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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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französischen so gesagt wurde: "die Mehrzahl der Geistlichen besteht aus Bauernsöhnen, die gute Seelsorger werden, aber keine Theologen. Von philosophischer, historischer, staatswissenschaftlicher Bildung, von Zurechtstellung in Zeit und Zeitgeschichte, in ihren Beziehungen zum Ewigen kaum eine Spur; die strengste Sonderung von der Welt und der Gesellschaft ohne die Kraft, die Energie, die Vortheile eines durchgearbeiteten Ascetismus; daneben eine einseitige Auffassung alles dessen, was in der Zeit geschieht, als mehr und mehr vom Bösen gefärbt."

Stellen wir nun diesen Clerus mit dem Bauern zusammen, wie er nach der Zeit war, als Tirol wieder an Oesterreich fiel, so haben wir auf der einen Seite einen frommen, der Zeit und der Welt mißtrauenden Quietismus, auf der andern einen noch sprudelnden Nationalgeist, ein Volk, das sich so eben viele Anerkennung erfochten, das seiner Ehre, seinen Ansprüchen nichts vergeben wollte, das da, lebenslustig und heiter, einer Zukunft entgegen sah, von der es noch vieles erwartete. Der Clerus fühlte, daß der Schwerpunkt auf die andre Seite fiel, wollte sich aber davon nicht imponiren lassen und fand diese Selbständigkeit belästigend. Sollten jene Richtungen noch weiter gehen, sollte das Volk durch Erziehung und Unterricht noch gehoben werden, so schien der Gehorsam und die Ergebenheit leiden zu müssen. Man fing daher an, das ganze reiche Volksleben als Verderbniß anzusehen. Mit dem Waidspruche: Ora et labora sollte sich alles abthun lassen. Die Glieder sollten frei bleiben für die Arbeit, der Mund für Gebete, aber die Ausbildung andrer Kräfte schien vom Uebel. Man kam allmählich zur Ueberzeugung, die man jetzt offen ausspricht, daß es dem Bauern nicht gut thue etwas zu wissen, daß es gefährlich sey, seine geistigen Anlagen zu entwickeln. Es gibt vielleicht auch Viele, die darin ein geschichtliches Herkommen sehen und der Meinung sind, es sey in diesem Stücke von jeher so gewesen wie jetzt.

Es ist nun zwar schon lange her, daß es anders war, aber vielleicht noch nicht zu spät, zuweilen daran zu erinnern. Wie uns jetzt durch das Verdienst der Brüder Grimm die

französischen so gesagt wurde: „die Mehrzahl der Geistlichen besteht aus Bauernsöhnen, die gute Seelsorger werden, aber keine Theologen. Von philosophischer, historischer, staatswissenschaftlicher Bildung, von Zurechtstellung in Zeit und Zeitgeschichte, in ihren Beziehungen zum Ewigen kaum eine Spur; die strengste Sonderung von der Welt und der Gesellschaft ohne die Kraft, die Energie, die Vortheile eines durchgearbeiteten Ascetismus; daneben eine einseitige Auffassung alles dessen, was in der Zeit geschieht, als mehr und mehr vom Bösen gefärbt.“

Stellen wir nun diesen Clerus mit dem Bauern zusammen, wie er nach der Zeit war, als Tirol wieder an Oesterreich fiel, so haben wir auf der einen Seite einen frommen, der Zeit und der Welt mißtrauenden Quietismus, auf der andern einen noch sprudelnden Nationalgeist, ein Volk, das sich so eben viele Anerkennung erfochten, das seiner Ehre, seinen Ansprüchen nichts vergeben wollte, das da, lebenslustig und heiter, einer Zukunft entgegen sah, von der es noch vieles erwartete. Der Clerus fühlte, daß der Schwerpunkt auf die andre Seite fiel, wollte sich aber davon nicht imponiren lassen und fand diese Selbständigkeit belästigend. Sollten jene Richtungen noch weiter gehen, sollte das Volk durch Erziehung und Unterricht noch gehoben werden, so schien der Gehorsam und die Ergebenheit leiden zu müssen. Man fing daher an, das ganze reiche Volksleben als Verderbniß anzusehen. Mit dem Waidspruche: Ora et labora sollte sich alles abthun lassen. Die Glieder sollten frei bleiben für die Arbeit, der Mund für Gebete, aber die Ausbildung andrer Kräfte schien vom Uebel. Man kam allmählich zur Ueberzeugung, die man jetzt offen ausspricht, daß es dem Bauern nicht gut thue etwas zu wissen, daß es gefährlich sey, seine geistigen Anlagen zu entwickeln. Es gibt vielleicht auch Viele, die darin ein geschichtliches Herkommen sehen und der Meinung sind, es sey in diesem Stücke von jeher so gewesen wie jetzt.

Es ist nun zwar schon lange her, daß es anders war, aber vielleicht noch nicht zu spät, zuweilen daran zu erinnern. Wie uns jetzt durch das Verdienst der Brüder Grimm die

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[646/0650] französischen so gesagt wurde: „die Mehrzahl der Geistlichen besteht aus Bauernsöhnen, die gute Seelsorger werden, aber keine Theologen. Von philosophischer, historischer, staatswissenschaftlicher Bildung, von Zurechtstellung in Zeit und Zeitgeschichte, in ihren Beziehungen zum Ewigen kaum eine Spur; die strengste Sonderung von der Welt und der Gesellschaft ohne die Kraft, die Energie, die Vortheile eines durchgearbeiteten Ascetismus; daneben eine einseitige Auffassung alles dessen, was in der Zeit geschieht, als mehr und mehr vom Bösen gefärbt.“ Stellen wir nun diesen Clerus mit dem Bauern zusammen, wie er nach der Zeit war, als Tirol wieder an Oesterreich fiel, so haben wir auf der einen Seite einen frommen, der Zeit und der Welt mißtrauenden Quietismus, auf der andern einen noch sprudelnden Nationalgeist, ein Volk, das sich so eben viele Anerkennung erfochten, das seiner Ehre, seinen Ansprüchen nichts vergeben wollte, das da, lebenslustig und heiter, einer Zukunft entgegen sah, von der es noch vieles erwartete. Der Clerus fühlte, daß der Schwerpunkt auf die andre Seite fiel, wollte sich aber davon nicht imponiren lassen und fand diese Selbständigkeit belästigend. Sollten jene Richtungen noch weiter gehen, sollte das Volk durch Erziehung und Unterricht noch gehoben werden, so schien der Gehorsam und die Ergebenheit leiden zu müssen. Man fing daher an, das ganze reiche Volksleben als Verderbniß anzusehen. Mit dem Waidspruche: Ora et labora sollte sich alles abthun lassen. Die Glieder sollten frei bleiben für die Arbeit, der Mund für Gebete, aber die Ausbildung andrer Kräfte schien vom Uebel. Man kam allmählich zur Ueberzeugung, die man jetzt offen ausspricht, daß es dem Bauern nicht gut thue etwas zu wissen, daß es gefährlich sey, seine geistigen Anlagen zu entwickeln. Es gibt vielleicht auch Viele, die darin ein geschichtliches Herkommen sehen und der Meinung sind, es sey in diesem Stücke von jeher so gewesen wie jetzt. Es ist nun zwar schon lange her, daß es anders war, aber vielleicht noch nicht zu spät, zuweilen daran zu erinnern. Wie uns jetzt durch das Verdienst der Brüder Grimm die

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 646. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/650>, abgerufen am 23.11.2024.