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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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Die längste Zeit in diesem lieben Thale habe ich in der Au, einem der größten Dörfer des Hinterwaldes, zugebracht, wo mich einfallendes Regenwetter einmal mehrere Tage festhielt. Der Ort liegt in einer gebirgigen Enge, aufwärts von einer starren Felswand beschlossen, und besteht aus mehreren Weilern, die den knappen Raum anmuthig ausschmücken. Der Kern derselben, welcher um die Kirche liegt, heißt Jaghausen, und soll diesen Namen von einem Jagdhause haben, das die Grafen von Montfort vor Zeiten hier errichtet. Man findet dort mehrere gute Gasthäuser und eine freundliche Gesellschaft aus den Herren der Umgegend, welche mir sehr unterrichtend wurde. Ich habe da noch Mehreres abgelauscht was hier erzählt werden mag.

In voller Uebung und in allen seinen Ehren ist trotz den Edicten der Bezeck unter der Jugend des Waldes noch das Stubetgehen, worunter man, wie schon oben angedeutet, ungefähr das versteht, was die Zillerthaler Fensterln, die Schweizer Chiltgang nennen. Der "Buob" kommt um Mitternacht an das Kammerfenster seines Mädchens und bittet flüsternd um Einlaß. Will die Schmelge ihn erhören, so macht sie Licht und läßt ihn in die Wohnstube. Dort sitzen sie in aller Unschuld ein paar Stunden beisammen und plaudern friedlich über den Zustand ihrer Herzen. Gewöhnlich bringt der Bube Wein mit sich, der unter solchen Umständen Visis heißt, und damit trinken sich die Liebenden Gesundheit. Diese Besuche sind so viel als erlaubt und bringen weder den Knaben, noch das Mädchen in Unehre; auch wissen meistentheils die Eltern von der Sache. Wenn der Nachbar in stiller Mitternacht auf seinem Pfühle erwacht und im nächsten Hause die Wohnstube hell erleuchtet sieht, so vermuthet er weder Krankheit, noch andere plötzliche Noth, sondern dreht sich ruhig um auf seinem Lager und denkt sich ohne Arg: Annacathri wird wohl eine Stubet haben.

Zuweilen wird der Bube während der Stubet durch verstellte Stimmen herausgerufen, und es ist dann Ehrensache dem Rufe zu folgen. Oft sind es nur neckische Freunde, die ihn "schälkelen," oft aber steht auch vor der Thüre ein

Die längste Zeit in diesem lieben Thale habe ich in der Au, einem der größten Dörfer des Hinterwaldes, zugebracht, wo mich einfallendes Regenwetter einmal mehrere Tage festhielt. Der Ort liegt in einer gebirgigen Enge, aufwärts von einer starren Felswand beschlossen, und besteht aus mehreren Weilern, die den knappen Raum anmuthig ausschmücken. Der Kern derselben, welcher um die Kirche liegt, heißt Jaghausen, und soll diesen Namen von einem Jagdhause haben, das die Grafen von Montfort vor Zeiten hier errichtet. Man findet dort mehrere gute Gasthäuser und eine freundliche Gesellschaft aus den Herren der Umgegend, welche mir sehr unterrichtend wurde. Ich habe da noch Mehreres abgelauscht was hier erzählt werden mag.

In voller Uebung und in allen seinen Ehren ist trotz den Edicten der Bezeck unter der Jugend des Waldes noch das Stubetgehen, worunter man, wie schon oben angedeutet, ungefähr das versteht, was die Zillerthaler Fensterln, die Schweizer Chiltgang nennen. Der „Buob" kommt um Mitternacht an das Kammerfenster seines Mädchens und bittet flüsternd um Einlaß. Will die Schmelge ihn erhören, so macht sie Licht und läßt ihn in die Wohnstube. Dort sitzen sie in aller Unschuld ein paar Stunden beisammen und plaudern friedlich über den Zustand ihrer Herzen. Gewöhnlich bringt der Bube Wein mit sich, der unter solchen Umständen Visis heißt, und damit trinken sich die Liebenden Gesundheit. Diese Besuche sind so viel als erlaubt und bringen weder den Knaben, noch das Mädchen in Unehre; auch wissen meistentheils die Eltern von der Sache. Wenn der Nachbar in stiller Mitternacht auf seinem Pfühle erwacht und im nächsten Hause die Wohnstube hell erleuchtet sieht, so vermuthet er weder Krankheit, noch andere plötzliche Noth, sondern dreht sich ruhig um auf seinem Lager und denkt sich ohne Arg: Annacathri wird wohl eine Stubet haben.

Zuweilen wird der Bube während der Stubet durch verstellte Stimmen herausgerufen, und es ist dann Ehrensache dem Rufe zu folgen. Oft sind es nur neckische Freunde, die ihn „schälkelen," oft aber steht auch vor der Thüre ein

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[59/0064] Die längste Zeit in diesem lieben Thale habe ich in der Au, einem der größten Dörfer des Hinterwaldes, zugebracht, wo mich einfallendes Regenwetter einmal mehrere Tage festhielt. Der Ort liegt in einer gebirgigen Enge, aufwärts von einer starren Felswand beschlossen, und besteht aus mehreren Weilern, die den knappen Raum anmuthig ausschmücken. Der Kern derselben, welcher um die Kirche liegt, heißt Jaghausen, und soll diesen Namen von einem Jagdhause haben, das die Grafen von Montfort vor Zeiten hier errichtet. Man findet dort mehrere gute Gasthäuser und eine freundliche Gesellschaft aus den Herren der Umgegend, welche mir sehr unterrichtend wurde. Ich habe da noch Mehreres abgelauscht was hier erzählt werden mag. In voller Uebung und in allen seinen Ehren ist trotz den Edicten der Bezeck unter der Jugend des Waldes noch das Stubetgehen, worunter man, wie schon oben angedeutet, ungefähr das versteht, was die Zillerthaler Fensterln, die Schweizer Chiltgang nennen. Der „Buob" kommt um Mitternacht an das Kammerfenster seines Mädchens und bittet flüsternd um Einlaß. Will die Schmelge ihn erhören, so macht sie Licht und läßt ihn in die Wohnstube. Dort sitzen sie in aller Unschuld ein paar Stunden beisammen und plaudern friedlich über den Zustand ihrer Herzen. Gewöhnlich bringt der Bube Wein mit sich, der unter solchen Umständen Visis heißt, und damit trinken sich die Liebenden Gesundheit. Diese Besuche sind so viel als erlaubt und bringen weder den Knaben, noch das Mädchen in Unehre; auch wissen meistentheils die Eltern von der Sache. Wenn der Nachbar in stiller Mitternacht auf seinem Pfühle erwacht und im nächsten Hause die Wohnstube hell erleuchtet sieht, so vermuthet er weder Krankheit, noch andere plötzliche Noth, sondern dreht sich ruhig um auf seinem Lager und denkt sich ohne Arg: Annacathri wird wohl eine Stubet haben. Zuweilen wird der Bube während der Stubet durch verstellte Stimmen herausgerufen, und es ist dann Ehrensache dem Rufe zu folgen. Oft sind es nur neckische Freunde, die ihn „schälkelen," oft aber steht auch vor der Thüre ein

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/64>, abgerufen am 23.11.2024.