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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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fühle verlangen sie, nur die Aufhebung des Äußer¬
lichen unseres Bundes auf eine Zeit.""

""Kannst du eine Zeit nicht mehr du sein?"" erwie¬
derte sie, ""kannst du eine Zeit dein Herz nicht schla¬
gen lassen? Äußeres, Inneres, das ist alles eins, und
alles ist die Liebe. Du hast nie geliebt, weil du es
nicht weißt.""

""Mathilde,"" antwortete ich, ""du warst immer
so gut, du warst edel rein herrlich, daß ich dich mit
allen Kräften in meine Seele schloß: heute bist du
zum ersten Male ungerecht. Meine Liebe ist unendlich,
ist unzerstörbar und der Schmerz, daß ich dich lassen
muß, ist unsäglich, ich habe nicht gewußt, daß es
einen so großen auf Erden gibt; nur der ist größer,
von dir verkannt zu sein. Ich unterscheide nicht, wer
dir das Gebot der ältern hätte sagen sollen, es ist
das einerlei, sie sind die Eltern, das Gebot ist das
Gebot, und das Heiligste in uns sagt, daß die El¬
tern geehrt werden müssen, daß das Band zwischen
Eltern und Kind nicht zerstört werden darf, wenn
auch das Herz bricht. So fühlte ich, so handelte ich,
und ich wollte dir das Nothwendige recht sanft und
weich sagen, darum übernahm ich die Sendung; ich
glaubte, es könne dir niemand das Bittere so sanft

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fühle verlangen ſie, nur die Aufhebung des Äußer¬
lichen unſeres Bundes auf eine Zeit.““

„„Kannst du eine Zeit nicht mehr du ſein?““ erwie¬
derte ſie, „„kannſt du eine Zeit dein Herz nicht ſchla¬
gen laſſen? Äußeres, Inneres, das iſt alles eins, und
alles iſt die Liebe. Du haſt nie geliebt, weil du es
nicht weißt.““

„„Mathilde,““ antwortete ich, „„du warſt immer
ſo gut, du warſt edel rein herrlich, daß ich dich mit
allen Kräften in meine Seele ſchloß: heute biſt du
zum erſten Male ungerecht. Meine Liebe iſt unendlich,
iſt unzerſtörbar und der Schmerz, daß ich dich laſſen
muß, iſt unſäglich, ich habe nicht gewußt, daß es
einen ſo großen auf Erden gibt; nur der iſt größer,
von dir verkannt zu ſein. Ich unterſcheide nicht, wer
dir das Gebot der ältern hätte ſagen ſollen, es iſt
das einerlei, ſie ſind die Eltern, das Gebot iſt das
Gebot, und das Heiligſte in uns ſagt, daß die El¬
tern geehrt werden müſſen, daß das Band zwiſchen
Eltern und Kind nicht zerſtört werden darf, wenn
auch das Herz bricht. So fühlte ich, ſo handelte ich,
und ich wollte dir das Nothwendige recht ſanft und
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[323/0337] fühle verlangen ſie, nur die Aufhebung des Äußer¬ lichen unſeres Bundes auf eine Zeit.““ „„Kannst du eine Zeit nicht mehr du ſein?““ erwie¬ derte ſie, „„kannſt du eine Zeit dein Herz nicht ſchla¬ gen laſſen? Äußeres, Inneres, das iſt alles eins, und alles iſt die Liebe. Du haſt nie geliebt, weil du es nicht weißt.““ „„Mathilde,““ antwortete ich, „„du warſt immer ſo gut, du warſt edel rein herrlich, daß ich dich mit allen Kräften in meine Seele ſchloß: heute biſt du zum erſten Male ungerecht. Meine Liebe iſt unendlich, iſt unzerſtörbar und der Schmerz, daß ich dich laſſen muß, iſt unſäglich, ich habe nicht gewußt, daß es einen ſo großen auf Erden gibt; nur der iſt größer, von dir verkannt zu ſein. Ich unterſcheide nicht, wer dir das Gebot der ältern hätte ſagen ſollen, es iſt das einerlei, ſie ſind die Eltern, das Gebot iſt das Gebot, und das Heiligſte in uns ſagt, daß die El¬ tern geehrt werden müſſen, daß das Band zwiſchen Eltern und Kind nicht zerſtört werden darf, wenn auch das Herz bricht. So fühlte ich, ſo handelte ich, und ich wollte dir das Nothwendige recht ſanft und weich ſagen, darum übernahm ich die Sendung; ich glaubte, es könne dir niemand das Bittere ſo ſanft 21 *

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/337>, abgerufen am 22.11.2024.