Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

Laune ist. Im Hüttchen hat er ein Heulager und eine Wollendecke, und daneben in einem feuergefährlichen Winkel liegt ein breiter Stein, auf dem er seine Milchsuppe kocht. Neben dem Schlafgemache steht der dürftige Stall. Der Ochsner selbst hat nichts zu thun, als etwa hin und wieder einen verirrten Ochsen auf den rechten Weg zu führen und die Kuh zu melken, die ihm mitgegeben ist, um die Milch in seine Küche zu liefern. Alle drei oder vier Tage steigt ein Knabe aus dem Thale hinauf und bringt ihm Brod, Mehl und Salz; damit fristet er sein Leben.

Also von der Galthütte wieder in die Höhe und aufs Joch. Oben an der Wasserscheide saß der greise Hirt auf einem Stein und blickte schmauchend auf seine Heerde herab. Es fror ihn und vielleicht hat's ihn auch geschläfert, vielleicht hat er auch wie der nordische Fichtenbaum vom Morgenlande geträumt, von einer warmen Felsenwand, auf der die jungen Kamele schäkernd um ihn herspringen. Wie geht's, rief ihn der Gossensasser an und der Andere fuhr auf aus seinem Sinnen und antwortete: Mitterla, mitterla (mittelmäßig). Es hatte Tags vorher von Morgen bis Abend geschneit und der Hirte sich kaum erwärmen können - es sey gar so ein kalter Ort. Ein Ochsner hat's übel, meinte er, wenn das Wetter nicht fein ist. Trotz seines Trübsinns gewann sich der Hirt aber doch die Frage ab: wo bleiben Sie? Als ich zwei Jahre darauf noch einmal zur Stelle kam, hatte er's übrigens schon wieder vergessen. Ich sagt' es ihm abermals und bin jetzt begierig, ob er's noch weiß, wenn ich wieder komme.

Auf dem Joch, etwas über dem Hirten, begegneten uns drei Duxer, ein Mann und zwei Weibsen, welche in ihren Kraksen Butter nach Steinach trugen. Es wird nämlich mit der Butter aus dem Duxerthale ein großer Handel getrieben, und die Einwohner beiderlei Geschlechts tragen davon jährlich mehr als dreihundert Centner über die Jöcher nach Innsbruck oder in die Orte an der Brennerstraße. Der Mann sprach uns freundlich an, die Weibsen plauderten gleich ganz gesprächig mit - und so bekam ich zum erstenmale eine Anschauung

Laune ist. Im Hüttchen hat er ein Heulager und eine Wollendecke, und daneben in einem feuergefährlichen Winkel liegt ein breiter Stein, auf dem er seine Milchsuppe kocht. Neben dem Schlafgemache steht der dürftige Stall. Der Ochsner selbst hat nichts zu thun, als etwa hin und wieder einen verirrten Ochsen auf den rechten Weg zu führen und die Kuh zu melken, die ihm mitgegeben ist, um die Milch in seine Küche zu liefern. Alle drei oder vier Tage steigt ein Knabe aus dem Thale hinauf und bringt ihm Brod, Mehl und Salz; damit fristet er sein Leben.

Also von der Galthütte wieder in die Höhe und aufs Joch. Oben an der Wasserscheide saß der greise Hirt auf einem Stein und blickte schmauchend auf seine Heerde herab. Es fror ihn und vielleicht hat’s ihn auch geschläfert, vielleicht hat er auch wie der nordische Fichtenbaum vom Morgenlande geträumt, von einer warmen Felsenwand, auf der die jungen Kamele schäkernd um ihn herspringen. Wie geht’s, rief ihn der Gossensasser an und der Andere fuhr auf aus seinem Sinnen und antwortete: Mitterla, mitterla (mittelmäßig). Es hatte Tags vorher von Morgen bis Abend geschneit und der Hirte sich kaum erwärmen können – es sey gar so ein kalter Ort. Ein Ochsner hat’s übel, meinte er, wenn das Wetter nicht fein ist. Trotz seines Trübsinns gewann sich der Hirt aber doch die Frage ab: wo bleiben Sie? Als ich zwei Jahre darauf noch einmal zur Stelle kam, hatte er’s übrigens schon wieder vergessen. Ich sagt’ es ihm abermals und bin jetzt begierig, ob er’s noch weiß, wenn ich wieder komme.

Auf dem Joch, etwas über dem Hirten, begegneten uns drei Duxer, ein Mann und zwei Weibsen, welche in ihren Kraksen Butter nach Steinach trugen. Es wird nämlich mit der Butter aus dem Duxerthale ein großer Handel getrieben, und die Einwohner beiderlei Geschlechts tragen davon jährlich mehr als dreihundert Centner über die Jöcher nach Innsbruck oder in die Orte an der Brennerstraße. Der Mann sprach uns freundlich an, die Weibsen plauderten gleich ganz gesprächig mit – und so bekam ich zum erstenmale eine Anschauung

