Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

von Ferraris geblieben, das Gericht ist aber seit 1829 wieder landesfürstlich.

Hermann von Gilm, der einmal dieses Weges kam, hat der alten Ruine folgendes Gedicht verehrt:

Du altes Schloß! du scheinst wohl nur zu schweigen!
Neugierig streckt die Föhre sich empor,
Die Eulen horchen, die verschwiegenen Zeugen -
O sag mir auch ein Märchen in das Ohr.
Du steingewordner Traum! viel Thränen mochten
Auf deinen grasbewachs'nen Boden hier
Gefallen seyn! - Wie deine Männer fochten,
Wie deine Frauen liebten, sage mir.
Du schweigst? - So träume fort, wir gehen weiter -
Von deinen Mauern pflück' ich mir den Strauß;
Denn die Natur ist ewig jung und heiter
Und schmückt mit Blumen ihre Todten aus.

Taufers, das Dorf, nicht weit unter dem Schlosse gelegen, ist groß und gut gebaut. Es sind da drei adelige Ansitze, unter denen besonders Neumelans sehr herrschaftlich aussieht. Es wurde 1582 von den Fügern, den damaligen Gerichtsherren, hergestellt, denselben, die das Schloß zu Fügen gegründet. Neumelans heißt es zum Unterschiede von Melans bei Hall. Es ist ein großes, stolzes, etwas düsteres Gebäude im Styl der Renaissance mit hohen vergitterten Fenstern, von Ringmauern wehrlich umfangen.

Von Taufers zieht eine ebene Straße in ziemlich geräumigem Thale hinaus nach Brunecken, das etwa in drei Stunden erreicht wird. Mehrere alte Burgen in der Niederung und auf der Höhe schmücken den Weg. Allmählich ersahen wir auch das rothgedeckte Schloß von Brunecken; dann zeichnete sich deutlicher und deutlicher die Stadt darunter hin, und am Abend hatten wir sie erreicht. Im Stern nahmen wir Herberge und ließen uns von den Honoratioren tüchtig ausschelten, daß wir ohne Führer über den Tauern gegangen. Ich nahm mir dieß viel weniger zu Herzen, als daß man wegen der Eilfertigkeit des Ganges so viele Alterthümer, die zur Seite des Weges liegen, unbeschaut gelassen hatte.

von Ferraris geblieben, das Gericht ist aber seit 1829 wieder landesfürstlich.

Hermann von Gilm, der einmal dieses Weges kam, hat der alten Ruine folgendes Gedicht verehrt:

Du altes Schloß! du scheinst wohl nur zu schweigen!
Neugierig streckt die Föhre sich empor,
Die Eulen horchen, die verschwiegenen Zeugen –
O sag mir auch ein Märchen in das Ohr.
Du steingewordner Traum! viel Thränen mochten
Auf deinen grasbewachs’nen Boden hier
Gefallen seyn! – Wie deine Männer fochten,
Wie deine Frauen liebten, sage mir.
Du schweigst? – So träume fort, wir gehen weiter –
Von deinen Mauern pflück’ ich mir den Strauß;
Denn die Natur ist ewig jung und heiter
Und schmückt mit Blumen ihre Todten aus.

Taufers, das Dorf, nicht weit unter dem Schlosse gelegen, ist groß und gut gebaut. Es sind da drei adelige Ansitze, unter denen besonders Neumelans sehr herrschaftlich aussieht. Es wurde 1582 von den Fügern, den damaligen Gerichtsherren, hergestellt, denselben, die das Schloß zu Fügen gegründet. Neumelans heißt es zum Unterschiede von Melans bei Hall. Es ist ein großes, stolzes, etwas düsteres Gebäude im Styl der Renaissance mit hohen vergitterten Fenstern, von Ringmauern wehrlich umfangen.

