großes Ungemach über sie gekommen. Mein Großva¬ ter, dein Ururgroßvater, der zu damaliger Zeit gelebt hat, hat es uns oft erzählt. Es war einmal in einem Frühlinge, da die Bäume kaum ausgeschlagen hatten, da die Blüthenblätter kaum abgefallen waren, daß eine schwere Krankheit über diese Gegend kam, und in allen Ortschaften, die du gesehen hast, und auch in jenen, die du wegen vorstehender Berge nicht hast sehen können, ja sogar in den Wäldern, die du mir gezeigt hast, ausgebrochen ist. Sie ist lange vorher in ent¬ fernten Ländern gewesen, und hat dort unglaublich viele Menschen dahin gerast. Plözlich ist sie zu uns herein gekommen. Man weiß nicht, wie sie gekommen ist: haben sie die Menschen gebracht, ist sie in der mil¬ den Frühlingsluft gekommen, oder haben sie Winde und Regenwolken daher getragen: genug sie ist ge¬ kommen, und hat sich über alle Orte ausgebreitet, die um uns herum liegen. Über die weißen Blüthenblät¬ ter, die noch auf dem Wege lagen, trug man die Tod¬ ten dahin, und in dem Kämmerlein, in das die Früh¬ lingsblätter hinein schauten, lag ein Kranker, und es pflegte ihn einer, der selbst schon krankte. Die Seuche wurde die Pest geheißen, und in fünf bis sechs Stunden war der Mensch gesund und todt, und selbst die, welche von dem Übel genasen, waren nicht mehr
großes Ungemach über ſie gekommen. Mein Großva¬ ter, dein Ururgroßvater, der zu damaliger Zeit gelebt hat, hat es uns oft erzählt. Es war einmal in einem Frühlinge, da die Bäume kaum ausgeſchlagen hatten, da die Blüthenblätter kaum abgefallen waren, daß eine ſchwere Krankheit über dieſe Gegend kam, und in allen Ortſchaften, die du geſehen haſt, und auch in jenen, die du wegen vorſtehender Berge nicht haſt ſehen können, ja ſogar in den Wäldern, die du mir gezeigt haſt, ausgebrochen iſt. Sie iſt lange vorher in ent¬ fernten Ländern geweſen, und hat dort unglaublich viele Menſchen dahin geraſt. Plözlich iſt ſie zu uns herein gekommen. Man weiß nicht, wie ſie gekommen iſt: haben ſie die Menſchen gebracht, iſt ſie in der mil¬ den Frühlingsluft gekommen, oder haben ſie Winde und Regenwolken daher getragen: genug ſie iſt ge¬ kommen, und hat ſich über alle Orte ausgebreitet, die um uns herum liegen. Über die weißen Blüthenblät¬ ter, die noch auf dem Wege lagen, trug man die Tod¬ ten dahin, und in dem Kämmerlein, in das die Früh¬ lingsblätter hinein ſchauten, lag ein Kranker, und es pflegte ihn einer, der ſelbſt ſchon krankte. Die Seuche wurde die Peſt geheißen, und in fünf bis ſechs Stunden war der Menſch geſund und todt, und ſelbſt die, welche von dem Übel genaſen, waren nicht mehr
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0054"n="41"/>
großes Ungemach über ſie gekommen. Mein Großva¬<lb/>
ter, dein Ururgroßvater, der zu damaliger Zeit gelebt<lb/>
hat, hat es uns oft erzählt. Es war einmal in einem<lb/>
Frühlinge, da die Bäume kaum ausgeſchlagen hatten,<lb/>
da die Blüthenblätter kaum abgefallen waren, daß<lb/>
eine ſchwere Krankheit über dieſe Gegend kam, und<lb/>
in allen Ortſchaften, die du geſehen haſt, und auch in<lb/>
jenen, die du wegen vorſtehender Berge nicht haſt ſehen<lb/>
können, ja ſogar in den Wäldern, die du mir gezeigt<lb/>
haſt, ausgebrochen iſt. Sie iſt lange vorher in ent¬<lb/>
fernten Ländern geweſen, und hat dort unglaublich<lb/>
viele Menſchen dahin geraſt. Plözlich iſt ſie zu uns<lb/>
herein gekommen. Man weiß nicht, wie ſie gekommen<lb/>
iſt: haben ſie die Menſchen gebracht, iſt ſie in der mil¬<lb/>
den Frühlingsluft gekommen, oder haben ſie Winde<lb/>
und Regenwolken daher getragen: genug ſie iſt ge¬<lb/>
kommen, und hat ſich über alle Orte ausgebreitet, die<lb/>
um uns herum liegen. Über die weißen Blüthenblät¬<lb/>
ter, die noch auf dem Wege lagen, trug man die Tod¬<lb/>
ten dahin, und in dem Kämmerlein, in das die Früh¬<lb/>
lingsblätter hinein ſchauten, lag ein Kranker, und<lb/>
es pflegte ihn einer, der ſelbſt ſchon krankte. Die<lb/>
Seuche wurde die Peſt geheißen, und in fünf bis ſechs<lb/>
Stunden war der Menſch geſund und todt, und ſelbſt<lb/>
die, welche von dem Übel genaſen, waren nicht mehr<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[41/0054]
großes Ungemach über ſie gekommen. Mein Großva¬
ter, dein Ururgroßvater, der zu damaliger Zeit gelebt
hat, hat es uns oft erzählt. Es war einmal in einem
Frühlinge, da die Bäume kaum ausgeſchlagen hatten,
da die Blüthenblätter kaum abgefallen waren, daß
eine ſchwere Krankheit über dieſe Gegend kam, und
in allen Ortſchaften, die du geſehen haſt, und auch in
jenen, die du wegen vorſtehender Berge nicht haſt ſehen
können, ja ſogar in den Wäldern, die du mir gezeigt
haſt, ausgebrochen iſt. Sie iſt lange vorher in ent¬
fernten Ländern geweſen, und hat dort unglaublich
viele Menſchen dahin geraſt. Plözlich iſt ſie zu uns
herein gekommen. Man weiß nicht, wie ſie gekommen
iſt: haben ſie die Menſchen gebracht, iſt ſie in der mil¬
den Frühlingsluft gekommen, oder haben ſie Winde
und Regenwolken daher getragen: genug ſie iſt ge¬
kommen, und hat ſich über alle Orte ausgebreitet, die
um uns herum liegen. Über die weißen Blüthenblät¬
ter, die noch auf dem Wege lagen, trug man die Tod¬
ten dahin, und in dem Kämmerlein, in das die Früh¬
lingsblätter hinein ſchauten, lag ein Kranker, und
es pflegte ihn einer, der ſelbſt ſchon krankte. Die
Seuche wurde die Peſt geheißen, und in fünf bis ſechs
Stunden war der Menſch geſund und todt, und ſelbſt
die, welche von dem Übel genaſen, waren nicht mehr
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 1. Pest u. a., 1853, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_steine01_1853/54>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.