war, hatte ich auch die Freiheit, nach eigener Wahl die Schauspielhäuser zu besuchen. Da ich mich aber mit wissenschaftlichen Arbeiten beschäftigte, hatte ich nach dieser Richtung hin keinen mächtigen Zug. Aus Gewohnheit ging ich manchmal in eines von den nehmlichen Stücken, die ich schon mit den Eltern ge¬ sehen hatte. In diesem Herbste wurde es anders. Ich wählte zuweilen selber ein Stück aus, dessen Auffüh¬ rung im Hoftheater ich sehen wollte.
Es lebte damals an der Hofbühne ein Künstler, von dem der Ruf sagte, daß er in der Darstellung des Königs Lear von Shakespeare das Höchste leiste, was ein Mensch in diesem Kunstzweige zu leisten im Stande sei. Die Hofbühne stand auch in dem Rufe der Musteranstalt für ganz Deutschland. Es wurde daher behauptet, daß es in deutscher Sprache auf keiner deutschen Bühne etwas gäbe, was jener Dar¬ stellung gleich käme, und ein großer Kenner von Schauspieldarstellungen sagte in seinem Buche über diese Dinge von dem Darsteller des Königs Lear auf unserer Hofbühne, daß es unmöglich wäre, daß er diese Handlung so darstellen könnte, wie er sie dar¬ stellte, wenn nicht ein Strahl jenes wunderbaren Lichtes in ihm lebte, wodurch dieses Meisterwerk er¬
war, hatte ich auch die Freiheit, nach eigener Wahl die Schauſpielhäuſer zu beſuchen. Da ich mich aber mit wiſſenſchaftlichen Arbeiten beſchäftigte, hatte ich nach dieſer Richtung hin keinen mächtigen Zug. Aus Gewohnheit ging ich manchmal in eines von den nehmlichen Stücken, die ich ſchon mit den Eltern ge¬ ſehen hatte. In dieſem Herbſte wurde es anders. Ich wählte zuweilen ſelber ein Stück aus, deſſen Auffüh¬ rung im Hoftheater ich ſehen wollte.
Es lebte damals an der Hofbühne ein Künſtler, von dem der Ruf ſagte, daß er in der Darſtellung des Königs Lear von Shakeſpeare das Höchſte leiſte, was ein Menſch in dieſem Kunſtzweige zu leiſten im Stande ſei. Die Hofbühne ſtand auch in dem Rufe der Muſteranſtalt für ganz Deutſchland. Es wurde daher behauptet, daß es in deutſcher Sprache auf keiner deutſchen Bühne etwas gäbe, was jener Dar¬ ſtellung gleich käme, und ein großer Kenner von Schauſpieldarſtellungen ſagte in ſeinem Buche über dieſe Dinge von dem Darſteller des Königs Lear auf unſerer Hofbühne, daß es unmöglich wäre, daß er dieſe Handlung ſo darſtellen könnte, wie er ſie dar¬ ſtellte, wenn nicht ein Strahl jenes wunderbaren Lichtes in ihm lebte, wodurch dieſes Meiſterwerk er¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0310"n="296"/>
war, hatte ich auch die Freiheit, nach eigener Wahl<lb/>
die Schauſpielhäuſer zu beſuchen. Da ich mich aber<lb/>
mit wiſſenſchaftlichen Arbeiten beſchäftigte, hatte ich<lb/>
nach dieſer Richtung hin keinen mächtigen Zug. Aus<lb/>
Gewohnheit ging ich manchmal in eines von den<lb/>
nehmlichen Stücken, die ich ſchon mit den Eltern ge¬<lb/>ſehen hatte. In dieſem Herbſte wurde es anders. Ich<lb/>
wählte zuweilen ſelber ein Stück aus, deſſen Auffüh¬<lb/>
rung im Hoftheater ich ſehen wollte.</p><lb/><p>Es lebte damals an der Hofbühne ein Künſtler,<lb/>
von dem der Ruf ſagte, daß er in der Darſtellung des<lb/>
Königs Lear von Shakeſpeare das Höchſte leiſte, was<lb/>
ein Menſch in dieſem Kunſtzweige zu leiſten im<lb/>
Stande ſei. Die Hofbühne ſtand auch in dem Rufe<lb/>
der Muſteranſtalt für ganz Deutſchland. Es wurde<lb/>
daher behauptet, daß es in deutſcher Sprache auf<lb/>
keiner deutſchen Bühne etwas gäbe, was jener Dar¬<lb/>ſtellung gleich käme, und ein großer Kenner von<lb/>
Schauſpieldarſtellungen ſagte in ſeinem Buche über<lb/>
dieſe Dinge von dem Darſteller des Königs Lear auf<lb/>
unſerer Hofbühne, daß es unmöglich wäre, daß er<lb/>
dieſe Handlung ſo darſtellen könnte, wie er ſie dar¬<lb/>ſtellte, wenn nicht ein Strahl jenes wunderbaren<lb/>
Lichtes in ihm lebte, wodurch dieſes Meiſterwerk er¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[296/0310]
war, hatte ich auch die Freiheit, nach eigener Wahl
die Schauſpielhäuſer zu beſuchen. Da ich mich aber
mit wiſſenſchaftlichen Arbeiten beſchäftigte, hatte ich
nach dieſer Richtung hin keinen mächtigen Zug. Aus
Gewohnheit ging ich manchmal in eines von den
nehmlichen Stücken, die ich ſchon mit den Eltern ge¬
ſehen hatte. In dieſem Herbſte wurde es anders. Ich
wählte zuweilen ſelber ein Stück aus, deſſen Auffüh¬
rung im Hoftheater ich ſehen wollte.
Es lebte damals an der Hofbühne ein Künſtler,
von dem der Ruf ſagte, daß er in der Darſtellung des
Königs Lear von Shakeſpeare das Höchſte leiſte, was
ein Menſch in dieſem Kunſtzweige zu leiſten im
Stande ſei. Die Hofbühne ſtand auch in dem Rufe
der Muſteranſtalt für ganz Deutſchland. Es wurde
daher behauptet, daß es in deutſcher Sprache auf
keiner deutſchen Bühne etwas gäbe, was jener Dar¬
ſtellung gleich käme, und ein großer Kenner von
Schauſpieldarſtellungen ſagte in ſeinem Buche über
dieſe Dinge von dem Darſteller des Königs Lear auf
unſerer Hofbühne, daß es unmöglich wäre, daß er
dieſe Handlung ſo darſtellen könnte, wie er ſie dar¬
ſtellte, wenn nicht ein Strahl jenes wunderbaren
Lichtes in ihm lebte, wodurch dieſes Meiſterwerk er¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/310>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.