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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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erstere oft sehr zart, oft sehr unzart gemalt, letzterer immer treffend und witzig. Es geht über alles her, was im Wege liegt, über die Fehler der Buben, wie über die Schwächen der Mädchen - über diese freilich lieber, als über jene - über den Nachbar, über die Gemeinde, über die Nachbargemeinde und über das ganze Thal. Es begibt sich keine alberne Geschichte, die nicht ihre Reime erhielte. Das elegische Element, wie es in den slavischen Volksliedern lebt, tritt nur sehr selten hervor; das historische gar nie; ein heroisches nur im skoptischen Trutzlied, das den Gegner zum Raufen fordern soll. Die Grundlage des Versbaues sind dabei die vier Haupttonsylben, von denen je zwei in jeder Vershälfte stehen, wonach denn, da sie herkömmlicherweise vierzeilig geschrieben werden, auf jede Zeile eine Hebung fällt. Die Melodien nach denen sie zu singen sind, lassen sich nach Duzenden zählen, die Schnaderhüpfel selbst nach Hunderten und Tausenden. Viele haben nur ein ephemeres Daseyn; viele leben länger, verschwinden aber auch wenn ihre Zeit um ist - andere sind nur in bestimmten Dorfschaften bekannt, andere gehen durch Steiermark, Pinzgau, Zillerthal, Innthal, durchs bayerische Gebirge und wiederhallen, wie wir aus Ranks Buche ersehen, selbst im Böhmerwalde. Es sind lauter adespota ; man weiß auch von den beliebtesten nicht, wer sie gedichtet hat, und selbst die Frage darnach würde lächerlich scheinen. Vielen Beifall finden diese Lieder neuerer Zeit unter den gebildeten Ständen in Bayern. In München sind so viele im Umlaufe und die ganze Materie daher so alltäglich, daß man sich dort billig wundern wird, wie wir hier so viele Worte darüber machen mögen. Auch in andern Städten erlustigt man sich an diesen naiven Ausgeburten des Hochlandes. Wer immer aus Franken oder Schwaben Gelegenheit hatte, einige Zeit in den südlichen Landestheilen zuzubringen, der nimmt gerne ein paar Duzend dieser G'sangeln mit in seine Heimath, wo sie allenthalben einer sehr freundlichen Aufnahme gewiß sind. Man hat in den Städten sogar schon versucht sie nachzuahmen, aber so einfach diese Gedichte sind, so schwierig ist es für alle, die nicht bei Milch und Käsnocken aufgewachsen, den

erstere oft sehr zart, oft sehr unzart gemalt, letzterer immer treffend und witzig. Es geht über alles her, was im Wege liegt, über die Fehler der Buben, wie über die Schwächen der Mädchen – über diese freilich lieber, als über jene – über den Nachbar, über die Gemeinde, über die Nachbargemeinde und über das ganze Thal. Es begibt sich keine alberne Geschichte, die nicht ihre Reime erhielte. Das elegische Element, wie es in den slavischen Volksliedern lebt, tritt nur sehr selten hervor; das historische gar nie; ein heroisches nur im skoptischen Trutzlied, das den Gegner zum Raufen fordern soll. Die Grundlage des Versbaues sind dabei die vier Haupttonsylben, von denen je zwei in jeder Vershälfte stehen, wonach denn, da sie herkömmlicherweise vierzeilig geschrieben werden, auf jede Zeile eine Hebung fällt. Die Melodien nach denen sie zu singen sind, lassen sich nach Duzenden zählen, die Schnaderhüpfel selbst nach Hunderten und Tausenden. Viele haben nur ein ephemeres Daseyn; viele leben länger, verschwinden aber auch wenn ihre Zeit um ist – andere sind nur in bestimmten Dorfschaften bekannt, andere gehen durch Steiermark, Pinzgau, Zillerthal, Innthal, durchs bayerische Gebirge und wiederhallen, wie wir aus Ranks Buche ersehen, selbst im Böhmerwalde. Es sind lauter ἀδέσποτα ; man weiß auch von den beliebtesten nicht, wer sie gedichtet hat, und selbst die Frage darnach würde lächerlich scheinen. Vielen Beifall finden diese Lieder neuerer Zeit unter den gebildeten Ständen in Bayern. In München sind so viele im Umlaufe und die ganze Materie daher so alltäglich, daß man sich dort billig wundern wird, wie wir hier so viele Worte darüber machen mögen. Auch in andern Städten erlustigt man sich an diesen naiven Ausgeburten des Hochlandes. Wer immer aus Franken oder Schwaben Gelegenheit hatte, einige Zeit in den südlichen Landestheilen zuzubringen, der nimmt gerne ein paar Duzend dieser G’sangeln mit in seine Heimath, wo sie allenthalben einer sehr freundlichen Aufnahme gewiß sind. Man hat in den Städten sogar schon versucht sie nachzuahmen, aber so einfach diese Gedichte sind, so schwierig ist es für alle, die nicht bei Milch und Käsnocken aufgewachsen, den

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[564/0568] erstere oft sehr zart, oft sehr unzart gemalt, letzterer immer treffend und witzig. Es geht über alles her, was im Wege liegt, über die Fehler der Buben, wie über die Schwächen der Mädchen – über diese freilich lieber, als über jene – über den Nachbar, über die Gemeinde, über die Nachbargemeinde und über das ganze Thal. Es begibt sich keine alberne Geschichte, die nicht ihre Reime erhielte. Das elegische Element, wie es in den slavischen Volksliedern lebt, tritt nur sehr selten hervor; das historische gar nie; ein heroisches nur im skoptischen Trutzlied, das den Gegner zum Raufen fordern soll. Die Grundlage des Versbaues sind dabei die vier Haupttonsylben, von denen je zwei in jeder Vershälfte stehen, wonach denn, da sie herkömmlicherweise vierzeilig geschrieben werden, auf jede Zeile eine Hebung fällt. Die Melodien nach denen sie zu singen sind, lassen sich nach Duzenden zählen, die Schnaderhüpfel selbst nach Hunderten und Tausenden. Viele haben nur ein ephemeres Daseyn; viele leben länger, verschwinden aber auch wenn ihre Zeit um ist – andere sind nur in bestimmten Dorfschaften bekannt, andere gehen durch Steiermark, Pinzgau, Zillerthal, Innthal, durchs bayerische Gebirge und wiederhallen, wie wir aus Ranks Buche ersehen, selbst im Böhmerwalde. Es sind lauter ἀδέσποτα ; man weiß auch von den beliebtesten nicht, wer sie gedichtet hat, und selbst die Frage darnach würde lächerlich scheinen. Vielen Beifall finden diese Lieder neuerer Zeit unter den gebildeten Ständen in Bayern. In München sind so viele im Umlaufe und die ganze Materie daher so alltäglich, daß man sich dort billig wundern wird, wie wir hier so viele Worte darüber machen mögen. Auch in andern Städten erlustigt man sich an diesen naiven Ausgeburten des Hochlandes. Wer immer aus Franken oder Schwaben Gelegenheit hatte, einige Zeit in den südlichen Landestheilen zuzubringen, der nimmt gerne ein paar Duzend dieser G’sangeln mit in seine Heimath, wo sie allenthalben einer sehr freundlichen Aufnahme gewiß sind. Man hat in den Städten sogar schon versucht sie nachzuahmen, aber so einfach diese Gedichte sind, so schwierig ist es für alle, die nicht bei Milch und Käsnocken aufgewachsen, den

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 564. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/568>, abgerufen am 23.11.2024.