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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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zu schwatzen; sie bieten einem reisenden Gelehrten zu hackeln an oder fragen einen decorirten Hofrath: Magst nicht raufen? Die andern etwa anwesenden Bauernsöhne lachen über den Schalk, während der Fremde zur Besiegelung der neuen Freundschaft gerne eine Halbe setzt. Da nun aber das Zillerthal von allen Seitenthälern Tirols am häufigsten bereist wird, und da die meisten, welche da auftreten, sehr dringende Ansprüche auf derlei Productionen mitbringen, und die Tiroler um jeden Preis in ihrer vermeintlichen wahren Gestalt und Art zu sehen wünschen, so ist es begreiflich, daß der Zillerthaler, welcher auf seine Weltläufigkeit nie verzichtet, dem Fremden sehr gerne "die Augen auswischt," wenigstens sich im Stillen freut, wenn der Andre einige ihm allein geweihte Schnurren für die Blüthe sinnigen Alpenlebens ansieht. Weil man aber überdieß schon weiß, daß die Fremden ins Thal nur hereinreisen, um recht liebenswürdig zu seyn, und jede Gnade gewähren, um die man in älplerischer Treuherzigkeit zu bitten versteht, so hat sich allmählich unter Jung und Alt eine Geneigheit zu bitten und zu heischen eingestellt, in der zwar der größere Theil menschenfreundlicher Touristen nur Vertraulichkeit und idyllische Naivetät erblickt, die aber doch näher betrachtet, von der Bettelei, wie sie anderswo vorkommt, mehr durch das Local als ihrer innern Natur nach verschieden ist. Wenn man sich zum Beispiele am Sonntag Morgens etwa zu Zell eine Stelle aussucht, an der die Kirchengänger vorüber müssen, so wird man nicht allein der angenehmen Ueberschau der Andächtigen, der schönen Mädchen mit den spitzigen Hüten und der Goldquaste, der schlanken Buben und kräftigen Mander, sich erfreuen, sondern auch genug Gelegenheit finden, eine Menge von Leuten, jeden Alters und Geschlechts, zu verbinden. Zuerst kommt etwa einer, der dich um eine Pfeife Tabak anspricht und auch für seine Freunde in die Tasche schiebt, dann wird dir einer voll Einfalt anvertrauen, wie er schon das ganze Hochamt über so viel Durst ausgestanden, daß er den festen Glauben habe, der gütige Herr werde ihm ein Seidel Wein zahlen; ein frischer, blondlockiger, rothbackiger, helläugiger Junge nimmt dich bei

zu schwatzen; sie bieten einem reisenden Gelehrten zu hackeln an oder fragen einen decorirten Hofrath: Magst nicht raufen? Die andern etwa anwesenden Bauernsöhne lachen über den Schalk, während der Fremde zur Besiegelung der neuen Freundschaft gerne eine Halbe setzt. Da nun aber das Zillerthal von allen Seitenthälern Tirols am häufigsten bereist wird, und da die meisten, welche da auftreten, sehr dringende Ansprüche auf derlei Productionen mitbringen, und die Tiroler um jeden Preis in ihrer vermeintlichen wahren Gestalt und Art zu sehen wünschen, so ist es begreiflich, daß der Zillerthaler, welcher auf seine Weltläufigkeit nie verzichtet, dem Fremden sehr gerne „die Augen auswischt,“ wenigstens sich im Stillen freut, wenn der Andre einige ihm allein geweihte Schnurren für die Blüthe sinnigen Alpenlebens ansieht. Weil man aber überdieß schon weiß, daß die Fremden ins Thal nur hereinreisen, um recht liebenswürdig zu seyn, und jede Gnade gewähren, um die man in älplerischer Treuherzigkeit zu bitten versteht, so hat sich allmählich unter Jung und Alt eine Geneigheit zu bitten und zu heischen eingestellt, in der zwar der größere Theil menschenfreundlicher Touristen nur Vertraulichkeit und idyllische Naivetät erblickt, die aber doch näher betrachtet, von der Bettelei, wie sie anderswo vorkommt, mehr durch das Local als ihrer innern Natur nach verschieden ist. Wenn man sich zum Beispiele am Sonntag Morgens etwa zu Zell eine Stelle aussucht, an der die Kirchengänger vorüber müssen, so wird man nicht allein der angenehmen Ueberschau der Andächtigen, der schönen Mädchen mit den spitzigen Hüten und der Goldquaste, der schlanken Buben und kräftigen Mander, sich erfreuen, sondern auch genug Gelegenheit finden, eine Menge von Leuten, jeden Alters und Geschlechts, zu verbinden. Zuerst kommt etwa einer, der dich um eine Pfeife Tabak anspricht und auch für seine Freunde in die Tasche schiebt, dann wird dir einer voll Einfalt anvertrauen, wie er schon das ganze Hochamt über so viel Durst ausgestanden, daß er den festen Glauben habe, der gütige Herr werde ihm ein Seidel Wein zahlen; ein frischer, blondlockiger, rothbackiger, helläugiger Junge nimmt dich bei

