häuslichen Reinheit zu betrachten als das Bild des Duldens der Sanftmuth des Ordnens und des Be¬ stehens. So war sie ein Mittelpunkt für unser Den¬ ken geworden, und mir kam fast nicht zu Sinne, daß das je einmal anders werden könne. Jezt wußte ich erst, wie sehr wir sie liebten. Sie, die nie gefordert hatte, die nie auf sich irgend eine Beziehung gemacht hatte, die geräuschlos immer gegeben hatte, die jedes Schicksal als eine Fügung des Himmels empfangen hatte, und die in ruhigem Glauben ihre Kinder der Zukunft anvertraut hatte, war nicht mehr. Unter der Decke der Schollen schlummerte ihr Herz, das dort vielleicht so ergebungsvoll schlummerte, wie es sonst in der Kammer unter der Hülle seiner weißen Decke geschlummert hatte. Die Schwester war wie ein Schatten, sie wollte mich trösten, und ich wußte nicht, ob sie des Trostes nicht noch bedürftiger wäre als ich. Der Gatte meiner Schwester war in einer gewissen Ergebung, er war stille, und ging an die Beschäfti¬ gungen seines Berufes. Ich ließ mir nach einer Zeit das frische Grab der Mutter zeigen, weinte dort meine Seele aus, und betete für sie zu dem Herrn des Him¬ mels. Da ich in das Haus zurückgekehrt war, besuchte ich alle Räume, in denen sie zulezt geweilt hatte, be¬
häuslichen Reinheit zu betrachten als das Bild des Duldens der Sanftmuth des Ordnens und des Be¬ ſtehens. So war ſie ein Mittelpunkt für unſer Den¬ ken geworden, und mir kam faſt nicht zu Sinne, daß das je einmal anders werden könne. Jezt wußte ich erſt, wie ſehr wir ſie liebten. Sie, die nie gefordert hatte, die nie auf ſich irgend eine Beziehung gemacht hatte, die geräuſchlos immer gegeben hatte, die jedes Schickſal als eine Fügung des Himmels empfangen hatte, und die in ruhigem Glauben ihre Kinder der Zukunft anvertraut hatte, war nicht mehr. Unter der Decke der Schollen ſchlummerte ihr Herz, das dort vielleicht ſo ergebungsvoll ſchlummerte, wie es ſonſt in der Kammer unter der Hülle ſeiner weißen Decke geſchlummert hatte. Die Schweſter war wie ein Schatten, ſie wollte mich tröſten, und ich wußte nicht, ob ſie des Troſtes nicht noch bedürftiger wäre als ich. Der Gatte meiner Schweſter war in einer gewiſſen Ergebung, er war ſtille, und ging an die Beſchäfti¬ gungen ſeines Berufes. Ich ließ mir nach einer Zeit das friſche Grab der Mutter zeigen, weinte dort meine Seele aus, und betete für ſie zu dem Herrn des Him¬ mels. Da ich in das Haus zurückgekehrt war, beſuchte ich alle Räume, in denen ſie zulezt geweilt hatte, be¬
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häuslichen Reinheit zu betrachten als das Bild des
Duldens der Sanftmuth des Ordnens und des Be¬
ſtehens. So war ſie ein Mittelpunkt für unſer Den¬
ken geworden, und mir kam faſt nicht zu Sinne, daß
das je einmal anders werden könne. Jezt wußte ich
erſt, wie ſehr wir ſie liebten. Sie, die nie gefordert
hatte, die nie auf ſich irgend eine Beziehung gemacht
hatte, die geräuſchlos immer gegeben hatte, die jedes
Schickſal als eine Fügung des Himmels empfangen
hatte, und die in ruhigem Glauben ihre Kinder der
Zukunft anvertraut hatte, war nicht mehr. Unter der
Decke der Schollen ſchlummerte ihr Herz, das dort
vielleicht ſo ergebungsvoll ſchlummerte, wie es ſonſt
in der Kammer unter der Hülle ſeiner weißen Decke
geſchlummert hatte. Die Schweſter war wie ein
Schatten, ſie wollte mich tröſten, und ich wußte nicht,
ob ſie des Troſtes nicht noch bedürftiger wäre als ich.
Der Gatte meiner Schweſter war in einer gewiſſen
Ergebung, er war ſtille, und ging an die Beſchäfti¬
gungen ſeines Berufes. Ich ließ mir nach einer Zeit
das friſche Grab der Mutter zeigen, weinte dort meine
Seele aus, und betete für ſie zu dem Herrn des Him¬
mels. Da ich in das Haus zurückgekehrt war, beſuchte
ich alle Räume, in denen ſie zulezt geweilt hatte, be¬
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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/261>, abgerufen am 24.11.2024.
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