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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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Fröhlichkeit von ehemals verdrängt. So wird das alte, frische, saftige Leben, Kraft, Regsamkeit und freudiges Selbstgefühl zum größten Theile dahingehen, um stumpfer Ruhe und gedankenloser Abspannung die Stelle zu überlassen.

Wenn nun aus diesem puritanischen Treiben gleichwohl das Streben hervorträte, den Landmann durch Unterricht und intellectuelle Erziehung zu erheben und so mit der Ascese auch eine, wenn noch so geringe geistige Bildung zu verbinden, so würde sich das mancher noch gefallen lassen, allein man hat sich auch diesen Zuschuß nicht vorbehalten. Es gibt zwar sehr viele Landschulen in Tirol und sie steigen von der Ebene hinan fast bis ans Eis der Ferner, aber man lernt nichts darinnen, oder wenigstens die Erziehung nach der Schule ist so beschaffen, daß alles Gelernte wieder vergessen werden muß. Ma sieht's nicht gerne, wenn der Bauer liest, außer in einem vergilbten Gebetbuche oder in neuvertheilten Andachtsblättchen, und es findet sich daher auch selten Andres vor, als etwa eine alte ungenießbare Hausscharteke. Sonstigen Bildungsmitteln wird der Eingang sehr erschwert, und man hat an einigen Orten sogar die Schriften des Verfassers der Ostereier verboten. Die früher geschilderte "Aufklärung" gilt als Inbegriff der Volksbildung, "Meine Kinder können mir auch nicht helfen, klagte einmal ein Passeyrer Kraksenträger, Katechismus und Gebetlein wissen sie wohl prächtig herzusagen, aber wenn sie mir einen Brief schreiben oder eine Rechnung machen sollen, sind sie's nicht im Stande."

Zither und Tanz werden freilich die Lücke allein nicht ausfüllen, aber darum müßte die alte Wissenschaft des Volkes wieder in ihre Heimath zurückgeleitet werden. An Verbreitung guter Volkschriften denken hier die wenigsten, und doch würde ein populäres Buch etwa über tirolische Geschichte vielleicht mehr Segen stiften als die fünfundzwanzigste Auflage von Pater Kochems Höllenbildern oder ein neurevidirter Himmelschlüssel. Auf dem Wege auf dem die höhern Stände gebildet worden sind, auf demselben werden sie, in Tirol wie im übrigen Deutschland, auch das Volk zu bilden haben. Nur so wird

Fröhlichkeit von ehemals verdrängt. So wird das alte, frische, saftige Leben, Kraft, Regsamkeit und freudiges Selbstgefühl zum größten Theile dahingehen, um stumpfer Ruhe und gedankenloser Abspannung die Stelle zu überlassen.

Wenn nun aus diesem puritanischen Treiben gleichwohl das Streben hervorträte, den Landmann durch Unterricht und intellectuelle Erziehung zu erheben und so mit der Ascese auch eine, wenn noch so geringe geistige Bildung zu verbinden, so würde sich das mancher noch gefallen lassen, allein man hat sich auch diesen Zuschuß nicht vorbehalten. Es gibt zwar sehr viele Landschulen in Tirol und sie steigen von der Ebene hinan fast bis ans Eis der Ferner, aber man lernt nichts darinnen, oder wenigstens die Erziehung nach der Schule ist so beschaffen, daß alles Gelernte wieder vergessen werden muß. Ma sieht’s nicht gerne, wenn der Bauer liest, außer in einem vergilbten Gebetbuche oder in neuvertheilten Andachtsblättchen, und es findet sich daher auch selten Andres vor, als etwa eine alte ungenießbare Hausscharteke. Sonstigen Bildungsmitteln wird der Eingang sehr erschwert, und man hat an einigen Orten sogar die Schriften des Verfassers der Ostereier verboten. Die früher geschilderte „Aufklärung“ gilt als Inbegriff der Volksbildung, „Meine Kinder können mir auch nicht helfen, klagte einmal ein Passeyrer Kraksenträger, Katechismus und Gebetlein wissen sie wohl prächtig herzusagen, aber wenn sie mir einen Brief schreiben oder eine Rechnung machen sollen, sind sie’s nicht im Stande.“

Zither und Tanz werden freilich die Lücke allein nicht ausfüllen, aber darum müßte die alte Wissenschaft des Volkes wieder in ihre Heimath zurückgeleitet werden. An Verbreitung guter Volkschriften denken hier die wenigsten, und doch würde ein populäres Buch etwa über tirolische Geschichte vielleicht mehr Segen stiften als die fünfundzwanzigste Auflage von Pater Kochems Höllenbildern oder ein neurevidirter Himmelschlüssel. Auf dem Wege auf dem die höhern Stände gebildet worden sind, auf demselben werden sie, in Tirol wie im übrigen Deutschland, auch das Volk zu bilden haben. Nur so wird

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[653/0657] Fröhlichkeit von ehemals verdrängt. So wird das alte, frische, saftige Leben, Kraft, Regsamkeit und freudiges Selbstgefühl zum größten Theile dahingehen, um stumpfer Ruhe und gedankenloser Abspannung die Stelle zu überlassen. Wenn nun aus diesem puritanischen Treiben gleichwohl das Streben hervorträte, den Landmann durch Unterricht und intellectuelle Erziehung zu erheben und so mit der Ascese auch eine, wenn noch so geringe geistige Bildung zu verbinden, so würde sich das mancher noch gefallen lassen, allein man hat sich auch diesen Zuschuß nicht vorbehalten. Es gibt zwar sehr viele Landschulen in Tirol und sie steigen von der Ebene hinan fast bis ans Eis der Ferner, aber man lernt nichts darinnen, oder wenigstens die Erziehung nach der Schule ist so beschaffen, daß alles Gelernte wieder vergessen werden muß. Ma sieht’s nicht gerne, wenn der Bauer liest, außer in einem vergilbten Gebetbuche oder in neuvertheilten Andachtsblättchen, und es findet sich daher auch selten Andres vor, als etwa eine alte ungenießbare Hausscharteke. Sonstigen Bildungsmitteln wird der Eingang sehr erschwert, und man hat an einigen Orten sogar die Schriften des Verfassers der Ostereier verboten. Die früher geschilderte „Aufklärung“ gilt als Inbegriff der Volksbildung, „Meine Kinder können mir auch nicht helfen, klagte einmal ein Passeyrer Kraksenträger, Katechismus und Gebetlein wissen sie wohl prächtig herzusagen, aber wenn sie mir einen Brief schreiben oder eine Rechnung machen sollen, sind sie’s nicht im Stande.“ Zither und Tanz werden freilich die Lücke allein nicht ausfüllen, aber darum müßte die alte Wissenschaft des Volkes wieder in ihre Heimath zurückgeleitet werden. An Verbreitung guter Volkschriften denken hier die wenigsten, und doch würde ein populäres Buch etwa über tirolische Geschichte vielleicht mehr Segen stiften als die fünfundzwanzigste Auflage von Pater Kochems Höllenbildern oder ein neurevidirter Himmelschlüssel. Auf dem Wege auf dem die höhern Stände gebildet worden sind, auf demselben werden sie, in Tirol wie im übrigen Deutschland, auch das Volk zu bilden haben. Nur so wird

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 653. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/657>, abgerufen am 23.11.2024.