gehört mehr als Verneinendes, es ist der Inbegrif der Holdseligkeit des Wesens eines Andern, zu dem alle unsre Kräfte einzig und fröhlich hinziehn. Als Julie nach zwei Jahren gestorben war, betrauerte ich sie redlich; aber Mathildens Bild war unberührt in meinem Herzen stehen geblieben. Ich war jezt wie¬ der allein. Zur Schließung einer neuen Ehe war ich nicht mehr zu bewegen. Ich wußte jezt, was ich vor¬ her nicht gewußt hatte. Liebe und Neigung, dachte ich, ist ein Ding, das seinen Zug an meinem Herzen vorüber genommen hatte."
"Ein Jahr nach dem Tode Juliens starb mein Oheim, und sezte mich zu dem Erben seines beträcht¬ lichen Vermögens ein."
"Meine Geschäfte wurden mir indessen von Tag zu Tag schwerer. So wie ich in früheren Zeiten schon gedacht hatte, daß der Staatsdienst meiner Eigenheit nicht entspreche, und daß ich besser thäte, wenn ich ihn verließe: so wuchs dieser Gedanke bei genauerem Nachdenken und schärferem Selbstbeobachten zu immer größerer Gewißheit, und ich beschloß, meine Äm¬ ter niederzulegen. Meine Freunde suchten mich dar¬ an zu verhindern, und Mancher, den ich als feste Säule des Staates kennen zu lernen Gelegenheit ge¬
Stifter, Nachsommer. III. 22
gehört mehr als Verneinendes, es iſt der Inbegrif der Holdſeligkeit des Weſens eines Andern, zu dem alle unſre Kräfte einzig und fröhlich hinziehn. Als Julie nach zwei Jahren geſtorben war, betrauerte ich ſie redlich; aber Mathildens Bild war unberührt in meinem Herzen ſtehen geblieben. Ich war jezt wie¬ der allein. Zur Schließung einer neuen Ehe war ich nicht mehr zu bewegen. Ich wußte jezt, was ich vor¬ her nicht gewußt hatte. Liebe und Neigung, dachte ich, iſt ein Ding, das ſeinen Zug an meinem Herzen vorüber genommen hatte.“
„Ein Jahr nach dem Tode Juliens ſtarb mein Oheim, und ſezte mich zu dem Erben ſeines beträcht¬ lichen Vermögens ein.“
„Meine Geſchäfte wurden mir indeſſen von Tag zu Tag ſchwerer. So wie ich in früheren Zeiten ſchon gedacht hatte, daß der Staatsdienſt meiner Eigenheit nicht entſpreche, und daß ich beſſer thäte, wenn ich ihn verließe: ſo wuchs dieſer Gedanke bei genauerem Nachdenken und ſchärferem Selbſtbeobachten zu immer größerer Gewißheit, und ich beſchloß, meine Äm¬ ter niederzulegen. Meine Freunde ſuchten mich dar¬ an zu verhindern, und Mancher, den ich als feſte Säule des Staates kennen zu lernen Gelegenheit ge¬
Stifter, Nachſommer. III. 22
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gehört mehr als Verneinendes, es iſt der Inbegrif
der Holdſeligkeit des Weſens eines Andern, zu dem
alle unſre Kräfte einzig und fröhlich hinziehn. Als
Julie nach zwei Jahren geſtorben war, betrauerte ich
ſie redlich; aber Mathildens Bild war unberührt in
meinem Herzen ſtehen geblieben. Ich war jezt wie¬
der allein. Zur Schließung einer neuen Ehe war ich
nicht mehr zu bewegen. Ich wußte jezt, was ich vor¬
her nicht gewußt hatte. Liebe und Neigung, dachte
ich, iſt ein Ding, das ſeinen Zug an meinem Herzen
vorüber genommen hatte.“
„Ein Jahr nach dem Tode Juliens ſtarb mein
Oheim, und ſezte mich zu dem Erben ſeines beträcht¬
lichen Vermögens ein.“
„Meine Geſchäfte wurden mir indeſſen von Tag
zu Tag ſchwerer. So wie ich in früheren Zeiten ſchon
gedacht hatte, daß der Staatsdienſt meiner Eigenheit
nicht entſpreche, und daß ich beſſer thäte, wenn ich
ihn verließe: ſo wuchs dieſer Gedanke bei genauerem
Nachdenken und ſchärferem Selbſtbeobachten zu immer
größerer Gewißheit, und ich beſchloß, meine Äm¬
ter niederzulegen. Meine Freunde ſuchten mich dar¬
an zu verhindern, und Mancher, den ich als feſte
Säule des Staates kennen zu lernen Gelegenheit ge¬
Stifter, Nachſommer. III. 22
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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/351>, abgerufen am 22.11.2024.
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