Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 1. Pest u. a., 1853.

Bild:
<< vorherige Seite

gestern Steine aus der Wiese graben, und wegführen
lassen. Die Grube sei geblieben. Da er nun heute
die Wiese gegen die Zirder mit Wasser überdekt gese¬
hen hätte, habe er geglaubt, daß der Weg der Kinder
etwa nahe an dieser Grube vorbei gehen, und daß
eines in derselben verunglüken könnte. Deßhalb habe
er sich zu der Grube stellen wollen, um alle Gefahr
zu verhindern. Da sie aber abschüssig war, sei er sel¬
ber in die Grube geglitten, und einmal darin stehend
sei er auch darin stehen geblieben. Eines der kleineren
Kinder hätte in der Grube sogar ertrinken können, so
tief sei sie gegraben worden. Man müsse Sorge tra¬
gen, daß die Wiese wieder abgeebnet werde; denn das
Wasser bei Überschwemmungen sei trüb, und lasse die
Tiefe und Ungleichheit des Bodens unter sich nicht
bemerken.

Die nassen Kinder drängten sich um den nassen
Pfarrer, sie küßten ihm die Hand, sie redeten mit ihm,
er redete mit ihnen, oder sie standen da, und sahen
zutraulich zu ihm hinauf.

Er aber sagte endlich, sie sollten jezt die nassen
Rökchen auswinden, das Wasser aus allen Kleidern
drüken, oder abstreifen, und wer Schuhe und Strüm¬
pfe habe, solle sie anziehen, dann sollen sie gehen,
daß sie sich nicht erkühlen, sie sollen sich in die Sonne

Stifter, Jugendschriften. I. 9

geſtern Steine aus der Wieſe graben, und wegführen
laſſen. Die Grube ſei geblieben. Da er nun heute
die Wieſe gegen die Zirder mit Waſſer überdekt geſe¬
hen hätte, habe er geglaubt, daß der Weg der Kinder
etwa nahe an dieſer Grube vorbei gehen, und daß
eines in derſelben verunglüken könnte. Deßhalb habe
er ſich zu der Grube ſtellen wollen, um alle Gefahr
zu verhindern. Da ſie aber abſchüſſig war, ſei er ſel¬
ber in die Grube geglitten, und einmal darin ſtehend
ſei er auch darin ſtehen geblieben. Eines der kleineren
Kinder hätte in der Grube ſogar ertrinken können, ſo
tief ſei ſie gegraben worden. Man müſſe Sorge tra¬
gen, daß die Wieſe wieder abgeebnet werde; denn das
Waſſer bei Überſchwemmungen ſei trüb, und laſſe die
Tiefe und Ungleichheit des Bodens unter ſich nicht
bemerken.

Die naſſen Kinder drängten ſich um den naſſen
Pfarrer, ſie küßten ihm die Hand, ſie redeten mit ihm,
er redete mit ihnen, oder ſie ſtanden da, und ſahen
zutraulich zu ihm hinauf.

Er aber ſagte endlich, ſie ſollten jezt die naſſen
Rökchen auswinden, das Waſſer aus allen Kleidern
drüken, oder abſtreifen, und wer Schuhe und Strüm¬
pfe habe, ſolle ſie anziehen, dann ſollen ſie gehen,
daß ſie ſich nicht erkühlen, ſie ſollen ſich in die Sonne

