Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

haupt das Leben versagen, sezt wohl kein vernünftiger
Mensch einen. Aber es gibt auch Stellen, die nur
darum nicht taugen, weil sie nicht bearbeitet sind, oder
weil ihnen etwas mangelt, was einem bestimmten
Gewächse nothwendig ist. Um nun die Stelle gut zu
bearbeiten, haben wir, ehe wir einen Baum sezten,
eine so tiefe Grube gegraben, und mit gelockerter
Erde gefüllt, daß der Baum bedeutend alt werden
konnte, ehe er genöthigt war, seine Wurzeln in un¬
bearbeiteten Boden zu treiben. Selbst alte Stämme,
die ich hier gefunden hatte, und deren Zustand mir
nicht gefiel, habe ich durch Herausnehmen Lockern
ihres Standortes und Wiedereinsezen zu vortreffli¬
chem Gedeihen gebracht. Aber ehe wir die Grube
gegraben haben, ehe wir den Baum in dieselbe gesezt
haben, haben wir auch durch Erfahrung oder Bücher
herauszubringen gesucht, was ihm auch nebst der
Erde noch noth thue, und welchen Plaz er haben
müsse. Für welchen Baum ein geeigneter Plaz im
Garten nicht ist, der soll auch im Garten gar nicht
sein. Welche Bäume viele Luft brauchen, sezten wir
in die Luft, die das Licht lieben, in das Licht, die den
Schatten, in den Schatten. In den Schuz der größe¬
ren oder windwiderstandsfähigeren sezten wir diejeni¬

15 *

haupt das Leben verſagen, ſezt wohl kein vernünftiger
Menſch einen. Aber es gibt auch Stellen, die nur
darum nicht taugen, weil ſie nicht bearbeitet ſind, oder
weil ihnen etwas mangelt, was einem beſtimmten
Gewächſe nothwendig iſt. Um nun die Stelle gut zu
bearbeiten, haben wir, ehe wir einen Baum ſezten,
eine ſo tiefe Grube gegraben, und mit gelockerter
Erde gefüllt, daß der Baum bedeutend alt werden
konnte, ehe er genöthigt war, ſeine Wurzeln in un¬
bearbeiteten Boden zu treiben. Selbſt alte Stämme,
die ich hier gefunden hatte, und deren Zuſtand mir
nicht gefiel, habe ich durch Herausnehmen Lockern
ihres Standortes und Wiedereinſezen zu vortreffli¬
chem Gedeihen gebracht. Aber ehe wir die Grube
gegraben haben, ehe wir den Baum in dieſelbe geſezt
haben, haben wir auch durch Erfahrung oder Bücher
herauszubringen geſucht, was ihm auch nebſt der
Erde noch noth thue, und welchen Plaz er haben
müſſe. Für welchen Baum ein geeigneter Plaz im
Garten nicht iſt, der ſoll auch im Garten gar nicht
ſein. Welche Bäume viele Luft brauchen, ſezten wir
in die Luft, die das Licht lieben, in das Licht, die den
Schatten, in den Schatten. In den Schuz der größe¬
ren oder windwiderſtandsfähigeren ſezten wir diejeni¬

15 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0241" n="227"/>
haupt das Leben ver&#x017F;agen, &#x017F;ezt wohl kein vernünftiger<lb/>
Men&#x017F;ch einen. Aber es gibt auch Stellen, die nur<lb/>
darum nicht taugen, weil &#x017F;ie nicht bearbeitet &#x017F;ind, oder<lb/>
weil ihnen etwas mangelt, was einem be&#x017F;timmten<lb/>
Gewäch&#x017F;e nothwendig i&#x017F;t. Um nun die Stelle gut zu<lb/>
bearbeiten, haben wir, ehe wir einen Baum &#x017F;ezten,<lb/>
eine &#x017F;o tiefe Grube gegraben, und mit gelockerter<lb/>
Erde gefüllt, daß der Baum bedeutend alt werden<lb/>
konnte, ehe er genöthigt war, &#x017F;eine Wurzeln in un¬<lb/>
bearbeiteten Boden zu treiben. Selb&#x017F;t alte Stämme,<lb/>
die ich hier gefunden hatte, und deren Zu&#x017F;tand mir<lb/>
nicht gefiel, habe ich durch Herausnehmen Lockern<lb/>
ihres Standortes und Wiederein&#x017F;ezen zu vortreffli¬<lb/>
chem Gedeihen gebracht. Aber ehe wir die Grube<lb/>
gegraben haben, ehe wir den Baum in die&#x017F;elbe ge&#x017F;ezt<lb/>
haben, haben wir auch durch Erfahrung oder Bücher<lb/>
herauszubringen ge&#x017F;ucht, was ihm auch neb&#x017F;t der<lb/>
Erde noch noth thue, und welchen Plaz er haben<lb/>&#x017F;&#x017F;e. Für welchen Baum ein geeigneter Plaz im<lb/>
Garten nicht i&#x017F;t, der &#x017F;oll auch im Garten gar nicht<lb/>
&#x017F;ein. Welche Bäume viele Luft brauchen, &#x017F;ezten wir<lb/>
in die Luft, die das Licht lieben, in das Licht, die den<lb/>
Schatten, in den Schatten. In den Schuz der größe¬<lb/>
ren oder windwider&#x017F;tandsfähigeren &#x017F;ezten wir diejeni¬<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">15 *<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[227/0241] haupt das Leben verſagen, ſezt wohl kein vernünftiger Menſch einen. Aber es gibt auch Stellen, die nur darum nicht taugen, weil ſie nicht bearbeitet ſind, oder weil ihnen etwas mangelt, was einem beſtimmten Gewächſe nothwendig iſt. Um nun die Stelle gut zu bearbeiten, haben wir, ehe wir einen Baum ſezten, eine ſo tiefe Grube gegraben, und mit gelockerter Erde gefüllt, daß der Baum bedeutend alt werden konnte, ehe er genöthigt war, ſeine Wurzeln in un¬ bearbeiteten Boden zu treiben. Selbſt alte Stämme, die ich hier gefunden hatte, und deren Zuſtand mir nicht gefiel, habe ich durch Herausnehmen Lockern ihres Standortes und Wiedereinſezen zu vortreffli¬ chem Gedeihen gebracht. Aber ehe wir die Grube gegraben haben, ehe wir den Baum in dieſelbe geſezt haben, haben wir auch durch Erfahrung oder Bücher herauszubringen geſucht, was ihm auch nebſt der Erde noch noth thue, und welchen Plaz er haben müſſe. Für welchen Baum ein geeigneter Plaz im Garten nicht iſt, der ſoll auch im Garten gar nicht ſein. Welche Bäume viele Luft brauchen, ſezten wir in die Luft, die das Licht lieben, in das Licht, die den Schatten, in den Schatten. In den Schuz der größe¬ ren oder windwiderſtandsfähigeren ſezten wir diejeni¬ 15 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/241
Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/241>, abgerufen am 23.11.2024.