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0509" n="505"/>
Laune ist. Im Hüttchen hat er ein Heulager und eine Wollendecke, und daneben in einem feuergefährlichen Winkel liegt ein breiter Stein, auf dem er seine Milchsuppe kocht. Neben dem Schlafgemache steht der dürftige Stall. Der Ochsner selbst hat nichts zu thun, als etwa hin und wieder einen verirrten Ochsen auf den rechten Weg zu führen und die Kuh zu melken, die ihm mitgegeben ist, um die Milch in seine Küche zu liefern. Alle drei oder vier Tage steigt ein Knabe aus dem Thale hinauf und bringt ihm Brod, Mehl und Salz; damit fristet er sein Leben.</p>
        <p>Also von der Galthütte wieder in die Höhe und aufs Joch. Oben an der Wasserscheide saß der greise Hirt auf einem Stein und blickte schmauchend auf seine Heerde herab. Es fror ihn und vielleicht hat&#x2019;s ihn auch geschläfert, vielleicht hat er auch wie der nordische Fichtenbaum vom Morgenlande geträumt, von einer warmen Felsenwand, auf der die jungen Kamele schäkernd um ihn herspringen. Wie geht&#x2019;s, rief ihn der Gossensasser an und der Andere fuhr auf aus seinem Sinnen und antwortete: Mitterla, mitterla (mittelmäßig). Es hatte Tags vorher von Morgen bis Abend geschneit und der Hirte sich kaum erwärmen können &#x2013; es sey gar so ein kalter Ort. Ein Ochsner hat&#x2019;s übel, meinte er, wenn das Wetter nicht fein ist. Trotz seines Trübsinns gewann sich der Hirt aber doch die Frage ab: wo bleiben Sie? Als ich zwei Jahre darauf noch einmal zur Stelle kam, hatte er&#x2019;s übrigens schon wieder vergessen. Ich sagt&#x2019; es ihm abermals und bin jetzt begierig, ob er&#x2019;s noch weiß, wenn ich wieder komme.</p>
        <p>Auf dem Joch, etwas über dem Hirten, begegneten uns drei Duxer, ein Mann und zwei Weibsen, welche in ihren Kraksen Butter nach Steinach trugen. Es wird nämlich mit der Butter aus dem Duxerthale ein großer Handel getrieben, und die Einwohner beiderlei Geschlechts tragen davon jährlich mehr als dreihundert Centner über die Jöcher nach Innsbruck oder in die Orte an der Brennerstraße. Der Mann sprach uns freundlich an, die Weibsen plauderten gleich ganz gesprächig mit &#x2013; und so bekam ich zum erstenmale eine Anschauung
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[505/0509] Laune ist. Im Hüttchen hat er ein Heulager und eine Wollendecke, und daneben in einem feuergefährlichen Winkel liegt ein breiter Stein, auf dem er seine Milchsuppe kocht. Neben dem Schlafgemache steht der dürftige Stall. Der Ochsner selbst hat nichts zu thun, als etwa hin und wieder einen verirrten Ochsen auf den rechten Weg zu führen und die Kuh zu melken, die ihm mitgegeben ist, um die Milch in seine Küche zu liefern. Alle drei oder vier Tage steigt ein Knabe aus dem Thale hinauf und bringt ihm Brod, Mehl und Salz; damit fristet er sein Leben. Also von der Galthütte wieder in die Höhe und aufs Joch. Oben an der Wasserscheide saß der greise Hirt auf einem Stein und blickte schmauchend auf seine Heerde herab. Es fror ihn und vielleicht hat’s ihn auch geschläfert, vielleicht hat er auch wie der nordische Fichtenbaum vom Morgenlande geträumt, von einer warmen Felsenwand, auf der die jungen Kamele schäkernd um ihn herspringen. Wie geht’s, rief ihn der Gossensasser an und der Andere fuhr auf aus seinem Sinnen und antwortete: Mitterla, mitterla (mittelmäßig). Es hatte Tags vorher von Morgen bis Abend geschneit und der Hirte sich kaum erwärmen können – es sey gar so ein kalter Ort. Ein Ochsner hat’s übel, meinte er, wenn das Wetter nicht fein ist. Trotz seines Trübsinns gewann sich der Hirt aber doch die Frage ab: wo bleiben Sie? Als ich zwei Jahre darauf noch einmal zur Stelle kam, hatte er’s übrigens schon wieder vergessen. Ich sagt’ es ihm abermals und bin jetzt begierig, ob er’s noch weiß, wenn ich wieder komme. Auf dem Joch, etwas über dem Hirten, begegneten uns drei Duxer, ein Mann und zwei Weibsen, welche in ihren Kraksen Butter nach Steinach trugen. Es wird nämlich mit der Butter aus dem Duxerthale ein großer Handel getrieben, und die Einwohner beiderlei Geschlechts tragen davon jährlich mehr als dreihundert Centner über die Jöcher nach Innsbruck oder in die Orte an der Brennerstraße. Der Mann sprach uns freundlich an, die Weibsen plauderten gleich ganz gesprächig mit – und so bekam ich zum erstenmale eine Anschauung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-05T13:27:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-05T13:27:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-05T13:27:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Geviertstriche werden als Halbgeviertstriche wiedergegeben.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/509
Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 505. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/509>, abgerufen am 01.07.2024.