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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

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meinen Bestrebungen auf dem Gebiethe der Natur be¬
fangen, als daß ich auf andere Gebilde als die der
Natur mit kräftiger Innerlichkeit geachtet hätte. Da¬
rum erschienen mir Pflanzen Faltern Bäume Steine
Wässer selbst das menschliche Angesicht als Gegen¬
stände, die würdig wären, von der Malerkunst nach¬
gebildet zu werden; aber alte Bilder erschienen mir
nicht als Nachbildungen sondern gewissermaßen als
kostbare Gegenstände, die da sind, und auf denen sich
Dinge befinden, die man gewohnt ist als auf Ge¬
mälden befindliche zu sehen. Diese Richtung hatte
für mich den Nuzen, daß ich bei meinen Versuchen,
Gegenstände der Natur zu malen, nicht in die Nach¬
ahmung irgend eines Meisters verfiel, sondern daß
meine Arbeiten mit all ihrer Fehlerhaftigkeit etwas
sehr Gegenständliches und Naturwahres hatten; aber
es erwuchs mir auch der Nachtheil daraus, daß ich
nie aus alten Meistern lernte, wie dieser oder jener
die Farben und Linien behandelt habe, und daß ich
mir alles selber mühevoll erfinden mußte, und in
Vielem gar zu einem Ziele nicht gelangte. Obwohl
ich später der Betrachtung mittelalterlicher Gemälde
mich mehr zuwandte, und sogar im Winter viele Zeit
in Gemäldesammlungen unserer Stadt zubrachte, so

meinen Beſtrebungen auf dem Gebiethe der Natur be¬
fangen, als daß ich auf andere Gebilde als die der
Natur mit kräftiger Innerlichkeit geachtet hätte. Da¬
rum erſchienen mir Pflanzen Faltern Bäume Steine
Wäſſer ſelbſt das menſchliche Angeſicht als Gegen¬
ſtände, die würdig wären, von der Malerkunſt nach¬
gebildet zu werden; aber alte Bilder erſchienen mir
nicht als Nachbildungen ſondern gewiſſermaßen als
koſtbare Gegenſtände, die da ſind, und auf denen ſich
Dinge befinden, die man gewohnt iſt als auf Ge¬
mälden befindliche zu ſehen. Dieſe Richtung hatte
für mich den Nuzen, daß ich bei meinen Verſuchen,
Gegenſtände der Natur zu malen, nicht in die Nach¬
ahmung irgend eines Meiſters verfiel, ſondern daß
meine Arbeiten mit all ihrer Fehlerhaftigkeit etwas
ſehr Gegenſtändliches und Naturwahres hatten; aber
es erwuchs mir auch der Nachtheil daraus, daß ich
nie aus alten Meiſtern lernte, wie dieſer oder jener
die Farben und Linien behandelt habe, und daß ich
mir alles ſelber mühevoll erfinden mußte, und in
Vielem gar zu einem Ziele nicht gelangte. Obwohl
ich ſpäter der Betrachtung mittelalterlicher Gemälde
mich mehr zuwandte, und ſogar im Winter viele Zeit
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[144/0158] meinen Beſtrebungen auf dem Gebiethe der Natur be¬ fangen, als daß ich auf andere Gebilde als die der Natur mit kräftiger Innerlichkeit geachtet hätte. Da¬ rum erſchienen mir Pflanzen Faltern Bäume Steine Wäſſer ſelbſt das menſchliche Angeſicht als Gegen¬ ſtände, die würdig wären, von der Malerkunſt nach¬ gebildet zu werden; aber alte Bilder erſchienen mir nicht als Nachbildungen ſondern gewiſſermaßen als koſtbare Gegenſtände, die da ſind, und auf denen ſich Dinge befinden, die man gewohnt iſt als auf Ge¬ mälden befindliche zu ſehen. Dieſe Richtung hatte für mich den Nuzen, daß ich bei meinen Verſuchen, Gegenſtände der Natur zu malen, nicht in die Nach¬ ahmung irgend eines Meiſters verfiel, ſondern daß meine Arbeiten mit all ihrer Fehlerhaftigkeit etwas ſehr Gegenſtändliches und Naturwahres hatten; aber es erwuchs mir auch der Nachtheil daraus, daß ich nie aus alten Meiſtern lernte, wie dieſer oder jener die Farben und Linien behandelt habe, und daß ich mir alles ſelber mühevoll erfinden mußte, und in Vielem gar zu einem Ziele nicht gelangte. Obwohl ich ſpäter der Betrachtung mittelalterlicher Gemälde mich mehr zuwandte, und ſogar im Winter viele Zeit in Gemäldeſammlungen unſerer Stadt zubrachte, ſo

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/158>, abgerufen am 02.05.2024.