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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857.

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geklärten Augen über die Gegend wendete, vor mir
wogen würde.

Als die Nacht schon sehr weit vorgerückt war,
ging ich von dem Fenster, und obwohl ich jeden
Abend gewohnt war, ehe ich mich zur Ruhe begab,
zu meinem Schöpfer zu bethen, so kniete ich doch jezt
vor dem einfachen Tischlein hin, und that ein heißes
inbrünstiges Gebeth zu Gott, dem ich alles und jedes
besonders mein Sein und mein Schicksal und das
Schicksal der Meinigen anheim stellte.

Dann entkleidete ich mich, schloß die Schlösser
meiner Zimmer ab, und begab mich zur Ruhe.

Als ich schon zum Entschlummern war, kam mir
der Gedanke, ich wolle nach Mathilden und ihren
Verhältnissen eben so wenig eine Frage thun, als ich
sie nach meinem Gastfreunde gethan habe.

Ich erwachte sehr zeitig; aber nach der Natur je¬
ner Jahreszeit war es schon ganz licht, ein blauer
wolkenloser Himmel wölbte sich über die Hügel, das
Getreide unter meinen Füßen wogte wirklich nicht,
sondern es stand unbewegt mit starkem Thaue wie
mit feurigen Funken angethan in der aufgehenden
Sonne da.

geklärten Augen über die Gegend wendete, vor mir
wogen würde.

Als die Nacht ſchon ſehr weit vorgerückt war,
ging ich von dem Fenſter, und obwohl ich jeden
Abend gewohnt war, ehe ich mich zur Ruhe begab,
zu meinem Schöpfer zu bethen, ſo kniete ich doch jezt
vor dem einfachen Tiſchlein hin, und that ein heißes
inbrünſtiges Gebeth zu Gott, dem ich alles und jedes
beſonders mein Sein und mein Schickſal und das
Schickſal der Meinigen anheim ſtellte.

Dann entkleidete ich mich, ſchloß die Schlöſſer
meiner Zimmer ab, und begab mich zur Ruhe.

Als ich ſchon zum Entſchlummern war, kam mir
der Gedanke, ich wolle nach Mathilden und ihren
Verhältniſſen eben ſo wenig eine Frage thun, als ich
ſie nach meinem Gaſtfreunde gethan habe.

Ich erwachte ſehr zeitig; aber nach der Natur je¬
ner Jahreszeit war es ſchon ganz licht, ein blauer
wolkenloſer Himmel wölbte ſich über die Hügel, das
Getreide unter meinen Füßen wogte wirklich nicht,
ſondern es ſtand unbewegt mit ſtarkem Thaue wie
mit feurigen Funken angethan in der aufgehenden
Sonne da.

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[396/0410] geklärten Augen über die Gegend wendete, vor mir wogen würde. Als die Nacht ſchon ſehr weit vorgerückt war, ging ich von dem Fenſter, und obwohl ich jeden Abend gewohnt war, ehe ich mich zur Ruhe begab, zu meinem Schöpfer zu bethen, ſo kniete ich doch jezt vor dem einfachen Tiſchlein hin, und that ein heißes inbrünſtiges Gebeth zu Gott, dem ich alles und jedes beſonders mein Sein und mein Schickſal und das Schickſal der Meinigen anheim ſtellte. Dann entkleidete ich mich, ſchloß die Schlöſſer meiner Zimmer ab, und begab mich zur Ruhe. Als ich ſchon zum Entſchlummern war, kam mir der Gedanke, ich wolle nach Mathilden und ihren Verhältniſſen eben ſo wenig eine Frage thun, als ich ſie nach meinem Gaſtfreunde gethan habe. Ich erwachte ſehr zeitig; aber nach der Natur je¬ ner Jahreszeit war es ſchon ganz licht, ein blauer wolkenloſer Himmel wölbte ſich über die Hügel, das Getreide unter meinen Füßen wogte wirklich nicht, ſondern es ſtand unbewegt mit ſtarkem Thaue wie mit feurigen Funken angethan in der aufgehenden Sonne da.

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/410>, abgerufen am 06.06.2024.