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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857.

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Das Grün bestand aus Epheu, welcher eine Mauer
von großen Steinen bekleidete, die an ihren beiden
Enden riesenhafte Eichen hatte. In der Mitte der
Mauer war eine große Öffnung, oben mit einem Bo¬
gen begrenzt, gleichsam wie eine große Nische oder
wie eine Tempelwölbung. Im Innern dieser Wöl¬
bung, die gleichfalls mit Eppich überzogen war, ruhte
eine Gestalt von schneeweißem Marmor -- ich habe
nie ein so schimmerndes und fast durchsichtiges Weiß
des Marmors gesehen, das noch besonders merkwür¬
dig wurde durch das umgebende Grün. Die Gestalt
war die eines Mädchens, aber weit über die gewöhn¬
liche Lebensgröße, was aber in der Epheuwand und
neben den großen Eichen nicht auffiel. Sie stüzte das
Haupt mit der einen Hand, den anderen Arm hatte
sie um ein Gefäß geschlungen, aus welchem Wasser
in ein vor ihr befindliches Becken rann. Aus dem
Becken fiel das Wasser in eine in den Sand gemauerte
Vertiefung, von welcher es als kleines Bächlein in
das Gebüsch lief.

Wir standen eine Weile, betrachteten die Gestalt,
und redeten über sie. Eustach und ich kosteten auch
mittelst einer alabasternen Schale, die in einer Ver¬

Das Grün beſtand aus Epheu, welcher eine Mauer
von großen Steinen bekleidete, die an ihren beiden
Enden rieſenhafte Eichen hatte. In der Mitte der
Mauer war eine große Öffnung, oben mit einem Bo¬
gen begrenzt, gleichſam wie eine große Niſche oder
wie eine Tempelwölbung. Im Innern dieſer Wöl¬
bung, die gleichfalls mit Eppich überzogen war, ruhte
eine Geſtalt von ſchneeweißem Marmor — ich habe
nie ein ſo ſchimmerndes und faſt durchſichtiges Weiß
des Marmors geſehen, das noch beſonders merkwür¬
dig wurde durch das umgebende Grün. Die Geſtalt
war die eines Mädchens, aber weit über die gewöhn¬
liche Lebensgröße, was aber in der Epheuwand und
neben den großen Eichen nicht auffiel. Sie ſtüzte das
Haupt mit der einen Hand, den anderen Arm hatte
ſie um ein Gefäß geſchlungen, aus welchem Waſſer
in ein vor ihr befindliches Becken rann. Aus dem
Becken fiel das Waſſer in eine in den Sand gemauerte
Vertiefung, von welcher es als kleines Bächlein in
das Gebüſch lief.

Wir ſtanden eine Weile, betrachteten die Geſtalt,
und redeten über ſie. Euſtach und ich koſteten auch
mittelſt einer alabaſternen Schale, die in einer Ver¬

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[474/0488] Das Grün beſtand aus Epheu, welcher eine Mauer von großen Steinen bekleidete, die an ihren beiden Enden rieſenhafte Eichen hatte. In der Mitte der Mauer war eine große Öffnung, oben mit einem Bo¬ gen begrenzt, gleichſam wie eine große Niſche oder wie eine Tempelwölbung. Im Innern dieſer Wöl¬ bung, die gleichfalls mit Eppich überzogen war, ruhte eine Geſtalt von ſchneeweißem Marmor — ich habe nie ein ſo ſchimmerndes und faſt durchſichtiges Weiß des Marmors geſehen, das noch beſonders merkwür¬ dig wurde durch das umgebende Grün. Die Geſtalt war die eines Mädchens, aber weit über die gewöhn¬ liche Lebensgröße, was aber in der Epheuwand und neben den großen Eichen nicht auffiel. Sie ſtüzte das Haupt mit der einen Hand, den anderen Arm hatte ſie um ein Gefäß geſchlungen, aus welchem Waſſer in ein vor ihr befindliches Becken rann. Aus dem Becken fiel das Waſſer in eine in den Sand gemauerte Vertiefung, von welcher es als kleines Bächlein in das Gebüſch lief. Wir ſtanden eine Weile, betrachteten die Geſtalt, und redeten über ſie. Euſtach und ich koſteten auch mittelſt einer alabaſternen Schale, die in einer Ver¬

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 474. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/488>, abgerufen am 22.11.2024.