Euch glauben gemacht, Ihr seiet keine Egoisten,
sondern zu Idealisten ("guten Menschen") berufen. Schüt¬
telt das ab! Suchet nicht die Freiheit, die Euch gerade um
Euch selbst bringt, in der "Selbstverleugnung", sondern suchet
Euch Selbst, werdet Egoisten, werde jeder von Euch ein
allmächtiges Ich. Oder deutlicher: Erkennet Euch nur

es Euch zu ſtören anfängt, nun ſo wißt Ihr, daß „Ihr Euch
mehr gehorchen müſſet, denn den Menſchen!“

Die Freiheit lehrt nur: Macht Euch los, entledigt Euch
alles Läſtigen; ſie lehrt Euch nicht, wer Ihr ſelbſt ſeid. Los,
los! ſo tönt ihr Loſungswort, und Ihr, begierig ihrem Rufe
folgend, werdet Euch ſelbſt ſogar los, „verleugnet Euch ſelbſt“.
Die Eigenheit aber ruft Euch zu Euch ſelbſt zurück, ſie ſpricht:
„Komm zu Dir!“ Unter der Aegide der Freiheit werdet Ihr
Vielerlei los, aber Neues beklemmt Euch wieder: „den Böſen
ſeid Ihr los, das Böſe iſt geblieben“. Als Eigene ſeid Ihr
wirklich Alles los, und was Euch anhaftet, das habt
Ihr angenommen
, das iſt eure Wahl und euer Belieben.
Der Eigene iſt der geborene Freie, der Freie von Haus
aus; der Freie dagegen nur der Freiheitsſüchtige, der
Träumer und Schwärmer.

Jener iſt urſprünglich frei, weil er nichts als ſich
anerkennt; er braucht ſich nicht erſt zu befreien, weil er von
vornherein Alles außer ſich verwirft, weil er nichts mehr ſchätzt
als ſich, nichts höher anſchlägt, kurz, weil er von ſich aus¬
geht und „zu ſich kommt“. Befangen im kindlichen Reſpect,
arbeitet er gleichwohl ſchon daran, aus dieſer Befangenheit
ſich zu „befreien“. Die Eigenheit arbeitet in dem kleinen
Egoiſten und verſchafft ihm die begehrte — Freiheit.

Jahrtauſende der Cultur haben Euch verdunkelt, was Ihr
ſeid, haben Euch glauben gemacht, Ihr ſeiet keine Egoiſten,
ſondern zu Idealiſten („guten Menſchen“) berufen. Schüt¬
telt das ab! Suchet nicht die Freiheit, die Euch gerade um
Euch ſelbſt bringt, in der „Selbſtverleugnung“, ſondern ſuchet
Euch Selbſt, werdet Egoiſten, werde jeder von Euch ein
allmächtiges Ich. Oder deutlicher: Erkennet Euch nur

