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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

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sendet, weil ich im künftigen Jahre nicht mehr in die¬
sem freundlichen Hause sondern irgend wo anders
meinen Aufenthalt würde aufschlagen müssen. Ich
sagte allen meinen Leuten Lebewohl, und ging auf
der glattgefrorenen Bahn neben dem rauschenden
Flusse, der schon Stücke Ufereis ansezte, in die ebne¬
ren Länder hinaus. Mein Weg führte mich in seinem
Verlaufe auf Anhöhen dahin, von welchen ich im
Norden die Gegend des Rosenhauses, und im Süden
die des Sternenhofes erblicken konnte. In dem wei¬
ßen Gewande, welches sich über die Gefilde breitete,
und welches von den dunkeln Bändern der Wälder
geschnitten war, konnte ich kaum die Hügelgestaltun¬
gen erkennen, innerhalb welcher das Haus meines
Freundes liegen mußte, noch weniger konnte ich die
Umgebungen des Sternenhofes unterscheiden, da ich
nie im Winter in dieser Gegend gewesen war. Das
aber wußte ich mit Gewißheit, in welcher Richtung
das Haus liegen müsse, an dem im vergangenen
Sommer so viele Rosen geblüht haben, und in wel¬
cher das Schloß, hinter dem die alten Linden standen,
und die Quelle floß, an der die weibliche Gestalt
aus weißem Marmor Wache hielt. Die wohlthuen¬
den Fäden, die mich nach beiden Richtungen zogen,

ſendet, weil ich im künftigen Jahre nicht mehr in die¬
ſem freundlichen Hauſe ſondern irgend wo anders
meinen Aufenthalt würde aufſchlagen müſſen. Ich
ſagte allen meinen Leuten Lebewohl, und ging auf
der glattgefrorenen Bahn neben dem rauſchenden
Fluſſe, der ſchon Stücke Ufereis anſezte, in die ebne¬
ren Länder hinaus. Mein Weg führte mich in ſeinem
Verlaufe auf Anhöhen dahin, von welchen ich im
Norden die Gegend des Roſenhauſes, und im Süden
die des Sternenhofes erblicken konnte. In dem wei¬
ßen Gewande, welches ſich über die Gefilde breitete,
und welches von den dunkeln Bändern der Wälder
geſchnitten war, konnte ich kaum die Hügelgeſtaltun¬
gen erkennen, innerhalb welcher das Haus meines
Freundes liegen mußte, noch weniger konnte ich die
Umgebungen des Sternenhofes unterſcheiden, da ich
nie im Winter in dieſer Gegend geweſen war. Das
aber wußte ich mit Gewißheit, in welcher Richtung
das Haus liegen müſſe, an dem im vergangenen
Sommer ſo viele Roſen geblüht haben, und in wel¬
cher das Schloß, hinter dem die alten Linden ſtanden,
und die Quelle floß, an der die weibliche Geſtalt
aus weißem Marmor Wache hielt. Die wohlthuen¬
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[10/0024] ſendet, weil ich im künftigen Jahre nicht mehr in die¬ ſem freundlichen Hauſe ſondern irgend wo anders meinen Aufenthalt würde aufſchlagen müſſen. Ich ſagte allen meinen Leuten Lebewohl, und ging auf der glattgefrorenen Bahn neben dem rauſchenden Fluſſe, der ſchon Stücke Ufereis anſezte, in die ebne¬ ren Länder hinaus. Mein Weg führte mich in ſeinem Verlaufe auf Anhöhen dahin, von welchen ich im Norden die Gegend des Roſenhauſes, und im Süden die des Sternenhofes erblicken konnte. In dem wei¬ ßen Gewande, welches ſich über die Gefilde breitete, und welches von den dunkeln Bändern der Wälder geſchnitten war, konnte ich kaum die Hügelgeſtaltun¬ gen erkennen, innerhalb welcher das Haus meines Freundes liegen mußte, noch weniger konnte ich die Umgebungen des Sternenhofes unterſcheiden, da ich nie im Winter in dieſer Gegend geweſen war. Das aber wußte ich mit Gewißheit, in welcher Richtung das Haus liegen müſſe, an dem im vergangenen Sommer ſo viele Roſen geblüht haben, und in wel¬ cher das Schloß, hinter dem die alten Linden ſtanden, und die Quelle floß, an der die weibliche Geſtalt aus weißem Marmor Wache hielt. Die wohlthuen¬ den Fäden, die mich nach beiden Richtungen zogen,

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/24>, abgerufen am 28.03.2024.