Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

was auf ihn Einfluß nehmen möge. Erziehung ist
wohl nichts als Umgang, ein Knabe, selbst wenn er
so klein ist, muß nicht immer mit seiner Mutter oder
wieder nur mit Knaben umgehen. Der Unterricht ist
viel leichter als die Erziehung. Zu ihm darf man nur
etwas wissen, und es mittheilen können, zur Erziehung
muß man etwas sein. Wenn aber einmal jemand et¬
was ist, dann, glaube ich, erzieht er auch leicht. Meine
Freundin Adele, die Gattin des Kaufherrn, dessen
Waarengewölbe dem großen Thore des Erzdomes
gegenüber ist, hat mir von euch erzählt. Wenn ihr es
für gut findet, den Knaben auch in irgend etwas zu
unterrichten, so ist es eurem Ermessen überlassen, wie
und wie weit ihr es thut.""

"Ich konnte auf diese Worte nichts antworten;
ich war sehr erröthet."

""Mathilde,"" sagte die Frau, ""begrüße auch die¬
sen Herrn, er wird jezt bei uns wohnen.""

"Das Mädchen, welches immer bei seinem aufge¬
schlagenen Buche sizen geblieben war, stand jezt auf,
und näherte sich mir. Ich erstaunte, daß das Mäd¬
chen schon so groß sei, ich hatte es mir kleiner gedacht.
Es war auf einem etwas niederen Stuhle gesessen.
Da es in meine Nähe gekommen war, stand ich auf,

Stifter, Nachsommer. III. 17

was auf ihn Einfluß nehmen möge. Erziehung iſt
wohl nichts als Umgang, ein Knabe, ſelbſt wenn er
ſo klein iſt, muß nicht immer mit ſeiner Mutter oder
wieder nur mit Knaben umgehen. Der Unterricht iſt
viel leichter als die Erziehung. Zu ihm darf man nur
etwas wiſſen, und es mittheilen können, zur Erziehung
muß man etwas ſein. Wenn aber einmal jemand et¬
was iſt, dann, glaube ich, erzieht er auch leicht. Meine
Freundin Adele, die Gattin des Kaufherrn, deſſen
Waarengewölbe dem großen Thore des Erzdomes
gegenüber iſt, hat mir von euch erzählt. Wenn ihr es
für gut findet, den Knaben auch in irgend etwas zu
unterrichten, ſo iſt es eurem Ermeſſen überlaſſen, wie
und wie weit ihr es thut.““

„Ich konnte auf dieſe Worte nichts antworten;
ich war ſehr erröthet.“

„„Mathilde,““ ſagte die Frau, „„begrüße auch die¬
ſen Herrn, er wird jezt bei uns wohnen.““

„Das Mädchen, welches immer bei ſeinem aufge¬
ſchlagenen Buche ſizen geblieben war, ſtand jezt auf,
und näherte ſich mir. Ich erſtaunte, daß das Mäd¬
chen ſchon ſo groß ſei, ich hatte es mir kleiner gedacht.
Es war auf einem etwas niederen Stuhle geſeſſen.
Da es in meine Nähe gekommen war, ſtand ich auf,

Stifter, Nachſommer. III. 17
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0271" n="257"/>
was auf ihn Einfluß nehmen möge. Erziehung i&#x017F;t<lb/>
wohl nichts als Umgang, ein Knabe, &#x017F;elb&#x017F;t wenn er<lb/>
&#x017F;o klein i&#x017F;t, muß nicht immer mit &#x017F;einer Mutter oder<lb/>
wieder nur mit Knaben umgehen. Der Unterricht i&#x017F;t<lb/>
viel leichter als die Erziehung. Zu ihm darf man nur<lb/>
etwas wi&#x017F;&#x017F;en, und es mittheilen können, zur Erziehung<lb/>
muß man etwas &#x017F;ein. Wenn aber einmal jemand et¬<lb/>
was i&#x017F;t, dann, glaube ich, erzieht er auch leicht. Meine<lb/>
Freundin Adele, die Gattin des Kaufherrn, de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Waarengewölbe dem großen Thore des Erzdomes<lb/>
gegenüber i&#x017F;t, hat mir von euch erzählt. Wenn ihr es<lb/>
für gut findet, den Knaben auch in irgend etwas zu<lb/>
unterrichten, &#x017F;o i&#x017F;t es eurem Erme&#x017F;&#x017F;en überla&#x017F;&#x017F;en, wie<lb/>
und wie weit ihr es thut.&#x201C;&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich konnte auf die&#x017F;e Worte nichts antworten;<lb/>
ich war &#x017F;ehr erröthet.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;&#x201E;Mathilde,&#x201C;&#x201C; &#x017F;agte die Frau, &#x201E;&#x201E;begrüße auch die¬<lb/>
&#x017F;en Herrn, er wird jezt bei uns wohnen.&#x201C;&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Das Mädchen, welches immer bei &#x017F;einem aufge¬<lb/>
&#x017F;chlagenen Buche &#x017F;izen geblieben war, &#x017F;tand jezt auf,<lb/>
und näherte &#x017F;ich mir. Ich er&#x017F;taunte, daß das Mäd¬<lb/>
chen &#x017F;chon &#x017F;o groß &#x017F;ei, ich hatte es mir kleiner gedacht.<lb/>
Es war auf einem etwas niederen Stuhle ge&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Da es in meine Nähe gekommen war, &#x017F;tand ich auf,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Stifter</hi>, Nach&#x017F;ommer. <hi rendition="#aq">III</hi>. 17<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[257/0271] was auf ihn Einfluß nehmen möge. Erziehung iſt wohl nichts als Umgang, ein Knabe, ſelbſt wenn er ſo klein iſt, muß nicht immer mit ſeiner Mutter oder wieder nur mit Knaben umgehen. Der Unterricht iſt viel leichter als die Erziehung. Zu ihm darf man nur etwas wiſſen, und es mittheilen können, zur Erziehung muß man etwas ſein. Wenn aber einmal jemand et¬ was iſt, dann, glaube ich, erzieht er auch leicht. Meine Freundin Adele, die Gattin des Kaufherrn, deſſen Waarengewölbe dem großen Thore des Erzdomes gegenüber iſt, hat mir von euch erzählt. Wenn ihr es für gut findet, den Knaben auch in irgend etwas zu unterrichten, ſo iſt es eurem Ermeſſen überlaſſen, wie und wie weit ihr es thut.““ „Ich konnte auf dieſe Worte nichts antworten; ich war ſehr erröthet.“ „„Mathilde,““ ſagte die Frau, „„begrüße auch die¬ ſen Herrn, er wird jezt bei uns wohnen.““ „Das Mädchen, welches immer bei ſeinem aufge¬ ſchlagenen Buche ſizen geblieben war, ſtand jezt auf, und näherte ſich mir. Ich erſtaunte, daß das Mäd¬ chen ſchon ſo groß ſei, ich hatte es mir kleiner gedacht. Es war auf einem etwas niederen Stuhle geſeſſen. Da es in meine Nähe gekommen war, ſtand ich auf, Stifter, Nachſommer. III. 17

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/271
Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/271>, abgerufen am 24.11.2024.