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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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denen wir uns zuneigen können: so ist die Liebe der
Eltern zu den Kindern, die Liebe des Vaters zur
Mutter der Mutter zum Vater, die Liebe der Geschwi¬
ster, die Liebe des Bräutigams zur Braut der Braut
zum Bräutigam, die Liebe des Freundes zum Freunde,
die Liebe zum Vaterlande, zur Kunst zur Wissenschaft
zur Natur, und endlich gleichsam kleine Rinnsale, die
sich von dem großen Strome abzweigen, Beschäftigun¬
gen mit einzelnen gleichsam kleinlichen Gegenständen,
denen sich oft der Mensch am Abende seines Lebens
wie kindlichen Nothbehelfen hingibt, Blumenpflege
Zucht einer einzigen Gewächsart einer Thierart und
so weiter, was wir mit dem Namen Liebhaberei be¬
legen. Wen die größeren Gegenstände der Liebe ver¬
lassen haben, oder wer sie nie gehabt hat, und wer
endlich auch gar keine Liebhaberei besizt, der lebt kaum
und betet auch kaum Gott an, er ist nur da. So
faßt es sich, glaube ich, zusammen, was wir mit der
Richtung großer Kräfte nach großen Zielen bezeichnen,
und so findet es seine Berechtigung."

"Jene Zeit," sagte er nach einer Weile, "in wel¬
cher die Kirchen gebaut worden sind, wie wir eben
eine besucht haben, war in dieser Hinsicht weit größer
als die unsrige, ihr Streben war ein höheres, es war

denen wir uns zuneigen können: ſo iſt die Liebe der
Eltern zu den Kindern, die Liebe des Vaters zur
Mutter der Mutter zum Vater, die Liebe der Geſchwi¬
ſter, die Liebe des Bräutigams zur Braut der Braut
zum Bräutigam, die Liebe des Freundes zum Freunde,
die Liebe zum Vaterlande, zur Kunſt zur Wiſſenſchaft
zur Natur, und endlich gleichſam kleine Rinnſale, die
ſich von dem großen Strome abzweigen, Beſchäftigun¬
gen mit einzelnen gleichſam kleinlichen Gegenſtänden,
denen ſich oft der Menſch am Abende ſeines Lebens
wie kindlichen Nothbehelfen hingibt, Blumenpflege
Zucht einer einzigen Gewächsart einer Thierart und
ſo weiter, was wir mit dem Namen Liebhaberei be¬
legen. Wen die größeren Gegenſtände der Liebe ver¬
laſſen haben, oder wer ſie nie gehabt hat, und wer
endlich auch gar keine Liebhaberei beſizt, der lebt kaum
und betet auch kaum Gott an, er iſt nur da. So
faßt es ſich, glaube ich, zuſammen, was wir mit der
Richtung großer Kräfte nach großen Zielen bezeichnen,
und ſo findet es ſeine Berechtigung.“

„Jene Zeit,“ ſagte er nach einer Weile, „in wel¬
cher die Kirchen gebaut worden ſind, wie wir eben
eine beſucht haben, war in dieſer Hinſicht weit größer
als die unſrige, ihr Streben war ein höheres, es war

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[89/0103] denen wir uns zuneigen können: ſo iſt die Liebe der Eltern zu den Kindern, die Liebe des Vaters zur Mutter der Mutter zum Vater, die Liebe der Geſchwi¬ ſter, die Liebe des Bräutigams zur Braut der Braut zum Bräutigam, die Liebe des Freundes zum Freunde, die Liebe zum Vaterlande, zur Kunſt zur Wiſſenſchaft zur Natur, und endlich gleichſam kleine Rinnſale, die ſich von dem großen Strome abzweigen, Beſchäftigun¬ gen mit einzelnen gleichſam kleinlichen Gegenſtänden, denen ſich oft der Menſch am Abende ſeines Lebens wie kindlichen Nothbehelfen hingibt, Blumenpflege Zucht einer einzigen Gewächsart einer Thierart und ſo weiter, was wir mit dem Namen Liebhaberei be¬ legen. Wen die größeren Gegenſtände der Liebe ver¬ laſſen haben, oder wer ſie nie gehabt hat, und wer endlich auch gar keine Liebhaberei beſizt, der lebt kaum und betet auch kaum Gott an, er iſt nur da. So faßt es ſich, glaube ich, zuſammen, was wir mit der Richtung großer Kräfte nach großen Zielen bezeichnen, und ſo findet es ſeine Berechtigung.“ „Jene Zeit,“ ſagte er nach einer Weile, „in wel¬ cher die Kirchen gebaut worden ſind, wie wir eben eine beſucht haben, war in dieſer Hinſicht weit größer als die unſrige, ihr Streben war ein höheres, es war

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/103>, abgerufen am 22.11.2024.