Stifter, Jugendſchriften. I. 9
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0142" n="129"/>
ge&#x017F;tern Steine aus der Wie&#x017F;e graben, und wegführen<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en. Die Grube &#x017F;ei geblieben. Da er nun heute<lb/>
die Wie&#x017F;e gegen die Zirder mit Wa&#x017F;&#x017F;er überdekt ge&#x017F;<lb/>
hen hätte, habe er geglaubt, daß der Weg der Kinder<lb/>
etwa nahe an die&#x017F;er Grube vorbei gehen, und daß<lb/>
eines in der&#x017F;elben verunglüken könnte. Deßhalb habe<lb/>
er &#x017F;ich zu der Grube &#x017F;tellen wollen, um alle Gefahr<lb/>
zu verhindern. Da &#x017F;ie aber ab&#x017F;chü&#x017F;&#x017F;ig war, &#x017F;ei er &#x017F;el¬<lb/>
ber in die Grube geglitten, und einmal darin &#x017F;tehend<lb/>
&#x017F;ei er auch darin &#x017F;tehen geblieben. Eines der kleineren<lb/>
Kinder hätte in der Grube &#x017F;ogar ertrinken können, &#x017F;o<lb/>
tief &#x017F;ei &#x017F;ie gegraben worden. Man mü&#x017F;&#x017F;e Sorge tra¬<lb/>
gen, daß die Wie&#x017F;e wieder abgeebnet werde; denn das<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;er bei Über&#x017F;chwemmungen &#x017F;ei trüb, und la&#x017F;&#x017F;e die<lb/>
Tiefe und Ungleichheit des Bodens unter &#x017F;ich nicht<lb/>
bemerken.</p><lb/>
        <p>Die na&#x017F;&#x017F;en Kinder drängten &#x017F;ich um den na&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Pfarrer, &#x017F;ie küßten ihm die Hand, &#x017F;ie redeten mit ihm,<lb/>
er redete mit ihnen, oder &#x017F;ie &#x017F;tanden da, und &#x017F;ahen<lb/>
zutraulich zu ihm hinauf.</p><lb/>
        <p>Er aber &#x017F;agte endlich, &#x017F;ie &#x017F;ollten jezt die na&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Rökchen auswinden, das Wa&#x017F;&#x017F;er aus allen Kleidern<lb/>
drüken, oder ab&#x017F;treifen, und wer Schuhe und Strüm¬<lb/>
pfe habe, &#x017F;olle &#x017F;ie anziehen, dann &#x017F;ollen &#x017F;ie gehen,<lb/>
daß &#x017F;ie &#x017F;ich nicht erkühlen, &#x017F;ie &#x017F;ollen &#x017F;ich in die Sonne<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Stifter, Jugend&#x017F;chriften. I. 9<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[129/0142] geſtern Steine aus der Wieſe graben, und wegführen laſſen. Die Grube ſei geblieben. Da er nun heute die Wieſe gegen die Zirder mit Waſſer überdekt geſe¬ hen hätte, habe er geglaubt, daß der Weg der Kinder etwa nahe an dieſer Grube vorbei gehen, und daß eines in derſelben verunglüken könnte. Deßhalb habe er ſich zu der Grube ſtellen wollen, um alle Gefahr zu verhindern. Da ſie aber abſchüſſig war, ſei er ſel¬ ber in die Grube geglitten, und einmal darin ſtehend ſei er auch darin ſtehen geblieben. Eines der kleineren Kinder hätte in der Grube ſogar ertrinken können, ſo tief ſei ſie gegraben worden. Man müſſe Sorge tra¬ gen, daß die Wieſe wieder abgeebnet werde; denn das Waſſer bei Überſchwemmungen ſei trüb, und laſſe die Tiefe und Ungleichheit des Bodens unter ſich nicht bemerken. Die naſſen Kinder drängten ſich um den naſſen Pfarrer, ſie küßten ihm die Hand, ſie redeten mit ihm, er redete mit ihnen, oder ſie ſtanden da, und ſahen zutraulich zu ihm hinauf. Er aber ſagte endlich, ſie ſollten jezt die naſſen Rökchen auswinden, das Waſſer aus allen Kleidern drüken, oder abſtreifen, und wer Schuhe und Strüm¬ pfe habe, ſolle ſie anziehen, dann ſollen ſie gehen, daß ſie ſich nicht erkühlen, ſie ſollen ſich in die Sonne Stifter, Jugendſchriften. I. 9

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_steine01_1853
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_steine01_1853/142
Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 1. Pest u. a., 1853, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_steine01_1853/142>, abgerufen am 05.05.2024.