Von Taufers zieht eine ebene Straße in ziemlich geräumigem Thale hinaus nach Brunecken, das etwa in drei Stunden erreicht wird. Mehrere alte Burgen in der Niederung und auf der Höhe schmücken den Weg. Allmählich ersahen wir auch das rothgedeckte Schloß von Brunecken; dann zeichnete sich deutlicher und deutlicher die Stadt darunter hin, und am Abend hatten wir sie erreicht. Im Stern nahmen wir Herberge und ließen uns von den Honoratioren tüchtig ausschelten, daß wir ohne Führer über den Tauern gegangen. Ich nahm mir dieß viel weniger zu Herzen, als daß man wegen der Eilfertigkeit des Ganges so viele Alterthümer, die zur Seite des Weges liegen, unbeschaut gelassen hatte.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0603" n="599"/>
von Ferraris geblieben, das Gericht ist aber seit 1829 wieder landesfürstlich.</p>
        <p>Hermann von Gilm, der einmal dieses Weges kam, hat der alten Ruine folgendes Gedicht verehrt:</p>
        <lg type="poem">
          <lg n="1">
            <l>Du altes Schloß! du scheinst wohl nur zu schweigen!</l><lb/>
            <l>Neugierig streckt die Föhre sich empor,</l><lb/>
            <l>Die Eulen horchen, die verschwiegenen Zeugen &#x2013;</l><lb/>
            <l>O sag mir auch ein Märchen in das Ohr.</l><lb/>
          </lg>
          <lg n="2">
            <l>Du steingewordner Traum! viel Thränen mochten</l><lb/>
            <l>Auf deinen grasbewachs&#x2019;nen Boden hier</l><lb/>
            <l>Gefallen seyn! &#x2013; Wie deine Männer fochten,</l><lb/>
            <l>Wie deine Frauen liebten, sage mir.</l><lb/>
          </lg>
          <lg n="3">
            <l>Du schweigst? &#x2013; So träume fort, wir gehen weiter &#x2013;</l><lb/>
            <l>Von deinen Mauern pflück&#x2019; ich mir den Strauß;</l><lb/>
            <l>Denn die Natur ist ewig jung und heiter</l><lb/>
            <l>Und schmückt mit Blumen ihre Todten aus.</l><lb/>
          </lg>
        </lg>
        <p>Taufers, das Dorf, nicht weit unter dem Schlosse gelegen, ist groß und gut gebaut. Es sind da drei adelige Ansitze, unter denen besonders Neumelans sehr herrschaftlich aussieht. Es wurde 1582 von den Fügern, den damaligen Gerichtsherren, hergestellt, denselben, die das Schloß zu Fügen gegründet. Neumelans heißt es zum Unterschiede von Melans bei Hall. Es ist ein großes, stolzes, etwas düsteres Gebäude im Styl der Renaissance mit hohen vergitterten Fenstern, von Ringmauern wehrlich umfangen.</p>
        <p>Von Taufers zieht eine ebene Straße in ziemlich geräumigem Thale hinaus nach Brunecken, das etwa in drei Stunden erreicht wird. Mehrere alte Burgen in der Niederung und auf der Höhe schmücken den Weg. Allmählich ersahen wir auch das rothgedeckte Schloß von Brunecken; dann zeichnete sich deutlicher und deutlicher die Stadt darunter hin, und am Abend hatten wir sie erreicht. Im Stern nahmen wir Herberge und ließen uns von den Honoratioren tüchtig ausschelten, daß wir ohne Führer über den Tauern gegangen. Ich nahm mir dieß viel weniger zu Herzen, als daß man wegen der Eilfertigkeit des Ganges so viele Alterthümer, die zur Seite des Weges liegen, unbeschaut gelassen hatte.
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[599/0603] von Ferraris geblieben, das Gericht ist aber seit 1829 wieder landesfürstlich. Hermann von Gilm, der einmal dieses Weges kam, hat der alten Ruine folgendes Gedicht verehrt: Du altes Schloß! du scheinst wohl nur zu schweigen! Neugierig streckt die Föhre sich empor, Die Eulen horchen, die verschwiegenen Zeugen – O sag mir auch ein Märchen in das Ohr. Du steingewordner Traum! viel Thränen mochten Auf deinen grasbewachs’nen Boden hier Gefallen seyn! – Wie deine Männer fochten, Wie deine Frauen liebten, sage mir. Du schweigst? – So träume fort, wir gehen weiter – Von deinen Mauern pflück’ ich mir den Strauß; Denn die Natur ist ewig jung und heiter Und schmückt mit Blumen ihre Todten aus. Taufers, das Dorf, nicht weit unter dem Schlosse gelegen, ist groß und gut gebaut. Es sind da drei adelige Ansitze, unter denen besonders Neumelans sehr herrschaftlich aussieht. Es wurde 1582 von den Fügern, den damaligen Gerichtsherren, hergestellt, denselben, die das Schloß zu Fügen gegründet. Neumelans heißt es zum Unterschiede von Melans bei Hall. Es ist ein großes, stolzes, etwas düsteres Gebäude im Styl der Renaissance mit hohen vergitterten Fenstern, von Ringmauern wehrlich umfangen. Von Taufers zieht eine ebene Straße in ziemlich geräumigem Thale hinaus nach Brunecken, das etwa in drei Stunden erreicht wird. Mehrere alte Burgen in der Niederung und auf der Höhe schmücken den Weg. Allmählich ersahen wir auch das rothgedeckte Schloß von Brunecken; dann zeichnete sich deutlicher und deutlicher die Stadt darunter hin, und am Abend hatten wir sie erreicht. Im Stern nahmen wir Herberge und ließen uns von den Honoratioren tüchtig ausschelten, daß wir ohne Führer über den Tauern gegangen. Ich nahm mir dieß viel weniger zu Herzen, als daß man wegen der Eilfertigkeit des Ganges so viele Alterthümer, die zur Seite des Weges liegen, unbeschaut gelassen hatte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-05T13:27:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-05T13:27:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-05T13:27:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Geviertstriche werden als Halbgeviertstriche wiedergegeben.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/603
Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 599. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/603>, abgerufen am 23.07.2024.