Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

größer; denn sie zweifelten doch immer, ob ich Recht
habe, und das alte Bild nicht aus Vorliebe über¬
schäze, da ihnen ja ihre Augen sagten, daß der Un¬
terschied nicht so groß sei. Auf diese Weise bekam ich
manches Angenehme, ohne meinem Billigkeitsgefühle
nahe treten zu müssen, was bei Bildergeschäften so
leicht der Fall wird. Die heilige Maria mit dem
Kinde, welche euch so wohl gefällt, und welche ich
beinahe eine Zierde meiner Sammlung nennen möchte,
hat mir Roland auf dem Dachboden eines Hauses
gefunden. Er war dorthin mit dem Eigenthümer ge¬
stiegen, um altes Eisenwerk, darunter sich mittelalter¬
liche Sporen und eine Klinge befanden, zu kaufen.
Das Bild war ohne Blindrahmen, und war nicht
etwa zusammengerollt, sondern wie ein Tuch zusam¬
mengelegt, und lag im Staube, Roland konnte nicht
genau erkennen, ob es einen Werth habe, und kaufte
es dem Manne um ein Geringes ab. Ein Soldat
hatte es einmal aus Italien geschickt. Er hatte es als
bloße Packleinwand benüzt, und hatte Wäsche und
alte Kleider in dasselbe gethan, die ihm zu Hause
ausgebessert werden sollten. Darum hatte das Bild
Brüche, wo nehmlich die Leinwand zusammengelegt
gewesen war, an welchen Brüchen sich keine Farbe

größer; denn ſie zweifelten doch immer, ob ich Recht
habe, und das alte Bild nicht aus Vorliebe über¬
ſchäze, da ihnen ja ihre Augen ſagten, daß der Un¬
terſchied nicht ſo groß ſei. Auf dieſe Weiſe bekam ich
manches Angenehme, ohne meinem Billigkeitsgefühle
nahe treten zu müſſen, was bei Bildergeſchäften ſo
leicht der Fall wird. Die heilige Maria mit dem
Kinde, welche euch ſo wohl gefällt, und welche ich
beinahe eine Zierde meiner Sammlung nennen möchte,
hat mir Roland auf dem Dachboden eines Hauſes
gefunden. Er war dorthin mit dem Eigenthümer ge¬
ſtiegen, um altes Eiſenwerk, darunter ſich mittelalter¬
liche Sporen und eine Klinge befanden, zu kaufen.
Das Bild war ohne Blindrahmen, und war nicht
etwa zuſammengerollt, ſondern wie ein Tuch zuſam¬
mengelegt, und lag im Staube, Roland konnte nicht
genau erkennen, ob es einen Werth habe, und kaufte
es dem Manne um ein Geringes ab. Ein Soldat
hatte es einmal aus Italien geſchickt. Er hatte es als
bloße Packleinwand benüzt, und hatte Wäſche und
alte Kleider in dasſelbe gethan, die ihm zu Hauſe
ausgebeſſert werden ſollten. Darum hatte das Bild
Brüche, wo nehmlich die Leinwand zuſammengelegt
geweſen war, an welchen Brüchen ſich keine Farbe

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0167" n="153"/>
größer; denn &#x017F;ie zweifelten doch immer, ob ich Recht<lb/>
habe, und das alte Bild nicht aus Vorliebe über¬<lb/>
&#x017F;chäze, da ihnen ja ihre Augen &#x017F;agten, daß der Un¬<lb/>
ter&#x017F;chied nicht &#x017F;o groß &#x017F;ei. Auf die&#x017F;e Wei&#x017F;e bekam ich<lb/>
manches Angenehme, ohne meinem Billigkeitsgefühle<lb/>
nahe treten zu mü&#x017F;&#x017F;en, was bei Bilderge&#x017F;chäften &#x017F;o<lb/>
leicht der Fall wird. Die heilige Maria mit dem<lb/>
Kinde, welche euch &#x017F;o wohl gefällt, und welche ich<lb/>
beinahe eine Zierde meiner Sammlung nennen möchte,<lb/>
hat mir Roland auf dem Dachboden eines Hau&#x017F;es<lb/>
gefunden. Er war dorthin mit dem Eigenthümer ge¬<lb/>
&#x017F;tiegen, um altes Ei&#x017F;enwerk, darunter &#x017F;ich mittelalter¬<lb/>
liche Sporen und eine Klinge befanden, zu kaufen.<lb/>
Das Bild war ohne Blindrahmen, und war nicht<lb/>
etwa zu&#x017F;ammengerollt, &#x017F;ondern wie ein Tuch zu&#x017F;am¬<lb/>
mengelegt, und lag im Staube, Roland konnte nicht<lb/>
genau erkennen, ob es einen Werth habe, und kaufte<lb/>
es dem Manne um ein Geringes ab. Ein Soldat<lb/>
hatte es einmal aus Italien ge&#x017F;chickt. Er hatte es als<lb/>
bloße Packleinwand benüzt, und hatte Wä&#x017F;che und<lb/>
alte Kleider in das&#x017F;elbe gethan, die ihm zu Hau&#x017F;e<lb/>
ausgebe&#x017F;&#x017F;ert werden &#x017F;ollten. Darum hatte das Bild<lb/>
Brüche, wo nehmlich die Leinwand zu&#x017F;ammengelegt<lb/>
gewe&#x017F;en war, an welchen Brüchen &#x017F;ich keine Farbe<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[153/0167] größer; denn ſie zweifelten doch immer, ob ich Recht habe, und das alte Bild nicht aus Vorliebe über¬ ſchäze, da ihnen ja ihre Augen ſagten, daß der Un¬ terſchied nicht ſo groß ſei. Auf dieſe Weiſe bekam ich manches Angenehme, ohne meinem Billigkeitsgefühle nahe treten zu müſſen, was bei Bildergeſchäften ſo leicht der Fall wird. Die heilige Maria mit dem Kinde, welche euch ſo wohl gefällt, und welche ich beinahe eine Zierde meiner Sammlung nennen möchte, hat mir Roland auf dem Dachboden eines Hauſes gefunden. Er war dorthin mit dem Eigenthümer ge¬ ſtiegen, um altes Eiſenwerk, darunter ſich mittelalter¬ liche Sporen und eine Klinge befanden, zu kaufen. Das Bild war ohne Blindrahmen, und war nicht etwa zuſammengerollt, ſondern wie ein Tuch zuſam¬ mengelegt, und lag im Staube, Roland konnte nicht genau erkennen, ob es einen Werth habe, und kaufte es dem Manne um ein Geringes ab. Ein Soldat hatte es einmal aus Italien geſchickt. Er hatte es als bloße Packleinwand benüzt, und hatte Wäſche und alte Kleider in dasſelbe gethan, die ihm zu Hauſe ausgebeſſert werden ſollten. Darum hatte das Bild Brüche, wo nehmlich die Leinwand zuſammengelegt geweſen war, an welchen Brüchen ſich keine Farbe

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/167
Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/167>, abgerufen am 24.11.2024.