Stifter, Adalbert: Brigitta. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–301. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Worte vernommen haben; denn sie erschien in diesem Augenblicke unter der Thür des Zimmers, sah sehr scheu auf meinen Freund, und mit einem Blicke, den ich nicht beschreiben kann und der sich gleichsam in der zaghaftesten Angst nicht getraute, eine Bitte auszusprechen, sagte sie Nichts, als das einzige Wort: Stephan! Der Major wendete sich vollends herum -- Beide starrten sich eine Sekunde an -- nur eine Sekunde -- dann aber vorwärts tretend lag er eines Sturzes in ihren Armen, die sich mit maßloser Heftigkeit um ihn schloßen. Ich hörte Nichts, als das tiefe leise Schluchzen des Mannes, wobei das Weib ihn immer fester umschlang und immer fester an sich drückte. Nun keine Trennung mehr, Brigitta, für hier und die Ewigkeit. Keine, mein theurer Freund! Ich war in höchster Verlegenheit und wollte stille hinaus gehen; aber sie hob ihr Haupt und sagte: Bleiben Sie, bleiben Sie. Das Weib, das ich immer ernst und strenge gefunden hatte, hatte an seinem Halse geweint. Nun hob sie, noch in Thränen schimmernd, die Augen -- und so herrlich ist das Schönste, was der arme, fehlende Mensch hienieden vermag, das Verzeihen -- daß mir ihre Züge wie in unnachahmlicher Schönheit strahlten und mein Gemüth in tiefer Rührung schwamm. Arme, arme Gattin, sagte er beklommen, fünfzehn Worte vernommen haben; denn sie erschien in diesem Augenblicke unter der Thür des Zimmers, sah sehr scheu auf meinen Freund, und mit einem Blicke, den ich nicht beschreiben kann und der sich gleichsam in der zaghaftesten Angst nicht getraute, eine Bitte auszusprechen, sagte sie Nichts, als das einzige Wort: Stephan! Der Major wendete sich vollends herum — Beide starrten sich eine Sekunde an — nur eine Sekunde — dann aber vorwärts tretend lag er eines Sturzes in ihren Armen, die sich mit maßloser Heftigkeit um ihn schloßen. Ich hörte Nichts, als das tiefe leise Schluchzen des Mannes, wobei das Weib ihn immer fester umschlang und immer fester an sich drückte. Nun keine Trennung mehr, Brigitta, für hier und die Ewigkeit. Keine, mein theurer Freund! Ich war in höchster Verlegenheit und wollte stille hinaus gehen; aber sie hob ihr Haupt und sagte: Bleiben Sie, bleiben Sie. Das Weib, das ich immer ernst und strenge gefunden hatte, hatte an seinem Halse geweint. Nun hob sie, noch in Thränen schimmernd, die Augen — und so herrlich ist das Schönste, was der arme, fehlende Mensch hienieden vermag, das Verzeihen — daß mir ihre Züge wie in unnachahmlicher Schönheit strahlten und mein Gemüth in tiefer Rührung schwamm. Arme, arme Gattin, sagte er beklommen, fünfzehn <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="4"> <p><pb facs="#f0090"/> Worte vernommen haben; denn sie erschien in diesem Augenblicke unter der Thür des Zimmers, sah sehr scheu auf meinen Freund, und mit einem Blicke, den ich nicht beschreiben kann und der sich gleichsam in der zaghaftesten Angst nicht getraute, eine Bitte auszusprechen, sagte sie Nichts, als das einzige Wort: Stephan!</p><lb/> <p>Der Major wendete sich vollends herum — Beide starrten sich eine Sekunde an — nur eine Sekunde — dann aber vorwärts tretend lag er eines Sturzes in ihren Armen, die sich mit maßloser Heftigkeit um ihn schloßen. Ich hörte Nichts, als das tiefe leise Schluchzen des Mannes, wobei das Weib ihn immer fester umschlang und immer fester an sich drückte.</p><lb/> <p>Nun keine Trennung mehr, Brigitta, für hier und die Ewigkeit.</p><lb/> <p>Keine, mein theurer Freund!</p><lb/> <p>Ich war in höchster Verlegenheit und wollte stille hinaus gehen; aber sie hob ihr Haupt und sagte: Bleiben Sie, bleiben Sie.</p><lb/> <p>Das Weib, das ich immer ernst und strenge gefunden hatte, hatte an seinem Halse geweint. Nun hob sie, noch in Thränen schimmernd, die Augen — und so herrlich ist das Schönste, was der arme, fehlende Mensch hienieden vermag, das Verzeihen — daß mir ihre Züge wie in unnachahmlicher Schönheit strahlten und mein Gemüth in tiefer Rührung schwamm.</p><lb/> <p>Arme, arme Gattin, sagte er beklommen, fünfzehn<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0090]
Worte vernommen haben; denn sie erschien in diesem Augenblicke unter der Thür des Zimmers, sah sehr scheu auf meinen Freund, und mit einem Blicke, den ich nicht beschreiben kann und der sich gleichsam in der zaghaftesten Angst nicht getraute, eine Bitte auszusprechen, sagte sie Nichts, als das einzige Wort: Stephan!
Der Major wendete sich vollends herum — Beide starrten sich eine Sekunde an — nur eine Sekunde — dann aber vorwärts tretend lag er eines Sturzes in ihren Armen, die sich mit maßloser Heftigkeit um ihn schloßen. Ich hörte Nichts, als das tiefe leise Schluchzen des Mannes, wobei das Weib ihn immer fester umschlang und immer fester an sich drückte.
Nun keine Trennung mehr, Brigitta, für hier und die Ewigkeit.
Keine, mein theurer Freund!
Ich war in höchster Verlegenheit und wollte stille hinaus gehen; aber sie hob ihr Haupt und sagte: Bleiben Sie, bleiben Sie.
Das Weib, das ich immer ernst und strenge gefunden hatte, hatte an seinem Halse geweint. Nun hob sie, noch in Thränen schimmernd, die Augen — und so herrlich ist das Schönste, was der arme, fehlende Mensch hienieden vermag, das Verzeihen — daß mir ihre Züge wie in unnachahmlicher Schönheit strahlten und mein Gemüth in tiefer Rührung schwamm.
Arme, arme Gattin, sagte er beklommen, fünfzehn
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