Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

ich aber der dichten Ranken willen nicht erkennen
konnte. In diesem Augenblicke ertönte durch das ge¬
öffnete Fenster klar und deutlich Mathildens Stimme,
die sagte: "Wie diese Rosen abgeblüht sind, so ist
unser Glück abgeblüht."

Ihr antwortete die Stimme meines Gastfreun¬
des, welche sagte: "Es ist nicht abgeblüht, es hat
nur eine andere Gestalt."

Ich stand auf, entfernte mich von dem Fenster
und ging in die Mitte des Zimmers, um von dem
weiteren Verlaufe des Gespräches nicht mehr zu ver¬
nehmen. Da ich ferner überlegt hatte, daß es nicht
geziemend sei, wenn mein Gastfreund und Mathilde
später erführen, daß ich zu der Zeit, als sie ein Ge¬
spräch vor dem Fenster geführt hatten, in der Stube
gewesen sei, der jenes Fenster angehörte, so entfernte
ich mich auch aus derselben, und ging in den Gar¬
ten. Da ich nach einer Zeit meinen Gastfreund Ma¬
thilden Natalie und Gustav gegen den großen Kirsch¬
baum zugehen sah, begab ich mich wieder in die
Stube, und holte mir meine Zeichnungsgeräthe, die
ich dort liegen gelassen hatte; denn der Abend war
mittlerweile so dunkel geworden, daß ich zum Weiter¬
zeichnen nicht mehr sehen konnte.

ich aber der dichten Ranken willen nicht erkennen
konnte. In dieſem Augenblicke ertönte durch das ge¬
öffnete Fenſter klar und deutlich Mathildens Stimme,
die ſagte: „Wie dieſe Roſen abgeblüht ſind, ſo iſt
unſer Glück abgeblüht.“

Ihr antwortete die Stimme meines Gaſtfreun¬
des, welche ſagte: „Es iſt nicht abgeblüht, es hat
nur eine andere Geſtalt.“

Ich ſtand auf, entfernte mich von dem Fenſter
und ging in die Mitte des Zimmers, um von dem
weiteren Verlaufe des Geſpräches nicht mehr zu ver¬
nehmen. Da ich ferner überlegt hatte, daß es nicht
geziemend ſei, wenn mein Gaſtfreund und Mathilde
ſpäter erführen, daß ich zu der Zeit, als ſie ein Ge¬
ſpräch vor dem Fenſter geführt hatten, in der Stube
geweſen ſei, der jenes Fenſter angehörte, ſo entfernte
ich mich auch aus derſelben, und ging in den Gar¬
ten. Da ich nach einer Zeit meinen Gaſtfreund Ma¬
thilden Natalie und Guſtav gegen den großen Kirſch¬
baum zugehen ſah, begab ich mich wieder in die
Stube, und holte mir meine Zeichnungsgeräthe, die
ich dort liegen gelaſſen hatte; denn der Abend war
mittlerweile ſo dunkel geworden, daß ich zum Weiter¬
zeichnen nicht mehr ſehen konnte.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0196" n="182"/>
ich aber der dichten Ranken willen nicht erkennen<lb/>
konnte. In die&#x017F;em Augenblicke ertönte durch das ge¬<lb/>
öffnete Fen&#x017F;ter klar und deutlich Mathildens Stimme,<lb/>
die &#x017F;agte: &#x201E;Wie die&#x017F;e Ro&#x017F;en abgeblüht &#x017F;ind, &#x017F;o i&#x017F;t<lb/>
un&#x017F;er Glück abgeblüht.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Ihr antwortete die Stimme meines Ga&#x017F;tfreun¬<lb/>
des, welche &#x017F;agte: &#x201E;Es i&#x017F;t nicht abgeblüht, es hat<lb/>
nur eine andere Ge&#x017F;talt.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Ich &#x017F;tand auf, entfernte mich von dem Fen&#x017F;ter<lb/>
und ging in die Mitte des Zimmers, um von dem<lb/>
weiteren Verlaufe des Ge&#x017F;präches nicht mehr zu ver¬<lb/>
nehmen. Da ich ferner überlegt hatte, daß es nicht<lb/>
geziemend &#x017F;ei, wenn mein Ga&#x017F;tfreund und Mathilde<lb/>
&#x017F;päter erführen, daß ich zu der Zeit, als &#x017F;ie ein Ge¬<lb/>
&#x017F;präch vor dem Fen&#x017F;ter geführt hatten, in der Stube<lb/>
gewe&#x017F;en &#x017F;ei, der jenes Fen&#x017F;ter angehörte, &#x017F;o entfernte<lb/>
ich mich auch aus der&#x017F;elben, und ging in den Gar¬<lb/>
ten. Da ich nach einer Zeit meinen Ga&#x017F;tfreund Ma¬<lb/>
thilden Natalie und Gu&#x017F;tav gegen den großen Kir&#x017F;ch¬<lb/>
baum zugehen &#x017F;ah, begab ich mich wieder in die<lb/>
Stube, und holte mir meine Zeichnungsgeräthe, die<lb/>
ich dort liegen gela&#x017F;&#x017F;en hatte; denn der Abend war<lb/>
mittlerweile &#x017F;o dunkel geworden, daß ich zum Weiter¬<lb/>
zeichnen nicht mehr &#x017F;ehen konnte.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[182/0196] ich aber der dichten Ranken willen nicht erkennen konnte. In dieſem Augenblicke ertönte durch das ge¬ öffnete Fenſter klar und deutlich Mathildens Stimme, die ſagte: „Wie dieſe Roſen abgeblüht ſind, ſo iſt unſer Glück abgeblüht.“ Ihr antwortete die Stimme meines Gaſtfreun¬ des, welche ſagte: „Es iſt nicht abgeblüht, es hat nur eine andere Geſtalt.“ Ich ſtand auf, entfernte mich von dem Fenſter und ging in die Mitte des Zimmers, um von dem weiteren Verlaufe des Geſpräches nicht mehr zu ver¬ nehmen. Da ich ferner überlegt hatte, daß es nicht geziemend ſei, wenn mein Gaſtfreund und Mathilde ſpäter erführen, daß ich zu der Zeit, als ſie ein Ge¬ ſpräch vor dem Fenſter geführt hatten, in der Stube geweſen ſei, der jenes Fenſter angehörte, ſo entfernte ich mich auch aus derſelben, und ging in den Gar¬ ten. Da ich nach einer Zeit meinen Gaſtfreund Ma¬ thilden Natalie und Guſtav gegen den großen Kirſch¬ baum zugehen ſah, begab ich mich wieder in die Stube, und holte mir meine Zeichnungsgeräthe, die ich dort liegen gelaſſen hatte; denn der Abend war mittlerweile ſo dunkel geworden, daß ich zum Weiter¬ zeichnen nicht mehr ſehen konnte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/196
Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/196>, abgerufen am 02.05.2024.