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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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ländlerisch zu tanzen an, voll jugendlichen Anstandes, trotz seiner fünfundfünfzig Jahre und der schneeweißen Haare. Ach, ich habe so einen frischen Sinn, sagte der alte Tänzer, nachdem es vorüber war. Wenn ich's Essen hätt', fügte er mit einem humoristischen Schlage auf sein Wämschen hinzu, wenn ich's Essen hätt', ich wäre so viel ein freudiger Kerl! Dann sprach er noch mehreres, alles zusammen eine milde Elegie über die Wonnen dahin gegangener Tage.

Nach und nach wurde sogar mit den Weibsen getanzt. Dabei war's ein großer Behelf, daß untertags eine schmucke Wirthstochter von Kolsaß angekommen war, die sich den Anforderungen sehr gewachsen zeigte. Nach des Müllers Tochter wurde auch umgesehen, aber diese hatte sich schon vor dem Einnachten wieder in die Weiden von Hinterdux zurückgezogen; das Maidele mußte auch zusehen, wegen des bösen Schinkens, den wir schon einmal erwähnt haben.

Das war übrigens alles nur so im Vorbeigehen, je nachdem es dem jungen Volke ankam, hatte auch wieder sein Ende, als Jörgel verkündete, es wäre Zeit etwas zu singen. Nun setzten sie sich zusammen, wie sie schon gestern beisammen gesessen waren, der Vater, die Tochter und der Organist; nur that heute auch Resele mit, welche einen schönen Discant singt, so daß die Lieder noch um ein Gutes schöner klangen. Resele hatte überhaupt einen weichen, wehmüthigen Ton in ihrer Stimme und sie selber, die verheirathete Alpenmaid, war eine lebende Elegie. Was ihr fehlte, war nicht zu erfahren; daß sie litt, aber deutlich zu entnehmen aus den klagenden Augen, dem stillen Schmerzensausdruck des Gesichtes und dem trauernden Klang der Stimme. Ich saß nicht weit von ihr, als sie die fröhlichen Almenlieder so melancholisch hinaus jodelte und dachte mir, was etwa der jungen Frau gebreste. In meinen Gedanken verglich ich sie mit einer welkenden Lilie. Derweilen kam der Viehhändler von Schlitters heran, richtete den Blick auch auf das Resele und sagte: was muß dem Weibsen seyn? schaut aus wie ein krankes Kaibel!

ländlerisch zu tanzen an, voll jugendlichen Anstandes, trotz seiner fünfundfünfzig Jahre und der schneeweißen Haare. Ach, ich habe so einen frischen Sinn, sagte der alte Tänzer, nachdem es vorüber war. Wenn ich’s Essen hätt’, fügte er mit einem humoristischen Schlage auf sein Wämschen hinzu, wenn ich’s Essen hätt’, ich wäre so viel ein freudiger Kerl! Dann sprach er noch mehreres, alles zusammen eine milde Elegie über die Wonnen dahin gegangener Tage.

Nach und nach wurde sogar mit den Weibsen getanzt. Dabei war’s ein großer Behelf, daß untertags eine schmucke Wirthstochter von Kolsaß angekommen war, die sich den Anforderungen sehr gewachsen zeigte. Nach des Müllers Tochter wurde auch umgesehen, aber diese hatte sich schon vor dem Einnachten wieder in die Weiden von Hinterdux zurückgezogen; das Maidele mußte auch zusehen, wegen des bösen Schinkens, den wir schon einmal erwähnt haben.

Das war übrigens alles nur so im Vorbeigehen, je nachdem es dem jungen Volke ankam, hatte auch wieder sein Ende, als Jörgel verkündete, es wäre Zeit etwas zu singen. Nun setzten sie sich zusammen, wie sie schon gestern beisammen gesessen waren, der Vater, die Tochter und der Organist; nur that heute auch Resele mit, welche einen schönen Discant singt, so daß die Lieder noch um ein Gutes schöner klangen. Resele hatte überhaupt einen weichen, wehmüthigen Ton in ihrer Stimme und sie selber, die verheirathete Alpenmaid, war eine lebende Elegie. Was ihr fehlte, war nicht zu erfahren; daß sie litt, aber deutlich zu entnehmen aus den klagenden Augen, dem stillen Schmerzensausdruck des Gesichtes und dem trauernden Klang der Stimme. Ich saß nicht weit von ihr, als sie die fröhlichen Almenlieder so melancholisch hinaus jodelte und dachte mir, was etwa der jungen Frau gebreste. In meinen Gedanken verglich ich sie mit einer welkenden Lilie. Derweilen kam der Viehhändler von Schlitters heran, richtete den Blick auch auf das Resele und sagte: was muß dem Weibsen seyn? schaut aus wie ein krankes Kaibel!

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[529/0533] ländlerisch zu tanzen an, voll jugendlichen Anstandes, trotz seiner fünfundfünfzig Jahre und der schneeweißen Haare. Ach, ich habe so einen frischen Sinn, sagte der alte Tänzer, nachdem es vorüber war. Wenn ich’s Essen hätt’, fügte er mit einem humoristischen Schlage auf sein Wämschen hinzu, wenn ich’s Essen hätt’, ich wäre so viel ein freudiger Kerl! Dann sprach er noch mehreres, alles zusammen eine milde Elegie über die Wonnen dahin gegangener Tage. Nach und nach wurde sogar mit den Weibsen getanzt. Dabei war’s ein großer Behelf, daß untertags eine schmucke Wirthstochter von Kolsaß angekommen war, die sich den Anforderungen sehr gewachsen zeigte. Nach des Müllers Tochter wurde auch umgesehen, aber diese hatte sich schon vor dem Einnachten wieder in die Weiden von Hinterdux zurückgezogen; das Maidele mußte auch zusehen, wegen des bösen Schinkens, den wir schon einmal erwähnt haben. Das war übrigens alles nur so im Vorbeigehen, je nachdem es dem jungen Volke ankam, hatte auch wieder sein Ende, als Jörgel verkündete, es wäre Zeit etwas zu singen. Nun setzten sie sich zusammen, wie sie schon gestern beisammen gesessen waren, der Vater, die Tochter und der Organist; nur that heute auch Resele mit, welche einen schönen Discant singt, so daß die Lieder noch um ein Gutes schöner klangen. Resele hatte überhaupt einen weichen, wehmüthigen Ton in ihrer Stimme und sie selber, die verheirathete Alpenmaid, war eine lebende Elegie. Was ihr fehlte, war nicht zu erfahren; daß sie litt, aber deutlich zu entnehmen aus den klagenden Augen, dem stillen Schmerzensausdruck des Gesichtes und dem trauernden Klang der Stimme. Ich saß nicht weit von ihr, als sie die fröhlichen Almenlieder so melancholisch hinaus jodelte und dachte mir, was etwa der jungen Frau gebreste. In meinen Gedanken verglich ich sie mit einer welkenden Lilie. Derweilen kam der Viehhändler von Schlitters heran, richtete den Blick auch auf das Resele und sagte: was muß dem Weibsen seyn? schaut aus wie ein krankes Kaibel!

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 529. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/533>, abgerufen am 25.08.2024.