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0224" n="216"/>
es Euch zu &#x017F;tören anfängt, nun &#x017F;o wißt Ihr, daß &#x201E;Ihr <hi rendition="#g">Euch</hi><lb/>
mehr gehorchen mü&#x017F;&#x017F;et, denn den Men&#x017F;chen!&#x201C;</p><lb/>
          <p>Die Freiheit lehrt nur: Macht Euch los, entledigt Euch<lb/>
alles Lä&#x017F;tigen; &#x017F;ie lehrt Euch nicht, wer Ihr &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;eid. Los,<lb/>
los! &#x017F;o tönt ihr Lo&#x017F;ungswort, und Ihr, begierig ihrem Rufe<lb/>
folgend, werdet Euch &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ogar los, &#x201E;verleugnet Euch &#x017F;elb&#x017F;t&#x201C;.<lb/>
Die Eigenheit aber ruft Euch zu Euch &#x017F;elb&#x017F;t zurück, &#x017F;ie &#x017F;pricht:<lb/>
&#x201E;Komm zu Dir!&#x201C; Unter der Aegide der Freiheit werdet Ihr<lb/>
Vielerlei los, aber Neues beklemmt Euch wieder: &#x201E;den Bö&#x017F;en<lb/>
&#x017F;eid Ihr los, das Bö&#x017F;e i&#x017F;t geblieben&#x201C;. Als <hi rendition="#g">Eigene</hi> &#x017F;eid Ihr<lb/><hi rendition="#g">wirklich Alles los</hi>, und was Euch anhaftet, das <hi rendition="#g">habt<lb/>
Ihr angenommen</hi>, das i&#x017F;t eure Wahl und euer Belieben.<lb/>
Der <hi rendition="#g">Eigene</hi> i&#x017F;t der <hi rendition="#g">geborene Freie</hi>, der Freie von Haus<lb/>
aus; der Freie dagegen nur der <hi rendition="#g">Freiheits&#x017F;üchtige</hi>, der<lb/>
Träumer und Schwärmer.</p><lb/>
          <p>Jener i&#x017F;t <hi rendition="#g">ur&#x017F;prünglich frei</hi>, weil er nichts als &#x017F;ich<lb/>
anerkennt; er braucht &#x017F;ich nicht er&#x017F;t zu befreien, weil er von<lb/>
vornherein Alles außer &#x017F;ich verwirft, weil er nichts mehr &#x017F;chätzt<lb/>
als &#x017F;ich, nichts höher an&#x017F;chlägt, kurz, weil er von &#x017F;ich aus¬<lb/>
geht und &#x201E;zu &#x017F;ich kommt&#x201C;. Befangen im kindlichen Re&#x017F;pect,<lb/>
arbeitet er gleichwohl &#x017F;chon daran, aus die&#x017F;er Befangenheit<lb/>
&#x017F;ich zu &#x201E;befreien&#x201C;. Die Eigenheit arbeitet in dem kleinen<lb/>
Egoi&#x017F;ten und ver&#x017F;chafft ihm die begehrte &#x2014; Freiheit.</p><lb/>
          <p>Jahrtau&#x017F;ende der Cultur haben Euch verdunkelt, was Ihr<lb/>
&#x017F;eid, haben Euch glauben gemacht, Ihr &#x017F;eiet keine Egoi&#x017F;ten,<lb/>
&#x017F;ondern zu Ideali&#x017F;ten (&#x201E;guten Men&#x017F;chen&#x201C;) <hi rendition="#g">berufen</hi>. Schüt¬<lb/>
telt das ab! Suchet nicht die Freiheit, die Euch gerade um<lb/>
Euch &#x017F;elb&#x017F;t bringt, in der &#x201E;Selb&#x017F;tverleugnung&#x201C;, &#x017F;ondern &#x017F;uchet<lb/><hi rendition="#g">Euch Selb&#x017F;t</hi>, werdet Egoi&#x017F;ten, werde jeder von Euch ein<lb/><hi rendition="#g">allmächtiges Ich</hi>. Oder deutlicher: Erkennet Euch nur<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[216/0224] es Euch zu ſtören anfängt, nun ſo wißt Ihr, daß „Ihr Euch mehr gehorchen müſſet, denn den Menſchen!“ Die Freiheit lehrt nur: Macht Euch los, entledigt Euch alles Läſtigen; ſie lehrt Euch nicht, wer Ihr ſelbſt ſeid. Los, los! ſo tönt ihr Loſungswort, und Ihr, begierig ihrem Rufe folgend, werdet Euch ſelbſt ſogar los, „verleugnet Euch ſelbſt“. Die Eigenheit aber ruft Euch zu Euch ſelbſt zurück, ſie ſpricht: „Komm zu Dir!“ Unter der Aegide der Freiheit werdet Ihr Vielerlei los, aber Neues beklemmt Euch wieder: „den Böſen ſeid Ihr los, das Böſe iſt geblieben“. Als Eigene ſeid Ihr wirklich Alles los, und was Euch anhaftet, das habt Ihr angenommen, das iſt eure Wahl und euer Belieben. Der Eigene iſt der geborene Freie, der Freie von Haus aus; der Freie dagegen nur der Freiheitsſüchtige, der Träumer und Schwärmer. Jener iſt urſprünglich frei, weil er nichts als ſich anerkennt; er braucht ſich nicht erſt zu befreien, weil er von vornherein Alles außer ſich verwirft, weil er nichts mehr ſchätzt als ſich, nichts höher anſchlägt, kurz, weil er von ſich aus¬ geht und „zu ſich kommt“. Befangen im kindlichen Reſpect, arbeitet er gleichwohl ſchon daran, aus dieſer Befangenheit ſich zu „befreien“. Die Eigenheit arbeitet in dem kleinen Egoiſten und verſchafft ihm die begehrte — Freiheit. Jahrtauſende der Cultur haben Euch verdunkelt, was Ihr ſeid, haben Euch glauben gemacht, Ihr ſeiet keine Egoiſten, ſondern zu Idealiſten („guten Menſchen“) berufen. Schüt¬ telt das ab! Suchet nicht die Freiheit, die Euch gerade um Euch ſelbſt bringt, in der „Selbſtverleugnung“, ſondern ſuchet Euch Selbſt, werdet Egoiſten, werde jeder von Euch ein allmächtiges Ich. Oder deutlicher: Erkennet Euch nur

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/224
Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/224>, abgerufen am 26.11.2024.