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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857.

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seinen Gesang, ja diese beiden Eigenschaften sind das
Unglück des Vogels. Sie wollen dieselben genießen,
sie wollen sie recht nahe genießen, und da sie keinen
Käfich mit unsichtbaren Drähten und Stangen ma¬
chen können, wie wir, in dem sie das eigentliche We¬
sen des Vogels wahrnehmen könnten, so machen sie
einen mit sichtbaren, in welchem der Vogel eingesperrt
ist, und seinem zu frühen Tode entgegen singt. Sie
sind auf diese Weise nicht unfühlsam für die Stimme
des Vogels, aber sie sind unfühlsam für sein Leiden.
Dazu kommt noch, daß es der Schwäche und Eitelkeit
des Menschen besonders der Kinder angenehm ist,
eines Vogels, der durch seine Schwingen und seine
Schnelligkeit gleichsam aus dem Bereiche menschlicher
Kraft gezogen ist, Herr zu werden und ihn durch Wiz
und Geschicklichkeit in seine Gewalt zu bringen. Darum
ist seit alten Zeiten der Vogelfang ein Vergnügen ge¬
wesen, besonders für junge Leute; aber wir müssen
sagen, daß es ein sehr rohes Vergnügen ist, das man
eigentlich verachten sollte. Freilich ist es noch schlech¬
ter, und muß ohne Weiteres verabscheut werden, wenn
man Singvögel nicht des Gesanges wegen fängt,
sondern sie fängt, und tödtet, um sie zu essen. Die un¬
schuldigsten und mitunter schönsten Thiere, die durch

ſeinen Geſang, ja dieſe beiden Eigenſchaften ſind das
Unglück des Vogels. Sie wollen dieſelben genießen,
ſie wollen ſie recht nahe genießen, und da ſie keinen
Käfich mit unſichtbaren Drähten und Stangen ma¬
chen können, wie wir, in dem ſie das eigentliche We¬
ſen des Vogels wahrnehmen könnten, ſo machen ſie
einen mit ſichtbaren, in welchem der Vogel eingeſperrt
iſt, und ſeinem zu frühen Tode entgegen ſingt. Sie
ſind auf dieſe Weiſe nicht unfühlſam für die Stimme
des Vogels, aber ſie ſind unfühlſam für ſein Leiden.
Dazu kommt noch, daß es der Schwäche und Eitelkeit
des Menſchen beſonders der Kinder angenehm iſt,
eines Vogels, der durch ſeine Schwingen und ſeine
Schnelligkeit gleichſam aus dem Bereiche menſchlicher
Kraft gezogen iſt, Herr zu werden und ihn durch Wiz
und Geſchicklichkeit in ſeine Gewalt zu bringen. Darum
iſt ſeit alten Zeiten der Vogelfang ein Vergnügen ge¬
weſen, beſonders für junge Leute; aber wir müſſen
ſagen, daß es ein ſehr rohes Vergnügen iſt, das man
eigentlich verachten ſollte. Freilich iſt es noch ſchlech¬
ter, und muß ohne Weiteres verabſcheut werden, wenn
man Singvögel nicht des Geſanges wegen fängt,
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[246/0260] ſeinen Geſang, ja dieſe beiden Eigenſchaften ſind das Unglück des Vogels. Sie wollen dieſelben genießen, ſie wollen ſie recht nahe genießen, und da ſie keinen Käfich mit unſichtbaren Drähten und Stangen ma¬ chen können, wie wir, in dem ſie das eigentliche We¬ ſen des Vogels wahrnehmen könnten, ſo machen ſie einen mit ſichtbaren, in welchem der Vogel eingeſperrt iſt, und ſeinem zu frühen Tode entgegen ſingt. Sie ſind auf dieſe Weiſe nicht unfühlſam für die Stimme des Vogels, aber ſie ſind unfühlſam für ſein Leiden. Dazu kommt noch, daß es der Schwäche und Eitelkeit des Menſchen beſonders der Kinder angenehm iſt, eines Vogels, der durch ſeine Schwingen und ſeine Schnelligkeit gleichſam aus dem Bereiche menſchlicher Kraft gezogen iſt, Herr zu werden und ihn durch Wiz und Geſchicklichkeit in ſeine Gewalt zu bringen. Darum iſt ſeit alten Zeiten der Vogelfang ein Vergnügen ge¬ weſen, beſonders für junge Leute; aber wir müſſen ſagen, daß es ein ſehr rohes Vergnügen iſt, das man eigentlich verachten ſollte. Freilich iſt es noch ſchlech¬ ter, und muß ohne Weiteres verabſcheut werden, wenn man Singvögel nicht des Geſanges wegen fängt, ſondern ſie fängt, und tödtet, um ſie zu eſſen. Die un¬ ſchuldigſten und mitunter ſchönſten Thiere, die durch

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/260>, abgerufen am 22.11.2024.