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zu schwatzen; sie bieten einem reisenden Gelehrten zu hackeln an oder fragen einen decorirten Hofrath: Magst nicht raufen? Die andern etwa anwesenden Bauernsöhne lachen über den Schalk, während der Fremde zur Besiegelung der neuen Freundschaft gerne eine Halbe setzt. Da nun aber das Zillerthal von allen Seitenthälern Tirols am häufigsten bereist wird, und da die meisten, welche da auftreten, sehr dringende Ansprüche auf derlei Productionen mitbringen, und die Tiroler um jeden Preis in ihrer vermeintlichen wahren Gestalt und Art zu sehen wünschen, so ist es begreiflich, daß der Zillerthaler, welcher auf seine Weltläufigkeit nie verzichtet, dem Fremden sehr gerne &#x201E;die Augen auswischt,&#x201C; wenigstens sich im Stillen freut, wenn der Andre einige ihm allein geweihte Schnurren für die Blüthe sinnigen Alpenlebens ansieht. Weil man aber überdieß schon weiß, daß die Fremden ins Thal nur hereinreisen, um recht liebenswürdig zu seyn, und jede Gnade gewähren, um die man in älplerischer Treuherzigkeit zu bitten versteht, so hat sich allmählich unter Jung und Alt eine Geneigheit zu bitten und zu heischen eingestellt, in der zwar der größere Theil menschenfreundlicher Touristen nur Vertraulichkeit und idyllische Naivetät erblickt, die aber doch näher betrachtet, von der Bettelei, wie sie anderswo vorkommt, mehr durch das Local als ihrer innern Natur nach verschieden ist. Wenn man sich zum Beispiele am Sonntag Morgens etwa zu Zell eine Stelle aussucht, an der die Kirchengänger vorüber müssen, so wird man nicht allein der angenehmen Ueberschau der Andächtigen, der schönen Mädchen mit den spitzigen Hüten und der Goldquaste, der schlanken Buben und kräftigen Mander, sich erfreuen, sondern auch genug Gelegenheit finden, eine Menge von Leuten, jeden Alters und Geschlechts, zu verbinden. Zuerst kommt etwa einer, der dich um eine Pfeife Tabak anspricht und auch für seine Freunde in die Tasche schiebt, dann wird dir einer voll Einfalt anvertrauen, wie er schon das ganze Hochamt über so viel Durst ausgestanden, daß er den festen Glauben habe, der gütige Herr werde ihm ein Seidel Wein zahlen; ein frischer, blondlockiger, rothbackiger, helläugiger Junge nimmt dich bei
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[576/0580] zu schwatzen; sie bieten einem reisenden Gelehrten zu hackeln an oder fragen einen decorirten Hofrath: Magst nicht raufen? Die andern etwa anwesenden Bauernsöhne lachen über den Schalk, während der Fremde zur Besiegelung der neuen Freundschaft gerne eine Halbe setzt. Da nun aber das Zillerthal von allen Seitenthälern Tirols am häufigsten bereist wird, und da die meisten, welche da auftreten, sehr dringende Ansprüche auf derlei Productionen mitbringen, und die Tiroler um jeden Preis in ihrer vermeintlichen wahren Gestalt und Art zu sehen wünschen, so ist es begreiflich, daß der Zillerthaler, welcher auf seine Weltläufigkeit nie verzichtet, dem Fremden sehr gerne „die Augen auswischt,“ wenigstens sich im Stillen freut, wenn der Andre einige ihm allein geweihte Schnurren für die Blüthe sinnigen Alpenlebens ansieht. Weil man aber überdieß schon weiß, daß die Fremden ins Thal nur hereinreisen, um recht liebenswürdig zu seyn, und jede Gnade gewähren, um die man in älplerischer Treuherzigkeit zu bitten versteht, so hat sich allmählich unter Jung und Alt eine Geneigheit zu bitten und zu heischen eingestellt, in der zwar der größere Theil menschenfreundlicher Touristen nur Vertraulichkeit und idyllische Naivetät erblickt, die aber doch näher betrachtet, von der Bettelei, wie sie anderswo vorkommt, mehr durch das Local als ihrer innern Natur nach verschieden ist. Wenn man sich zum Beispiele am Sonntag Morgens etwa zu Zell eine Stelle aussucht, an der die Kirchengänger vorüber müssen, so wird man nicht allein der angenehmen Ueberschau der Andächtigen, der schönen Mädchen mit den spitzigen Hüten und der Goldquaste, der schlanken Buben und kräftigen Mander, sich erfreuen, sondern auch genug Gelegenheit finden, eine Menge von Leuten, jeden Alters und Geschlechts, zu verbinden. Zuerst kommt etwa einer, der dich um eine Pfeife Tabak anspricht und auch für seine Freunde in die Tasche schiebt, dann wird dir einer voll Einfalt anvertrauen, wie er schon das ganze Hochamt über so viel Durst ausgestanden, daß er den festen Glauben habe, der gütige Herr werde ihm ein Seidel Wein zahlen; ein frischer, blondlockiger, rothbackiger, helläugiger Junge nimmt dich bei

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 576. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/580>, abgerufen am 23.11.2024.