Kreise bestanden größtentheils aus Leuten von ähn¬ lichem Stande mit dem meines Vaters. Ich spürte Neigung in mir, nun auch Sitten und Gebräuche so wie Ansichten und Meinungen solcher Menschen ken¬ nen zu lernen, die sich auf glänzenderen Lebenswegen befanden. Der Zufall gab bald hier bald da Ge¬ legenheit dazu, und theils suchte ich auch Gelegen¬ heiten. Es geschah, daß ich Bekanntschaften machte, und mitunter auch fortsezen konnte. Ich lernte Leute von höherem Adel kennen, lernte sehen, wie sie sich bewegen, wie sie sich gegenseitig behandeln, und wie sie sich gegen solche, die nicht ihres Standes sind, be¬ nehmen.
Es lebte eine alte edle verwittwete Fürstin in un¬ serer Stadt, deren zu früh verstorbener Gemahl den Oberbefehl in den lezten großen Kriegen geführt hatte. Sie war häufig mit ihm im Felde gewesen, und hatte da die Verhältnisse von Kriegsheeren und ihren Be¬ wegungen kennen gelernt, sie war in den größten Städten Europas gewesen, und hatte die Bekannt¬ schaft von Menschen gemacht, in deren Händen die ganzen Zustände des Welttheiles lagen, sie hatte das gelesen, was die hervorragendsten Männer und Frauen in Dichtungen in betrachtenden Werken und zum Theile
Kreiſe beſtanden größtentheils aus Leuten von ähn¬ lichem Stande mit dem meines Vaters. Ich ſpürte Neigung in mir, nun auch Sitten und Gebräuche ſo wie Anſichten und Meinungen ſolcher Menſchen ken¬ nen zu lernen, die ſich auf glänzenderen Lebenswegen befanden. Der Zufall gab bald hier bald da Ge¬ legenheit dazu, und theils ſuchte ich auch Gelegen¬ heiten. Es geſchah, daß ich Bekanntſchaften machte, und mitunter auch fortſezen konnte. Ich lernte Leute von höherem Adel kennen, lernte ſehen, wie ſie ſich bewegen, wie ſie ſich gegenſeitig behandeln, und wie ſie ſich gegen ſolche, die nicht ihres Standes ſind, be¬ nehmen.
Es lebte eine alte edle verwittwete Fürſtin in un¬ ſerer Stadt, deren zu früh verſtorbener Gemahl den Oberbefehl in den lezten großen Kriegen geführt hatte. Sie war häufig mit ihm im Felde geweſen, und hatte da die Verhältniſſe von Kriegsheeren und ihren Be¬ wegungen kennen gelernt, ſie war in den größten Städten Europas geweſen, und hatte die Bekannt¬ ſchaft von Menſchen gemacht, in deren Händen die ganzen Zuſtände des Welttheiles lagen, ſie hatte das geleſen, was die hervorragendſten Männer und Frauen in Dichtungen in betrachtenden Werken und zum Theile
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Kreiſe beſtanden größtentheils aus Leuten von ähn¬
lichem Stande mit dem meines Vaters. Ich ſpürte
Neigung in mir, nun auch Sitten und Gebräuche ſo
wie Anſichten und Meinungen ſolcher Menſchen ken¬
nen zu lernen, die ſich auf glänzenderen Lebenswegen
befanden. Der Zufall gab bald hier bald da Ge¬
legenheit dazu, und theils ſuchte ich auch Gelegen¬
heiten. Es geſchah, daß ich Bekanntſchaften machte,
und mitunter auch fortſezen konnte. Ich lernte Leute
von höherem Adel kennen, lernte ſehen, wie ſie ſich
bewegen, wie ſie ſich gegenſeitig behandeln, und wie
ſie ſich gegen ſolche, die nicht ihres Standes ſind, be¬
nehmen.
Es lebte eine alte edle verwittwete Fürſtin in un¬
ſerer Stadt, deren zu früh verſtorbener Gemahl den
Oberbefehl in den lezten großen Kriegen geführt hatte.
Sie war häufig mit ihm im Felde geweſen, und hatte
da die Verhältniſſe von Kriegsheeren und ihren Be¬
wegungen kennen gelernt, ſie war in den größten
Städten Europas geweſen, und hatte die Bekannt¬
ſchaft von Menſchen gemacht, in deren Händen die
ganzen Zuſtände des Welttheiles lagen, ſie hatte das
geleſen, was die hervorragendſten Männer und Frauen
in Dichtungen in betrachtenden Werken und zum Theile
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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/89>, abgerufen am 24.11.2024.
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