Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

tete er, "den Schlüssel zu der Thür des Marmorgan¬
ges gebe ich euch sehr gerne, oder ihr könnt auch von
dem Gange der Gastzimmer über die Marmortreppe
hinabgehen, nur müßt ihr sorgen, daß ihr immer Filz¬
schuhe in Bereitschaft habt, sie anzuziehen. Ich freue
mich jezt, daß ich den Marmorgang und die Treppe
so habe machen lassen, wie sie gemacht sind. Ich habe
damals schon immer daran gedacht, daß auf die
Treppe ein Bild von weißem Marmor wird gestellt
werden, daß dann am besten das Licht von oben darauf
herabfällt, und daß die umgebenden Wände so wie
der Boden eine dunklere sanfte Farbe haben müssen.
Das reine Weiß -- in der lichten Dämmerung der
Treppe erscheint es fast als ganz rein -- steht sehr
deutlich von der umgebenden tieferen Farbe ab. Was
aber die Merkmale anbelangt, an denen ihr die Schön¬
heit erkennen wollt, so werdet ihr keine finden. Das
ist eben das Wesen der besten Werke der alten Kunst,
und ich glaube, das ist das Wesen der höchsten Kunst
überhaupt, daß man keine einzelnen Theile oder ein¬
zelne Absichten findet, von denen man sagen kann,
das ist das schönste, sondern das Ganze ist schön, von
dem Ganzen möchte man sagen, es ist das schönste;
die Theile sind blos natürlich. Darin liegt auch die

tete er, „den Schlüſſel zu der Thür des Marmorgan¬
ges gebe ich euch ſehr gerne, oder ihr könnt auch von
dem Gange der Gaſtzimmer über die Marmortreppe
hinabgehen, nur müßt ihr ſorgen, daß ihr immer Filz¬
ſchuhe in Bereitſchaft habt, ſie anzuziehen. Ich freue
mich jezt, daß ich den Marmorgang und die Treppe
ſo habe machen laſſen, wie ſie gemacht ſind. Ich habe
damals ſchon immer daran gedacht, daß auf die
Treppe ein Bild von weißem Marmor wird geſtellt
werden, daß dann am beſten das Licht von oben darauf
herabfällt, und daß die umgebenden Wände ſo wie
der Boden eine dunklere ſanfte Farbe haben müſſen.
Das reine Weiß — in der lichten Dämmerung der
Treppe erſcheint es faſt als ganz rein — ſteht ſehr
deutlich von der umgebenden tieferen Farbe ab. Was
aber die Merkmale anbelangt, an denen ihr die Schön¬
heit erkennen wollt, ſo werdet ihr keine finden. Das
iſt eben das Weſen der beſten Werke der alten Kunſt,
und ich glaube, das iſt das Weſen der höchſten Kunſt
überhaupt, daß man keine einzelnen Theile oder ein¬
zelne Abſichten findet, von denen man ſagen kann,
das iſt das ſchönſte, ſondern das Ganze iſt ſchön, von
dem Ganzen möchte man ſagen, es iſt das ſchönſte;
die Theile ſind blos natürlich. Darin liegt auch die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0140" n="126"/>
tete er, &#x201E;den Schlü&#x017F;&#x017F;el zu der Thür des Marmorgan¬<lb/>
ges gebe ich euch &#x017F;ehr gerne, oder ihr könnt auch von<lb/>
dem Gange der Ga&#x017F;tzimmer über die Marmortreppe<lb/>
hinabgehen, nur müßt ihr &#x017F;orgen, daß ihr immer Filz¬<lb/>
&#x017F;chuhe in Bereit&#x017F;chaft habt, &#x017F;ie anzuziehen. Ich freue<lb/>
mich jezt, daß ich den Marmorgang und die Treppe<lb/>
&#x017F;o habe machen la&#x017F;&#x017F;en, wie &#x017F;ie gemacht &#x017F;ind. Ich habe<lb/>
damals &#x017F;chon immer daran gedacht, daß auf die<lb/>
Treppe ein Bild von weißem Marmor wird ge&#x017F;tellt<lb/>
werden, daß dann am be&#x017F;ten das Licht von oben darauf<lb/>
herabfällt, und daß die umgebenden Wände &#x017F;o wie<lb/>
der Boden eine dunklere &#x017F;anfte Farbe haben mü&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Das reine Weiß &#x2014; in der lichten Dämmerung der<lb/>
Treppe er&#x017F;cheint es fa&#x017F;t als ganz rein &#x2014; &#x017F;teht &#x017F;ehr<lb/>
deutlich von der umgebenden tieferen Farbe ab. Was<lb/>
aber die Merkmale anbelangt, an denen ihr die Schön¬<lb/>
heit erkennen wollt, &#x017F;o werdet ihr keine finden. Das<lb/>
i&#x017F;t eben das We&#x017F;en der be&#x017F;ten Werke der alten Kun&#x017F;t,<lb/>
und ich glaube, das i&#x017F;t das We&#x017F;en der höch&#x017F;ten Kun&#x017F;t<lb/>
überhaupt, daß man keine einzelnen Theile oder ein¬<lb/>
zelne Ab&#x017F;ichten findet, von denen man &#x017F;agen kann,<lb/>
das i&#x017F;t das &#x017F;chön&#x017F;te, &#x017F;ondern das Ganze i&#x017F;t &#x017F;chön, von<lb/>
dem Ganzen möchte man &#x017F;agen, es i&#x017F;t das &#x017F;chön&#x017F;te;<lb/>
die Theile &#x017F;ind blos natürlich. Darin liegt auch die<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[126/0140] tete er, „den Schlüſſel zu der Thür des Marmorgan¬ ges gebe ich euch ſehr gerne, oder ihr könnt auch von dem Gange der Gaſtzimmer über die Marmortreppe hinabgehen, nur müßt ihr ſorgen, daß ihr immer Filz¬ ſchuhe in Bereitſchaft habt, ſie anzuziehen. Ich freue mich jezt, daß ich den Marmorgang und die Treppe ſo habe machen laſſen, wie ſie gemacht ſind. Ich habe damals ſchon immer daran gedacht, daß auf die Treppe ein Bild von weißem Marmor wird geſtellt werden, daß dann am beſten das Licht von oben darauf herabfällt, und daß die umgebenden Wände ſo wie der Boden eine dunklere ſanfte Farbe haben müſſen. Das reine Weiß — in der lichten Dämmerung der Treppe erſcheint es faſt als ganz rein — ſteht ſehr deutlich von der umgebenden tieferen Farbe ab. Was aber die Merkmale anbelangt, an denen ihr die Schön¬ heit erkennen wollt, ſo werdet ihr keine finden. Das iſt eben das Weſen der beſten Werke der alten Kunſt, und ich glaube, das iſt das Weſen der höchſten Kunſt überhaupt, daß man keine einzelnen Theile oder ein¬ zelne Abſichten findet, von denen man ſagen kann, das iſt das ſchönſte, ſondern das Ganze iſt ſchön, von dem Ganzen möchte man ſagen, es iſt das ſchönſte; die Theile ſind blos natürlich. Darin liegt auch die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/140
Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/140>, abgerufen am 22.11.2024.