wieder eine Welt der Seele, wieder dieselbe Welt der hochgehenden Seele der Dichtkunst; aber mit wie ganz anderen Mitteln war sie hier erstrebt und er¬ reicht. Welche Kraft welche Anmuth welche Fülle welche Zartheit, und wie war dem Schöpfer eine ähn¬ liche eine gleiche aber menschliche Schöpfung nachge¬ schaffen. Ich lernte die Beziehungen der alten Ma¬ lerei -- mein Freund hatte fast lauter alte Bilder -- zu der Natur kennen. Ich lernte einsehen, daß die alten Meister die Natur getreuer und liebvoller nach¬ ahmten als die neuen, ja daß sie im Erlernen der Züge der Natur eine unsägliche Ausdauer und Ge¬ duld hatten, vielleicht mehr, als ich empfand, daß ich selber hätte, und vielleicht mehr, als mancher Kunstjünger der Gegenwart haben mag. Ich konnte nicht aburtheilen, da ich zu wenige Werke der Gegen¬ wart kannte und so betrachtet hatte, als ich jezt ältere Bilder betrachtete; aber es schien mir ein größeres Eingehen in das Wesen der Natur kaum möglich. Ich begrif nicht, wie ich das so lange nicht in dem Maße hatte sehen können, als ich es hätte sehen sol¬ len. Wenn aber auch die Alten, wie ich hier mit ihnen umging, sich der Wirklichkeit sehr beflißen, und sich ihr sehr hingaben, so ging das doch nicht so weit,
wieder eine Welt der Seele, wieder dieſelbe Welt der hochgehenden Seele der Dichtkunſt; aber mit wie ganz anderen Mitteln war ſie hier erſtrebt und er¬ reicht. Welche Kraft welche Anmuth welche Fülle welche Zartheit, und wie war dem Schöpfer eine ähn¬ liche eine gleiche aber menſchliche Schöpfung nachge¬ ſchaffen. Ich lernte die Beziehungen der alten Ma¬ lerei — mein Freund hatte faſt lauter alte Bilder — zu der Natur kennen. Ich lernte einſehen, daß die alten Meiſter die Natur getreuer und liebvoller nach¬ ahmten als die neuen, ja daß ſie im Erlernen der Züge der Natur eine unſägliche Ausdauer und Ge¬ duld hatten, vielleicht mehr, als ich empfand, daß ich ſelber hätte, und vielleicht mehr, als mancher Kunſtjünger der Gegenwart haben mag. Ich konnte nicht aburtheilen, da ich zu wenige Werke der Gegen¬ wart kannte und ſo betrachtet hatte, als ich jezt ältere Bilder betrachtete; aber es ſchien mir ein größeres Eingehen in das Weſen der Natur kaum möglich. Ich begrif nicht, wie ich das ſo lange nicht in dem Maße hatte ſehen können, als ich es hätte ſehen ſol¬ len. Wenn aber auch die Alten, wie ich hier mit ihnen umging, ſich der Wirklichkeit ſehr beflißen, und ſich ihr ſehr hingaben, ſo ging das doch nicht ſo weit,
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wieder eine Welt der Seele, wieder dieſelbe Welt der
hochgehenden Seele der Dichtkunſt; aber mit wie
ganz anderen Mitteln war ſie hier erſtrebt und er¬
reicht. Welche Kraft welche Anmuth welche Fülle
welche Zartheit, und wie war dem Schöpfer eine ähn¬
liche eine gleiche aber menſchliche Schöpfung nachge¬
ſchaffen. Ich lernte die Beziehungen der alten Ma¬
lerei — mein Freund hatte faſt lauter alte Bilder —
zu der Natur kennen. Ich lernte einſehen, daß die
alten Meiſter die Natur getreuer und liebvoller nach¬
ahmten als die neuen, ja daß ſie im Erlernen der
Züge der Natur eine unſägliche Ausdauer und Ge¬
duld hatten, vielleicht mehr, als ich empfand, daß
ich ſelber hätte, und vielleicht mehr, als mancher
Kunſtjünger der Gegenwart haben mag. Ich konnte
nicht aburtheilen, da ich zu wenige Werke der Gegen¬
wart kannte und ſo betrachtet hatte, als ich jezt ältere
Bilder betrachtete; aber es ſchien mir ein größeres
Eingehen in das Weſen der Natur kaum möglich.
Ich begrif nicht, wie ich das ſo lange nicht in dem
Maße hatte ſehen können, als ich es hätte ſehen ſol¬
len. Wenn aber auch die Alten, wie ich hier mit
ihnen umging, ſich der Wirklichkeit ſehr beflißen, und
ſich ihr ſehr hingaben, ſo ging das doch nicht ſo weit,
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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/160>, abgerufen am 22.11.2024.
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