tilde und ich hineingerufen, und Mathilde sagte: "Der Herr und die Frau Drendorf haben für ihren Sohn Heinrich um deine Hand geworben, Natalie."
Natalie, welche in einem so festlichen Kleide da stand, wie ich sie nie gesehen hatte, weßhalb sie mir beinahe fremd erschien, blickte mich mit Thränen in den Augen an. Ich ging auf sie zu, faßte sie an der Hand, führte sie vor ihre Mutter, und wir sprachen einige Worte des Dankes. Sie entgegnete sehr freund¬ lich. Dann gingen wir zu meinen Eltern, und dank¬ ten ihnen gleichfalls, die gleichfalls freundlich ant¬ worteten. Klotilde war in ihrem Festanzuge sehr be¬ fangen, was auch fast bei allen andern der Fall war. Mein Vater löste die Stimmung, indem er zu einem Tische schritt, auf welchen er ein Kästchen niederge¬ stellt hatte. Er nahm das Kästchen, näherte sich Na¬ talien, und sagte: "Liebe Braut und künftige Tochter, hier bringe ich ein kleines Geschenk; aber es ist eine Bedingung daran geknüpft. Ihr seht, daß ein Faden um das Schloß liegt, und daß der Faden ein Siegel trägt. Schneidet den Faden nicht eher ab als nach eurer Vermählung. Den Grund meiner Bitte werdet ihr dann auch sehen. Wollt ihr sie freundlich er¬ füllen?"
tilde und ich hineingerufen, und Mathilde ſagte: „Der Herr und die Frau Drendorf haben für ihren Sohn Heinrich um deine Hand geworben, Natalie.”
Natalie, welche in einem ſo feſtlichen Kleide da ſtand, wie ich ſie nie geſehen hatte, weßhalb ſie mir beinahe fremd erſchien, blickte mich mit Thränen in den Augen an. Ich ging auf ſie zu, faßte ſie an der Hand, führte ſie vor ihre Mutter, und wir ſprachen einige Worte des Dankes. Sie entgegnete ſehr freund¬ lich. Dann gingen wir zu meinen Eltern, und dank¬ ten ihnen gleichfalls, die gleichfalls freundlich ant¬ worteten. Klotilde war in ihrem Feſtanzuge ſehr be¬ fangen, was auch faſt bei allen andern der Fall war. Mein Vater löſte die Stimmung, indem er zu einem Tiſche ſchritt, auf welchen er ein Käſtchen niederge¬ ſtellt hatte. Er nahm das Käſtchen, näherte ſich Na¬ talien, und ſagte: „Liebe Braut und künftige Tochter, hier bringe ich ein kleines Geſchenk; aber es iſt eine Bedingung daran geknüpft. Ihr ſeht, daß ein Faden um das Schloß liegt, und daß der Faden ein Siegel trägt. Schneidet den Faden nicht eher ab als nach eurer Vermählung. Den Grund meiner Bitte werdet ihr dann auch ſehen. Wollt ihr ſie freundlich er¬ füllen?”
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tilde und ich hineingerufen, und Mathilde ſagte: „Der
Herr und die Frau Drendorf haben für ihren Sohn
Heinrich um deine Hand geworben, Natalie.”
Natalie, welche in einem ſo feſtlichen Kleide da
ſtand, wie ich ſie nie geſehen hatte, weßhalb ſie mir
beinahe fremd erſchien, blickte mich mit Thränen in
den Augen an. Ich ging auf ſie zu, faßte ſie an der
Hand, führte ſie vor ihre Mutter, und wir ſprachen
einige Worte des Dankes. Sie entgegnete ſehr freund¬
lich. Dann gingen wir zu meinen Eltern, und dank¬
ten ihnen gleichfalls, die gleichfalls freundlich ant¬
worteten. Klotilde war in ihrem Feſtanzuge ſehr be¬
fangen, was auch faſt bei allen andern der Fall war.
Mein Vater löſte die Stimmung, indem er zu einem
Tiſche ſchritt, auf welchen er ein Käſtchen niederge¬
ſtellt hatte. Er nahm das Käſtchen, näherte ſich Na¬
talien, und ſagte: „Liebe Braut und künftige Tochter,
hier bringe ich ein kleines Geſchenk; aber es iſt eine
Bedingung daran geknüpft. Ihr ſeht, daß ein Faden
um das Schloß liegt, und daß der Faden ein Siegel
trägt. Schneidet den Faden nicht eher ab als nach
eurer Vermählung. Den Grund meiner Bitte werdet
ihr dann auch ſehen. Wollt ihr ſie freundlich er¬
füllen?”
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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/384>, abgerufen am 22.11.2024.
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